Zur Antwort des Sekretariats auf ein Diskussionspapier von 27 Genossinnen und Genossen

Größte Brisanz herausnehmen

Helmut Dunkhase, Berlin

Das Sekretariat erklärt: Der Antrag des PV „setzt sich mit dem Aufbau des Sozialismus in China auseinander“, aber die „theoretischen Grundlagen“ dazu beziehen sich auf den Sozialismus allgemein. Der Titel des PV-Antrags lautet „Die VR China, ihr Kampf um den Aufbau …“, doch der Titel des Referats von Patrik Köbele, auf das sich das Sekretariat ausdrücklich bezieht, lautet „Probleme beim Aufbau des Sozialismus nach der proletarischen Revolution“. Vielleicht ist der PV hier Opfer der eigenen Unklarheit über das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem geworden, wenn er – wenn ich ihn richtig verstehe – spezifische historische Empirie zu „theoretischen Grundlagen“ des Sozialismus schlechthin erklärt. Um den Vorwurf der Unterstellung auszuräumen, sollte konkret festgehalten werden: In den „theoretischen Grundlagen“ werden diese Merkmale genannt: Entwicklung der Produktivkräfte; unterschiedliche Eigentumsformen in der Bandbreite bis zu kapitalistischem Eigentum; es handelt sich um eine relativ eigenständige Periode oder sogar Epoche; die KP übt die Führung des Staates im Interesse der Arbeiterklasse aus. In unserem Programm (S. 21) ist der Sozialismus charakterisiert durch: gesellschaftliches Eigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln; Überwindung der Ausbeutung; eine nach wissenschaftlichen Kriterien geplante Produktionsweise; politische Macht der Arbeiterklasse. Die Schnittmenge beider Aufzählungen ist ziemlich leer. Wenn noch bedacht wird, dass nach unserem programmatischen Verständnis der Sozialismus ein gemeinsames Werk sein wird (S. 21), während im PV-Antrag Bildung, Kultur und Gesundheitsversorgung als der Arbeiterklasse von oben verordnet erscheinen, bleibt so gut wie nichts Gemeinsames mehr übrig. Wenn dann noch der PV auf seiner 2. Tagung erklärt, „die Diskussion und Beschlussfassung (zum China-Antrag – H.D.) ist Teil der Arbeit an der Weiterentwicklung der Programmatik der DKP“, sehe ich den PV in der Pflicht, die Gründe für unsere Sorge auszuräumen. Die Versicherung des Sekretariats, dass der PV nicht mit den Sozialismusvorstellungen der DKP bricht und sich auch nicht „von planwirtschaftlichen Ansätzen“ distanziert, höre ich gern. Wenn zum Beispiel die Ausführungen in den „theoretischen Grundlagen“ als empirisches Material aus dem Sozialismus des 20. Jahrhunderts belassen blieben, ohne in den Rang theoretischer Neuerung erhoben zu werden, wäre wenigstens die größte Brisanz des Antrags herausgenommen.

Allerdings würde sich dann in verschärfter Form eine Frage stellen, die der Titel „Probleme beim Aufbau des Sozialismus nach der proletarischen Revolution“ nahelegt. Warum hat der PV nichts Wichtigeres zu tun, als uns zu einem (positiven) Urteil über die „sozialistische Marktwirtschaft“ in China zu nötigen, statt dass wir uns mit der sozialistischen Zukunft unseres Landes befassen? Ich sehe zwei mögliche Gründe. Der erste wäre, dass der chinesische Weg als Vorbild für uns dienen könnte. „China als Modell zu preisen“ weist das Sekretariat aber selbst zurück. Bleibt der zweite Grund, den das Sekretariat auch benennt: Antichinesische Kampagnen ließen sich nicht ohne Bezug zur inneren Verfasstheit der Volksrepublik zurückweisen. Als Beispiel wird die Stellungnahme zu Vorwürfen gegen das „Seidenstraßen“-Projekt genannt. Nun, es lässt sich sachlich feststellen, ob Länder in eine Schuldenfalle geraten oder nicht. Oder ist ein solcher Sachverhalt per definitionem ausgeschlossen, wenn China sozialistisch ist? Wir haben doch auch keine Schwierigkeiten, Russland zu verteidigen, ohne seine innere Verfasstheit zu bewerten. Der Klassencharakter des Krieges, in dem Russland gegen die NATO beziehungsweise den „Westen“ steht, lässt sich sogar deutlicher erkennen als in dem, was im PV-Antrag unter „Internationale Klassenkämpfe“ abgehandelt wird. Der Krieg Russlands hat zu einem beträchtlichen Teil einen antikolonialen Inhalt – wenngleich nach Lehrbuch die „falsche“ Klasse an der Macht ist.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Größte Brisanz herausnehmen", UZ vom 3. März 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit