Erst am 1. Oktober dieses Jahres sind die gemeinsamen Corona-Regeln durch Beschluss des Bundesrats für alle Länder in Kraft getreten. Diese sogenannten „Winterreifenregeln“ besagen, dass zur Verhinderung einer Herbst-/Winterwelle im öffentlichen Verkehr – mit Ausnahme des Flugverkehrs – eine Mund-Nasen-Schutzmaske vorgeschrieben ist, im Fernverkehr sogar eine FFP2-Maske. In Krankenhaus und Pflegeeinrichtungen gilt für Besucher neben dem Tragen einer FFP2-Maske auch der aktuelle Nachweis eines zertifizierten negativen Corona-Schnelltests zum Schutz vulnerabler Personen.
Im weiteren Corona-Verlauf des Winters sollen dann die Regeln eventuell ver- oder entschärft werden mit den sogenannten Schneekettenregeln, die zum Beispiel eine FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen oder Personenbegrenzungen bei Veranstaltungen vorsehen. Das beschlossen alle Ministerpräsidenten der Länder. Doch wie schon fast zu erwarten war, tanzt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wieder mal aus der Reihe und zieht Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Hessen gleich mit sich. Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) verkündete daraufhin konträr zu den Beschlüssen der Ministerpräsidenten, dass ab dem 16. November in Bayern die Corona-Isolationspflicht aufgehoben sei, sprich: infizierte und positiv getestete Personen müssen sich nicht mehr mindestens fünf Tage zu Hause isolieren. Lediglich das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in geschlossenen Räumen ist vorgeschrieben, falls sich dort weitere Personen aufhalten, oder im Freien, wenn ein Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden kann. Nach fünf Tagen entfällt auch die Maskenpflicht wieder. Das heißt, in Bayern dürfen infizierte Personen arbeiten gehen, wie auch bei einem grippalen Infekt ohne schwergradige Symptome. Schärfere Vorschriften wie ein Betretungsverbot gelten lediglich für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Massenunterkünfte wie Asylbewerber- oder Obdachlosenheime.
Weltfremd verkündete Holetschek: „Wer krank ist, bleibt zuhause – wie bei anderen akuten Atemwegserkrankungen auch“ und „Wem es möglich ist, der sollte beispielsweise von zu Hause arbeiten und sich so weit wie möglich von anderen Personen im Haushalt fernhalten“. Beschäftigte wissen es besser, dass so etwas nicht so leicht umzusetzen ist. Beispielsweise steigt stetig der Druck auf das Personal in der Gastronomie in Bayern angesichts des Personalmangels, selbst krank zur Arbeit zu gehen. Trotzdem feierte der Minister – im Sinne der Unternehmer – den Wegfall der Isolationspflicht als einen „wichtigen Meilenstein auf dem Weg aus der Pandemie“ und betonte: „Wir lassen der Pandemie keinen freien Lauf. Damit schaffen wir die Balance zwischen Eigenverantwortung und dem Schutz vulnerabler Personengruppen.“ Angesichts von so viel Euphorie wollte Baden-Württemberg nicht nachstehen und verfügte mit Bayern zeitgleich die Abschaffung der Isolationspflicht. Schleswig-Holstein zog einen Tag später nach, obwohl das Land erst am 1. November seine Corona-Regeln aktualisiert hatte. Hessen wird dem Dreigestirn bald folgen.
Bundesgesundheitsminister Heiner Lauterbach (SPD) schießt dagegen und hält das Vorgehen der Länder mit CSU/CDU/Grünen-Regierungen für „verantwortungslos“. Es gibt jedoch derzeit keine eindeutigen medizinischen Daten zur unbedingten Notwendigkeit der Isolationspflicht. Zudem haben gleichzeitig einige EU-Länder wie zum Beispiel Spanien und Österreich oder auch Großbritannien die Isolationspflicht abgeschafft. Es handelt sich vielmehr um politische Ringkämpfe zwischen dem stets vorsichtigen, oft zögerlichen SPD-Lauterbach und dem stets populistischen und neuerdings lockeren CSU-Söder.
Die Folgen dieser Grabenkämpfe dürfen dann am Ende wieder die Arbeiter und Angestellten ausbaden. Nicht nur mit ihrer Gesundheit, sondern schon jetzt wird in Bayern sichtbar, dass das Ende der Isolationspflicht einhergeht mit Einsparungen im öffentlichen Gesundheitsdienst. Zügig werden Stellen in den Gesundheitsämtern abgebaut, die bisher der Kontaktnachverfolgung dienten. Diese Personen werden dann wieder fehlen, wenn im weiteren Verlauf sich neben der derzeitigen Omikron-Variante eine neue gefährlichere Variante ausbreitet oder diese ersetzt. Weiter dringend nötig, fehlt ein öffentlicher Gesundheitsdienst mit ausreichender personeller und apparativer Ausstattung. Die dafür benötigten Milliarden werden für Unternehmensunterstützung und Rüstung „gebraucht“.