18 SPD-Mitglieder fordern „Strategiewechsel in der Ukraine-Politik“

Griff nach der Notbremse

Kolumne

Das Ergebnis der Wahlen zum EU-Parlament am 9. Juni bestätigte den außenpolitischen, also Kriegskurs der bisherigen Mehrheitsfraktionen. Sie kommen auf mehr als 400 von 720 Sitzen.

Innenpolitisch gab es vor allem in Frankreich und in der Bundesrepublik eine heftige Ohrfeige für die Regierungsparteien. Die SPD kam bereits 2019 nur auf 15,8 Prozent, in diesem Jahr sackte sie auf 13,9 Prozent ab. In Sachsen und Thüringen, wo am 1. September Landtagswahlen stattfinden, näherte sich die SPD der 5-Prozent-Hürde. Die FAZ meldete unter der Überschrift „Nur Herne bleibt knapp rot“ ein „Debakel der SPD an der Ruhr“. Und weiter: „Die AfD erreichte unter anderem in Duisburg, Herne, Bottrop oder Oberhausen Ergebnisse zwischen 16 und 18 Prozent; in Gelsenkirchen kam die AfD mit 21,7 Prozent auf ihr bestes Ergebnis in Nordrhein-Westfalen.“ Und überholte die SPD, die auf 21,6 Prozent kam. In Nordrhein-Westfalen, konstatierte die Zeitung am 12. Mai, habe die AfD mehr Wähler „als in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen zusammen“.

Am 16. Juni tagte das SPD-Präsidium, anschließend waren lediglich die gewohnten Floskeln zu hören: „Bitteres Ergebnis“, „Weiterhin an denen orientieren, die jeden Tag zur Arbeit gehen“ (Ko-Parteivorsitzende Saskia Esken am Montag im „Deutschlandfunk“). Dass die Niederlage etwas mit dem Kriegskurs des Kanzlers und der Parteiführung zu tun haben könnte, spricht kein interviewender Journalist an. Die Befragten aus der SPD-Spitze meiden das Thema erst recht. Im Haus des Gehängten redet niemand vom Strick.

Dabei liegt auf der Hand, dass die AfD ihre 15,9 Prozent bundesweit ebenso wie das BSW (6,2 Prozent) auch ihrer klaren Haltung gegen den Kriegskurs des Westens verdankt. Die AfD-Wähler nehmen dabei offenkundig wissend in Kauf, dass sie ihre Stimme auch bekennenden Faschisten geben. Wie weit her es mit den AfD-Friedensbekundungen ist, zeigten drei Anträge der AfD-Fraktion, die am 14. Juni im Bundestag eingebracht wurden. Ihr Anliegen: Bevorzugung der deutschen Rüstungsindustrie.

Mitten in das SPD-Gemisch von Realitätsverweigerung, Halsstarrigkeit und Durchsetzung von AfD-Politik wie etwa in der Asylgesetzgebung unter der Scholz-Parole „Abschieben im großen Stil“ platzte am 13. Juni ein Appell von 18 zumeist prominenten Sozialdemokraten unter dem Titel „Diplomatie? Oder mit voller Kraft in eine weltweite Katastrophe? Wir fordern einen sofortigen Strategiewechsel!“. Erst­unterzeichner sind unter anderem die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler, der Historiker Peter Brandt und der Umweltwissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker. Ihre Kernforderungen: Ende der Eskalation des Ukraine-Kriegs, Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen der Konfliktparteien.

Immerhin erklärte Scholz zwei Tage später am Sonnabend auf dem „Friedensgipfel“ in der Schweiz, Verhandlungen mit Russland seien unausweichlich. Für seine Verhältnisse eine Kehrt-, wenn auch keine Zeitenwende. Die hatte er eine Woche zuvor mit dem „Feuer frei“ auf russisches Territorium für deutsche Waffen in den Händen Kiews vorangetrieben. Der Aufruf der 18 ist ein Griff zur Notbremse vorm parlamentarischen Absturz ihrer Partei. Erfolg ungewiss.

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"Griff nach der Notbremse", UZ vom 21. Juni 2024



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