Grenzerfahrungen

Von Hanno Wisiak

Bankenrettung war teurer

Aus einem Flugblatt der KPÖ Graz

„Die derzeitige Flüchtlingsbewegung ist für alle Seiten eine Herausforderung: Für die Grazer Bevölkerung, die Betroffenen und für jede Gemeinde. Deshalb muss auch Graz seinen Beitrag zur anständigen Unterbringung der Flüchtlinge leisten. Das kann aber nur die öffentliche Hand und keine privaten Geschäftemacher. Wir müssen in jeder Person den Menschen sehen und ihre Anliegen ernst nehmen. Das gilt für Arbeitslose und Wohnungssuchende in Österreich, das gilt auch für die Flüchtlinge, die jetzt zu uns gekommen sind.

Niemand verlässt seine Heimat freiwillig und lässt dabei alles hinter sich. Diese Menschen kommen nicht als Feinde, sondern als Opfer von Kriegen, die vielfach auch von den USA, der NATO und EU-Staaten angezettelt wurden. Ihnen Schutz zu bieten, stellt fraglos eine Herausforderung dar. Ihre Rettung wird uns aber nur einen Bruchteil dessen kosten, was uns die „Rettung“ von Banken wie z. B. der HYPO in den letzten Jahren kostete. Jene, die unseren Lebensstandard wirklich bedrohen, sitzen in den Vorstandsetagen der Großkonzerne und sind die Kriegstreiber in EU und NATO, welche die Flüchtlingsströme erst verursacht haben.“

Graz, mit 280 000 EinwohnerInnen die zweitgrößte Stadt Österreichs, liegt nur 50 Kilometer von Slowenien entfernt. An der Grenzstation Spielfeld wurde im letzten Jahr das völlige Versagen der rot-schwarzen Bundesregierung deutlich.

Nach Orbans Zaunbau in Ungarn war klar, dass die Flüchtlingsroute über Slowenien verlaufen würde. Vorbereitungen wurden kaum getroffen. Darum mussten Kinder am Grenzübergang in Kartonschachteln schlafen, warmes Essen gab es erst, als sich Freiwillige darum kümmerten. Dabei wären in der Kaserne im nur drei Kilometer entfernten Straß mehrere Feldküchen zur Verfügung gestanden. Zum Einsatz kamen sie erst, als der sogenannte „Strom“ abgeebbt war.

Ohne Freiwillige wäre auch der Betrieb der Durchgangsquartiere nicht möglich gewesen. Hastig und mehr schlecht als recht schaffte es die Regierung, die Flüchtenden weiter in Richtung Deutschland zu transportieren. Nun werden auch die Asylanträge in Österreich mehr, und wiederum hat die große Koalition kaum Vorbereitungen getroffen.

Das von der konservativen ÖVP geführte Innenministerium will in Graz-Jakomini, einem proletarisch und migrantisch geprägten Stadtbezirk, ein Großquartier für Asylsuchende errichten – just auf einem Areal, das dringend für Projekte nötig wäre, die die Situation in diesem Viertel verbessern. Das Grundstück der Kirchnerkaserne bietet ausreichend Platz für Infrastruktur, die für die örtliche Bevölkerung von Bedeutung ist. Dazu gehören Sport-, Freizeit- und Kinderbetreuungseinrichtungen, Nahversorgung und Gemeindewohnungen.

Seit das Bundesheer Kasernen zum Verkauf anbietet, setzt sich die KPÖ dafür ein, dass die Grundstücke von der öffentlichen Hand übernommen werden.

Identitäre, rechte Hooligans und der Grazer Pegida-Ableger marschierten zuletzt mit ranghohen Funktionären der Freiheitlichen Partei im Viertel auf. Die Grazer KommunistInnen halten mit Flugblättern und Informationen dagegen. Statt großer Massenquartiere fordern sie menschenwürdige, dezentrale, kleine Unterbringungen. „Es muss sichergestellt werden, dass das geplante Großquartier in der Kirchnerkaserne tatsächlich, wie die Regierung versichert, auf ein halbes Jahr befristet bleibt. Massenquartiere sind nur eine Notlösung“, betont die kommunistische Landtagsabgeordnete Claudia Klimt-Weithaler.

Klar ist, die Kommunen im Allgemeinen und die Stadt Graz im Besonderen sind durch die Maastricht-Vorgaben der EU schon lange am fiskalpolitischen Limit angekommen. Wenn die Regierung sie nicht mit ausreichend Mitteln ausstattet – und diese nicht bei den Banken und Konzernen, sondern bei den BezieherInnen der Mindestsicherung, Wohnungssuchenden, Alleinerziehendenund Arbeitslosen holt –, nimmt sie nicht nur ein Erstarken der extremen Rechten in Kauf, sondern auch schwerwiegende gesellschaftliche Konflikte.

Darum versucht die Grazer KPÖ eines zu vermitteln: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.

Jetzt prescht Österreichs Regierung vor und löst damit eine Kettenreaktion aus, die ein Dichtmachen der Grenzen in ganz Europa zur Folge haben könnte. Die Grazer KPÖ-Chefin Elke Kahr hält diese Art, vor dem Krieg fliehenden Menschen zu begegnen, nicht nur für zutiefst menschenverachtend, sondern auch für ein für die Regierungsparteien willkommenes Ablenkungsmanöver: „Mit Obergrenzen bei den Flüchtlingen wird man keine sozialen Probleme lösen. Die Arbeits- und Wohnungssituation in Österreich ist ja nicht erst prekär, seit wir Flüchtlinge ins Land gelassen haben. Jetzt aber will man plötzlich die Flüchtlinge für alle Probleme verantwortlich machen.“

„Obergrenzen hat auch die KPÖ immer wieder eingefordert“, sagt Kahr: „Bei Mieten, bei Arbeitslosigkeit, bei Überziehungszinsen, bei Rüstungsexporten, bei Politikergehältern.

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"Grenzerfahrungen", UZ vom 29. Januar 2016



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