Die portugiesischen Kommunisten bereiten ihren 22. Parteitag vor, der vom 13. bis zum 15. Dezember in Almada abgehalten werden soll. Das Zentralkomitee der PCP hat dafür sehr umfangreiche Thesen vorgelegt, die mittlerweile in der gesamten Partei diskutiert werden. Aus den Thesen, die sich über sieben Kapitel erstrecken, soll auf dem Parteitag eine politische Resolution entstehen. Zahlreiche Versammlungen im ganzen Land sind der ausführlichen Erörterung gewidmet. Zwischen dem 24. Oktober und dem 21. November bietet „Avante“, die Zeitung der PCP, eine Diskussionstribüne für Beiträge von Mitgliedern der Partei, die zu den „Thesen“ Stellung nehmen wollen.
Zur internationalen Lage
Im ersten Kapitel geht die PCP ausführlich auf die internationale Lage ein, die auch für das an der südwestlichen Peripherie der EU liegende Portugal bestimmend ist. Die PCP warnt bereits einleitend vor der „wachsenden Gefahr eines Weltkonflikts von katastrophalem Ausmaß“. Sie macht dafür die „strukturelle Krise des Kapitalismus und die ausbeuterische und aggressive Offensive des Imperialismus“ verantwortlich, mit der er „dem relativen Niedergang der USA sowie der anderen in der G7 versammelten kapitalistischen Mächte entgegenwirken und seine hegemoniale Vorherrschaft“ angesichts des anhaltenden Widerstands und Kampfes der Völker und angesichts eines „umfassenden Prozesses der Neuordnung der Kräfte auf Weltebene“ sichern wolle. Notwendig sei jetzt die Verteidigung des Rechts aller Völker auf Souveränität, Frieden und sozialen Fortschritt; erforderlich sei ferner die „Stärkung der kommunistischen Parteien und ihrer Zusammenarbeit innerhalb der internationalen kommunistischen und revolutionären Bewegung“ – die „Zusammenführung verschiedener Kräfte in einer breiten antiimperialistischen Front, die die Versuche des Imperialismus aufhalten und zurückdrängen und den Weg für eine neue internationale Ordnung“ ebnen. Der „aggressive und räuberische Charakter des Kapitalismus“ beweise „die Notwendigkeit seiner revolutionären Überwindung“.
„Irrsinn der Widersprüche“
Die Thesen der PCP benennen gleich ein ganzes Bündel von Erscheinungen, die den heutigen Kapitalismus kennzeichnen:
„Die Verschärfung der Ausbeutung und ihre Folgen in Form der Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen und der Verschärfung der sozialen Probleme, von denen die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung betroffen ist; die Instabilität und die Abfolge von Krisen in den wichtigsten kapitalistischen Volkswirtschaften; die großen Entwicklungsunterschiede zwischen den Ländern; die unterschiedlichen demografischen Entwicklungen; die Migrationsbewegungen; die Verschärfung der Umweltprobleme; die wachsende internationale Instabilität und Spannung; die Not der Flüchtlinge; die Förderung reaktionärer und faschistischer Konzepte, Projekte und Kräfte; der systemische Charakter von Korruption und organisierter Kriminalität.“ All dies seien „Elemente, die den Irrsinn der Widersprüche des Kapitalismus“ bestätigten und die „in einer strukturellen Krise zusammenlaufen, die sich auf wirtschaftlicher, sozialer, politischer und kultureller Ebene äußert und die historischen Grenzen dieses Systems aufzeigt“.
Die Entwicklung des Kapitalismus „in seiner imperialistischen Phase und vor allem der Neoliberalismus“ gefährdeten die Demokratie. Der Neoliberalismus setze eine „einheitliche Denkweise“ durch, in der die politische Rechte „und die Sozialdemokratie“ sich einander näherten. Das vertiefe „den reaktionären und antidemokratischen Charakter der bürgerlichen politischen Repräsentationssysteme“ und fördere „reaktionäre und faschistische Vorstellungen, Projekte und Kräfte“. Die ex-treme Rechte und der Faschismus seien Instrumente, die der Kapitalismus und der Imperialismus einsetzten, wann immer sie es für nötig hielten. Konfrontation, Krieg und Faschismus gehörten zur Strategie des Großkapitals. Auf ideologischer Ebene werde daher eine „intensive Offensive gegen demokratische und humanistische Werte, kritisches Denken und das Recht auf Information“ geführt. Gefördert würden „Individualismus, Lügen, Obskurantismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Chauvinismus, Krieg, Hass, Antikommunismus und Geschichtsrevisionismus“.
