Ist die Schuld groß, sind es die sie repräsentierenden Monster und die heimholenden Alpträume auch. Seit 1954 poltert Godzilla durch japanische Großstädte wie durch ein lästig zugemülltes Kellerabteil und zerstampft Panzer zu Spielzeugbrei. Keine zehn Jahre zuvor hatten die USA zwei ihrer Nuklearsprengköpfe am faktisch bereits besiegten japanischen Imperialismus ausprobiert und Hiroshima und Nagasaki dem Erdboden gleichgebombt. In der Folge wurde das Bikini-Atoll zur Atomwaffen-Testzone. Mensch und Tier wurden verstrahlt. Schäden unschätzbaren Ausmaßes – als zöge ein gigantisches Monster durch die Welt. Godzillas Geburt lag dem Kino nahe, wollte es sich mit dieser Bedrohung befassen.
Die Erzählungen um den Troll dagegen sind weit älterer Natur, älter noch als die Schuld selbst, die sich nicht nur durch, sondern auch an den Riesen zeigt. Denn der große, haarige Berggeist entstammt der nordischen Mythologie, die als Kulturpraxis nach und nach in Skandinavien durch das Christentum verdrängt wurde.
An dem stört sich auch der Hüne mit dem Puschelschwanz, den Bergarbeiten im neuen Film „Troll“ des „Tomb Raider“-Regisseurs Roar Uthaug aufwecken. Von Glockentürmen und kreuzeschlagenden Winzmenschen genervt, zieht er eine Schneise der Verwüstung, die verrät, dass es auf Oslo zugeht, den eingebüßten Sitz des Trolladels, auf dessen Gebeinen die neuen Herrscher ihr Haus errichteten.
Die Königsebene in „Troll“ – die norwegische Premierministerin (Anneke von der Lippe) und ihr militärischer Beraterstab – sind so rat- wie glücklos bei der Abwehr des haushohen und angepissten Ureinwohners. Denn anscheinend richtet der Beschuss mit konventioneller Ballerei nichts aus. Die Archäologin Nora Tidemann (Ine Marie Willmann) will verhindern, dass ähnliches Waffengerät zum Einsatz kommt, das auf der andern Seite der Erde Ursache für die Entstehung des Feuer brüllenden, Nippon terrorisierenden Leviathans war – die versehrte Natur also erst so richtig in Rage brachte. Tidemann sucht Hilfe bei ihrem meschuggenen Vater (Gard B. Eidsvold), der, streng im Volksglauben verblieben, aus der Menschengemeinschaft gekegelt wurde, weil er von Trollen ausging, ehe sie die Hauptstadt ansteuerten.
„Zu leben – ist Krieg mit Trollen/In Herzens und Hirnes Gewölb‘/Zu dichten, – das ist zu halten/Gericht über sich selbst“, schrieb Norwegens Nationalautor Henrik Ibsen in seinem Gedicht „Ein Vers“ (1871) zu einer Zeit, als noch weite Teile der Norwegerinnen und Norweger der Überzeugung waren, dass es sie wirklich gibt, die Trolle. Der psychiatrieerfahrene Tobias Tidemann macht im Kernmonolog des Films klar, dass die Christianisierung (an Max Weber orientiert die ideologische Grundlage der ursprünglichen Akkumulation) den Trollen eine Kriegserklärung war und sie der Ausrottung preisgab. Kunstwerke wie die Gemälde Theodor Kittelsens haben die Wesen verklärt, so Tidemann.
Er verwendet weder Kleber noch Suppe dafür, aber der greise Kauz spricht Sachen aus der Tagespresse: Der Kampf gegen die Kehrseiten der Industrialisierung, der auf der Kultur-ebene ausgetragen zur destruktiven Kunstkritik gerät.
„Hypernatur“, nennt Tochter Tidemann schwelgerisch das Ding, das aus dem Berg kroch, wenn sie an seinen Spuren schnuppert. Trotz aller Christenmoral metzelten die Besatzer einst die ganze Familie des Trollkönigs nieder, sein Zorn also ist hier mehr als natürlich und gerecht.
Und damit geht Uthaugs Monsterfilm in eine andere Richtung, als es 2010 André Øvredal mit dem Found-Footage-Film „Trollhunter“ tat, in dem die gurkennasigen Bergbewohner noch zur Jagd freigegeben waren, zumal eine Tollwutinfektion die Trolle außerordentlich fremdaggressiv werden ließen. „Hypernatur“ auch hier, aber nicht als romantisch-unbefleckte Kinder von Mutter Erde, sondern als Ausdruck des unzivilisierten Jeder-gegen-jeden. Krieg allenthalben, aber – so sagt das fade B-Movie „Troll“ – niemand ist in der Lage, Gericht zu halten. Schade.
Troll
Norwegen 2022
Regie: Roar Uthaug
Unter anderem mit Gard B. Eidsvold, Ine Marie Wilmann, Kim S. Falck-Jørgensen und Mads Sjogard Pettersen
Streambar auf Netflix