Er hat die Instrumente und Methoden des Imperialismus sichtbar gemacht, um ihn zu überwinden. Nachruf auf Walter Heynowski

Grinsende Herrenmenschen vorgeführt

Frank Schumann

Natürlich, wir hätten es ahnen können. Ohne die logistische Unterstützung unserer Aufklärung wäre mancher Film nicht entstanden. Wie sonst hätte er beispielsweise Leute wie „Kongo-Müller“, einen in Afrika mordenden deutschen Söldner der westlichen Welt, Mitte der 1960er Jahre in einem Münchner Fernsehstudio zum Gespräch bekommen? Der grinsende Herrenmensch glaubte allen Ernstes bis zum Schluss, er würde seine krude Weltsicht vor einer westdeutschen Kamera offenbaren. Der erhellende Film lief anschließend in 37 Ländern – in der Bundesrepublik hingegen war er explizit verboten. Nebenbei: Im gleichen Jahr wurde in der Bonner Republik auch das Braunbuch aus der DDR indiziert und auf der Frankfurter Buchmesse beschlagnahmt: jenes Namensregister von Nazi- und Kriegsverbrechern, die in der Bundesrepublik und in Westberlin wieder Ämter und Schlüsselfunktionen ausübten. Das nur zum Thema Pressefreiheit und Demokratie, wovon dieser Tage wieder so viel zu hören und zu lesen war.

Die freimütigen Bekundungen des rassistischen Terroristen Müller („Wir haben für Europa gekämpft, für die Idee des Westens, und zwar für Liberté, Fraternité und so weiter, Sie kennen diese Sprüche.“) begründeten Walter Heynowskis Ruf als bedeutender Dokumentarfilmer aus der DDR. Die nachfolgenden Produktionen etwa aus Vietnam („Piloten im Pyjama“), Libyen („Bye bye Wheelus“), Chile („Ich war, ich bin, ich werde sein“) oder „Phoenix. Inside CIA“ wiesen Heynowski als Meister seines Fachs aus. „Phoenix“ beispielsweise, 1979 entstanden, war der 17. Film des Vietnam-Zyklus aus dem Studio Heynowski & Scheumann. Auf inzwischen bekannte Weise befragte Heynowski einen ehemaligen CIA-Agenten, Ex-Chef des Spionagenetzes in Vietnam, und schnitt Originaldokumente hinein. Der Film enthüllte schnörkellos die gigantische US-Tötungsmaschinerie, die von „God’s Own Country“ gegen ein fremdes Volk eingesetzt worden war. Es ging von „täglichen Abschuss­quoten“ die zynische Rede …

In über einem halben Hundert exzellenter Dokumentarfilme zeigte der 1927 in Ingolstadt geborene und seit 1948 in Berlin lebende und arbeitende Heynowski Haltung und Flagge als konsequenter Antifaschist und Antimilitarist, der seine überragenden Fähigkeiten als Filmemacher in den Dienst der wohl wichtigsten Menschheitssache stellte: den Imperialismus zu überwinden, indem er dessen Instrumente und Methoden sichtbar machte. Dafür wurde er zeitlebens geschmäht. Zwar kam man nicht umhin, ihm „Engagement und Einfallsreichtum“ zu bescheinigen und dass er „mit analytischer Schärfe auf zeithistorische Probleme“ verwiesen habe. Doch im Vordergrund stand immer die denunziatorische Vorhaltung: „Polemik, grobe Agitation und Ideologie“ (Lexikon Regisseure und Kameraleute: A-Z, Reinbek, 1999). Als wären ihre Filme frei von Ideologie. Was für ein Witz.

Heynowski besaß Charakter, er war durch die Schule des Krieges und Nachkriegs gegangen und wusste als Kommunist, wie der kapitalistische Hase läuft, auch wenn dieser Haken und Volten schlug. Diese Erkenntnis teilte er mit vielen Gesinnungsgenossen, die ihn aktiv unterstützten, wenn er mit künstlerischen Mitteln diese Zusammenhänge deutlich machte. Da nun beide nicht mehr sind, kann ich es verraten: Am 5. Juni 2012 traf sich Walter Heynowski mit Generaloberst a. D. Werner Großmann in den Räumen des Eulenspiegel Verlages, den – Ironie der Geschichte – Heynowski 1954 gegründet hatte. Im Verlagshaus war der erste Band seiner bemerkenswerten Erinnerungen erschienen („Der Film meines Lebens. Zerschossene Jugend“, 2007), jetzt arbeitete er an dem zweiten. Und er bat den Verlag, ein Treffen mit dem letzten Chef der DDR-Aufklärung auf neutralem Boden zu organisieren. Er wünschte ihn zu konsultieren, um aus berufenem Munde zu erfahren, wie und wann und wo die Genossen der unsichtbaren Front ihm damals behilflich gewesen waren, ohne dass er dies gewusst hatte. Er wollte es genau wissen, breitete aber den konspirativen Schleier über das Arbeitstreffen – ich durfte zwar ihn und Großmann, aber nicht beide zusammen fotografieren, worauf er ausdrücklich bestand. Nun ja, er kannte seine publizistischen Pappenheimer und wollte nichts vor der Zeit offenbaren.

Heynowski wurde mit dem Manuskript nicht fertig. Ein ums andere Jahr musste der Erscheinungstermin verschoben werden. Die Gesundheit verschlechterte sich, doch wir ertrugen das Warten mit Geduld, denn wir ahnten: Solange er am Buch arbeitet, lebt er. Und genau so kam es: Am Tag danach, als wir ihm das Signalexemplar übergeben hatten, verstarb Walter Heynowski in seiner Wohnung am Strausberger Platz in Berlin. Zwei Wochen vor seinem 97. Geburtstag.
Die DDR ehrte ihn zwei Mal mit dem Nationalpreis für Kunst und Literatur, sie verlieh ihm den Vaterländischen Verdienstorden und den Stern der Völkerfreundschaft. All das hatte er wahrlich verdient, auch wenn er das in seinem zweiten Memoirenband, der jetzt in den Handel kommt, bescheiden verschweigt.

Unser Autor ist Verleger der edition ost

Walter Heynowski
Der Film meines Lebens – Zerschossene Jugend
Das Neue Berlin, 19,90 Euro

Mäander der Erinnerungen. Generation im Abendlicht.
Das Neue Berlin, 352 Seiten, 28 Euro

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"Grinsende Herrenmenschen vorgeführt", UZ vom 15. November 2024



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