USA, NATO und Ukraine-Krieg
Die USA versuchten ihre „hegemoniale Vorherrschaft auf der Grundlage einer eisernen imperialistischen Konzertierung“ zu bewahren, was die Unterwerfung der kapitalistischen Mächte in der G7 und der EU unter die Inte-ressen und die Strategie des US-Imperialismus zur Folge habe. Der „laufende Prozess der Neuordnung der Kräfte“ solle damit gestört werden. Für die PCP handelt es sich um eine Offensive mit dem Ziel, „das Bewusstsein der Menschen für ihre legitimen Rechte und Bestrebungen und ihre souveräne Fähigkeit, über ihre Zukunft zu entscheiden, zu beeinträchtigen“. Die NATO bleibt für die portugiesischen Kommunisten „mit ihrer sukzessiven Ausweitung und ihren weltweiten Interventionen das gefährlichste Instrument der aggressiven Offensive des Imperialismus unter der Hegemonie der USA“. Folgerichtig erklären die „Thesen“ den „Kampf gegen die NATO“ für besonders wichtig und verbinden ihn mit dem „Kampf für den Frieden, für die Abrüstung, für die Verteidigung der Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen, gegen die Aggressionen der NATO, für die Auflösung dieses politisch-militärischen Blocks und für die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit“.
Entgegen verbreiteter Annahme hatte sich die PCP auch in der Vergangenheit niemals ausdrücklich für den Austritt aus der NATO ausgesprochen und tut das auch im Entwurf ihrer „Thesen“ nicht. Das gilt auch für die Jahrzehnte der Führung durch den legendären Generalsekretär Álvaro Cunhal und für die Jahre 1975 bis 1977, als NATO und USA Portugal an den Rand eines Bürgerkriegs brachten. Die PCP stellte diese Frage nie in den Mittelpunkt praktischen Handelns, solange sonstige Voraussetzungen dafür fehlten, ließ aber niemals Zweifel an ihrer Einschätzung der NATO aufkommen. Portugal hat zudem im Gegensatz zu Deutschland außer auf den Azoren auf dem „Kontinent“ keine ausländischen Truppen. Andersherum verhält es sich interessanterweise mit dem portugiesischen Bloco de Esquerda, dem „Linksblock“ – einem Zusammenschluss ehemals Linksradikaler mit Dissidenten aus sozialistischer und kommunistischer Partei. Er schrieb sich 2019 den NATO-Austritt auf die Fahne, was seine Abgeordneten im Europaparlament nach Beginn des Ukraine-Kriegs jedoch nicht daran hinderte, eine Entschließung zu unterstützen, in der laut Mário Tomé, Bloco-Urgestein, „ein Wettrüsten und die Niederlage Russlands“ gefordert wurden, oder den ukrainischen Präsidenten in Lissabon mit stehenden Ovationen zu empfangen. Tomé, Mitgründer des „Bloco“ und mit über 80 Jahren historische Führungsfigur, veranlasste das zu der Feststellung, es handele sich um ein „katastrophales Nachgeben gegenüber imperialistischem Druck und um eine theoretische und praktische Kapitulation“.
Den Krieg in der Ukraine stellt die PCP direkt in den Zusammenhang der Strategie der Einkreisung und Konfrontation des Imperialismus gegenüber Russland und benennt dabei die NATO-Erweiterung nach Osteuropa, den Putsch in der Ukraine 2014 und den „seit langem geplanten Krieg in diesem Land“, der „nicht durch die Tatsache begrenzt“ werde, dass es sich „um ein kapitalistisches Land mit den daraus resultierenden Klassenentscheidungen“ handele. Auch die israelischen Massaker an Arabern seien Ausdrucksformen der imperialistischen Strategie der Konfrontation und des Krieges. Die Thesen sprechen von einer „imperialistischen Offensive, die eine gefährliche und rasante Entwicklung genommen hat, die die gesamte Menschheit bedroht“.
Neuordnung der globalen Kräfte
Grundlegendes Merkmal für die Neuordnung der globalen Kräfte und „den relativen Niedergang“ der USA seien die „von China erzielten wirtschaftlichen, sozialen und wissenschaftlich-technischen Fortschritte und seine Behauptung auf der internationalen Bühne“. Erwähnung finden die BRICS-Kooperation und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO). Bei aller Widersprüchlichkeit der Herausbildung neuer internationaler Beziehungen liefen die Interessen im „Widerstand gegen die Unterordnung unter den Imperialismus und die Abhängigkeit von den von ihm beherrschten Institutionen“ zusammen.
„Dieser Prozess“, schreiben die portugiesischen Kommunisten, sei „objektiv untrennbar mit dem Kampf für den Frieden und gegen den Krieg, mit der Annäherung und der Verbindung zwischen denjenigen, die sich dem Imperialismus widersetzen, mit dem Kampf für die Souveränität und dem Recht auf Entwicklung“ verknüpft.
In den Aktionen der arbeitenden Menschen und der Völker sieht die PCP ein „Potenzial für die Entwicklung des Kampfes für fortschrittliche und revolutionäre Umgestaltungen“.
