Die Coburger Neue Presse titelte am 7.8.2015: „Roter Teppich für Lehrlinge. Junge Menschen haben glänzende Chancen auf dem Ausbildungsmarkt. Für Unternehmen wird die Suche hingegen immer anspruchsvoller“. Sind jetzt wirklich goldene Zeiten für Azubis angebrochen?
Leider widerspricht die Alltagswirklichkeit dem vehement. Allein im vergangenen Jahr gingen über 256000 Jugendliche bei ihrer Suche nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz leer aus und stecken seither im sogenannten Übergangsbereich von Schule und Ausbildung sprich „Warteschleifen“ fest. Viele Hauptschüler bekommen gar keine Chance mehr, weil die meisten Ausbildungsplätze von vornherein für Realschüler oder Abiturienten ausgeschrieben werden. Das passt ganz und gar nicht zum ewigen Gejammer der Betriebe über den angeblichen Fachkräftemangel. Daneben besteht weiterhin die nur scheinbar paradoxe Situation, dass im vergangenen Jahr über 37 000 Ausbildungsplätze unbesetzt blieben.
Sieht man sich die Liste der unbesetzten Ausbildungsplätze aber genau an, stellt man schnell fest, dass diese eine große Ähnlichkeit mit der Liste der Ausbildungsberufe hat, die im Ausbildungsreport der DGB-Jugend seit vielen Jahren schlecht abschneiden.
Die Unternehmen behaupten, diese Stellen könnten nicht besetzt werden, weil es den jungen Menschen an „Ausbildungsreife“ mangele. Viel eher ist es aber so, dass junge Menschen bewusst diese Berufe meiden. Die teils skandalösen Bedingungen, unter denen junge Menschen ihre Ausbildung in diesen Berufen absolvieren, sprechen sich unter den Jugendlichen halt schneller rum als es den Bossen lieb ist. So blieben zum Beispiel 2014 34,4 Prozent aller Ausbildungsplätze für Restaurantfachleute und 19,6 Prozent für Köchinnen und Köche unbesetzt. Dies ist die Quittung für knochenharte Ausbildungsbedingungen und schlechte Ausbildungsqualität, eine extrem geringe Ausbildungsvergütung und spätere Bezahlung. Die vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) lautstark vorgebrachte Forderung nach der Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes und Zwölf-Stunden-Schichten verschlechtert das Image der Branche zusätzlich.
Immer mehr Jugendliche achten bei der Berufswahl auf die Arbeitsbedingungen, die Ausbildungsqualität, Bezahlung und Berufsperspektive. Der gerade jetzt veröffentlichte 10. Ausbildungsreport der DGB-Jugend zeigt: Die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe befindet sich weiter auf Sinkflug. Nur noch jeder fünfte Betrieb bildet aus. Wem es aber gelingt, einen Ausbildungsplatz zu ergattern, gelangt vom roten Teppich nicht ins Lehrlingsparadis. Der Ausbildungsreport belegt, fast 40 Prozent aller Azubis (59 Prozent der Hotelfachleute und 57 Prozent der Köche) werden permanent zu Überstunden verdonnert, ohne den vorgeschriebenen Ausgleich zu erhalten. Neben überlangen Arbeitszeiten, die regelmäßig abends, nachts und an den Wochenenden geleistet werden müssten, haben es Azubis im Gastgewerbe besonders häufig mit einer niedrigen Ausbildungsqualität zu tun. Knapp ein Drittel wird nicht regelmäßig von ihren Ausbildern betreut. Überdurchschnittlich schlecht bewerteten ihre Ausbildung die Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk, Köche, Hotelfachleute, Maler, Lackierer sowie Zahnmedizinische Fachangestellte. Dies, obwohl Überstunden überhaupt nicht in den Ausbildungsrahmenplänen vorgesehen sind.
Die Azubis erteilten dem Berufsschulunterricht schlechte Noten. Nur schlappe 55,5 Prozent der Auszubildenden finden den hier abgehaltenen Unterricht gut bis sehr gut. 14,8 Prozent finden ihn nur ausreichend, wenn nicht gar mangelhaft. Und im dritten Ausbildungsjahr wissen immer noch 44 Prozent nicht, ob sie nach der Ausbildung übernommen werden. Besonders prekär ist die Ausbildungssituation für Azubis mit „Migrationshintergrund“, obwohl sie genauso motiviert und qualifiziert sind wie ihre KollegInnen. Ihre Diskriminierung beginnt bei der Lehrstellensuche und setzt sich in der Ausbildung fort. Zwölf Prozent von ihnen fühlten sich aufgrund ihrer Herkunft bei der Suche nach einer Lehrstelle benachteiligt und rund 22 Prozent von ihnen sind während ihrer Ausbildung mindestens schon einmal diskriminiert worden. Nur rund 15 Prozent der angehenden Bank- oder Industriekaufleute und Mechatroniker sind Immigrantenkinder. Überdurchschnittlich stark vertreten sind Menschen mit Migrationshintergrund auffälliger Weise in jenen Berufen, die bei der Bewertung der Ausbildungsqualität im DGB-Report schlechter abschneiden. Jeder Zweite lernt Zahnmedizinischer Fachangestellter, gefolgt von 40 Prozent in der Friseurausbildung.
„Die Qualitätsmängel in der betrieblichen Ausbildung sind offensichtlich: viele Azubis werden als billige Arbeitskräfte missbraucht“, sagte DGB Bundesjugendsekretär Florian Haggenmiller und fordert: „In vielen Branchen gibt es erhebliche Verstöße gegen Gesetze und Schutzvorschriften. Dagegen brauchen wir klare Rahmenbedingungen, deren Einhaltung ausreichend kontrolliert wird.“ Er kritisiert weiter: „Die im Koalitionsvertrag enthaltene Novellierung des Berufsbildungsgesetzes muss dies berücksichtigen und Regeln für verbindliche betriebliche Ausbildungspläne und besser qualifiziertes Ausbildungspersonal enthalten.“