Nationale Aufgaben
Die PCP, die sich stets als linke und patriotische Kraft definiert, unterstreicht in ihrem Thesenentwurf „die Bedeutung der nationalen Frage und ihre Verbindung mit der Klassenfrage und bestätigt den nationalen Rahmen als entscheidendes Kampffeld und die Bejahung und Ausübung der nationalen Souveränität als Bedingung für die Verteidigung und Eroberung von Rechten, für die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, für das Vorantreiben von Transformationsprozessen“. Damit widerspricht sie zugleich den Ideologen des neoliberalen Globalismus, für die jeder nationale Rahmen und jede nationale Souveränität gleichbedeutend mit einer Beschränkung ihrer ökonomischen Macht sind.
Die Erfüllung der nationalen Aufgabe einer kommunistischen Partei sei nicht nur ihre eigentliche Daseinsberechtigung, sondern „auch ihr wichtigster Beitrag zur Stärkung der internationalen kommunistischen und revolutionären Bewegung und zum Vorantreiben des Kampfes für soziale und nationale Emanzipation auf globaler Ebene“. Angesichts des Drucks des Gegners entstünden weiterhin „sowohl liquidatorische als auch sozialdemokratische Konzepte und Praktiken“. Gleichzeitig gebe es Momente, die von „solider Analyse, fester Positionierung und beharrlichem Eingreifen“ zeugten. In der kommunistischen Bewegung treffe man aber auch auf „dogmatische und sektiererische Auffassungen und Praktiken, die auf die Auferlegung einzigartiger Modelle der sozialen Umgestaltung, auf die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse als unmittelbare universelle Aufgabe, auf die organisatorische Zentralisierung und die politische und ideologische Homogenisierung innerhalb der kommunistischen Bewegung“ abzielten.
Die nationalen Aufgaben der PCP werden ihrer Bedeutung entsprechend ausführlich in den sechs weiteren Kapiteln aus der detaillierten Beschreibung der gegenwärtigen bürgerlichen Politik Portugals abgeleitet. Jedes soziale, wirtschaftliche, kulturelle und innenpolitische Thema wird unter der Überschrift „Portugal – das Land, in dem wir leben und intervenieren“ einer kritischen Bestandsaufnahme unterzogen. Festgestellt wird eine zunehmende Dominanz von Monopolen, die „Märkte und Wertschöpfungsketten dominieren und kontrollieren und dabei dominante Macht über die verbleibende Unternehmensstruktur“ ausübten – das sind in Portugal ganz überwiegend Kleinstbetriebe und kleinere und mittlere Unternehmen. Kritisiert werden unter anderem die Aufgabe nationaler Souveränität auch im Bereich der Wirtschaftspolitik – namentlich der Verlust der nationalen Kontrolle über strategische Sektoren der Volkswirtschaft – sowie der hohe Kapitalabfluss nach außen.
In der Landwirtschaft werden der weiter sinkende Selbstversorgungsgrad mit Grundnahrungsmitteln, die wachsende Bodenkonzentration, die zunehmenden Betriebsgrößen und Monokulturen sowie die wachsende Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte als Fehlentwicklungen charakterisiert. Die „Thesen“ sprechen im Zusammenhang der Migration von einer bedeutenden Veränderung bei der Zusammensetzung der Arbeitskräfte. Die niedrigen Löhne vertrieben einerseits weiterhin vor allem jüngere und qualifiziertere einheimische Arbeitskräfte, andererseits wanderten in großer Zahl ausländische Arbeitskräfte ein, die zu niedrigsten Löhnen arbeiteten. Allein dieses Thema stellt die Kommunisten in der Zukunft vor große Probleme.
Zur Organisationsstruktur
Im siebten Kapitel unterbreitet das Zentralkomitee der Partei aktuelle Daten ihrer eigenen Struktur, die eine allseitige Stärkung erforderlich macht, um Ziele in Zukunft erreichen zu können. Neueintritte kompensieren die vor allem der Altersstruktur geschuldeten Verluste nicht. Die PCP zählt heute 47.612 Mitglieder. Seit dem letzten Parteitag 2020 wurden 3.452 neue Aktivisten aufgenommen, mehr als zuvor, jedoch sind 52,7 Prozent der gesamten Mitgliedschaft heute älter als 64 Jahre und nur 10,4 Prozent unter 40 Jahren. Von den 2.183 Gremien der Partei befänden sich 324 in Betrieben beziehungsweise an Arbeitsorten und 532 in Wohngebieten. Kritisch vermerken die Autoren der Thesen, dass die Zahl der in eine Parteigliederung integrierten Mitglieder „unverändert“ sei und der Anteil der regelmäßig zahlenden Mitglieder 31,7 Prozent umfasse.
Auch in Portugal wird ein kommunistischer Parteitag also Antworten auf neue und alte Herausforderungen finden müssen. Besagt das portugiesische Sprichwort „Santos da casa não fazem milagres“ („Einheimische Heilige bewirken keine Wunder“), dass die Hilfe nicht aus der Nähe kommt, so wird sich die PCP auch nicht auf die Heiligen der Ferne verlassen können, sondern nur auf sich selbst.