Unter dem Motto „Wir haben es satt“ sind in Berlin zehntausende Menschen für eine Wende in der Agrarpolitik auf die Straße gegangen. An der Großdemonstration letzten Samstag beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter 33 000 Menschen. Die Polizei sprach von „mehreren zehntausend“ Teilnehmern. Sie forderten unter anderem ein Aus für das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat und riefen die kommende Bundesregierung zu einer neuen Agrarpolitik auf.
„Essen ist politisch, immer mehr Menschen erkennen das“, erklärte der Sprecher des Bündnisses. „Wir haben es satt“ appellierte an SPD und Union, im Falle einer erneuten Regierungskoalition keine Zeit mehr für eine Wende in der Agrarpolitik verstreichen zu lassen und in einem ersten Schritt Glyphosat zu verbieten.
In den Sondierungsgesprächen hatten sich SPD und Union darauf geeinigt, den Einsatz von Glyphosat so schnell wie möglich zu beenden. Und so spielte das umstrittene Pestizid auch auf dem SPD-Sonderparteitag am letzten Wochenende eine Rolle. Partei-Chef Martin Schulz warb für eine neue Große Koalition. In einer möglichen Neuauflage dieser Koalition will Schulz eine härtere Gangart gegenüber der Union fahren. Ein nicht mit der SPD abgestimmtes Abstimmverhalten wie bei der Wiederzulassung von Glyphosat Ende letzten Jahres soll es nicht mehr geben. „Solche Fälle von Vertragsbruch werden wir nicht mehr tolerieren“, sagte Schulz.
Ein Sprecher des von der SPD-geführten Umweltministeriums hatte nach der Abstimmung in Brüssel gesagt, dass Engagement von Ministerin Barbara Hendricks richte sich nun darauf, die Nutzung von Glyphosat in Deutschland so weit einzuschränken und da, wo es geht, auch zu verbieten (UZ berichtete am 7.12.17). Während Wirkstoffe auf europäischer Ebene zugelassen werden, liegt die Zulassung konkreter Pflanzenschutzprodukte in nationaler Hand. Zuständig sind dafür das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und das Umweltbundesamt.
Dass nationale Einschränkungen wahrscheinlich nicht wirken werden, darauf machte schon die österreichische Zeitung Die Presse (29.11.17) aufmerksam. Denn kein Mitglied der Europäischen Union dürfe Lebensmittel aus dem Binnenmarkt, die mit einem erlaubten Herbizid behandelt wurden, verbieten. Insofern könne ein nationales Glyphosatverbot schnell den Protest der Landwirte nach sich ziehen, die sich im europaweiten Wettbewerb benachteiligt wähnen.
Agrarminister Christian Schmidt (CSU) machte unlängst deutlich, dass ein Aus für Glyphosat noch länger auf sich warten lassen könnte. Zuerst müssten Alternativen entwickelt werden, sagte er letzten Donnerstag bei der Branchenmesse Grüne Woche in Berlin. Es gehe um die Entwicklung neuer Wirkstoffe und neuer Formen des Ackerbaus. Der Deutsche Bauernverband (DBV) lehnte ebenso wie der Industrieverband Agrar, der Hersteller von Pestiziden und Herbiziden vertritt, ein Glyphosat-Verbot ab.
DBV-Präsident Joachim Rukwied wurde in seiner Argumentation zynisch. Durch Glyphosat werde auch zum Umweltschutz beigetragen, sagte er. Weil durch das Mittel die Ackerböden weniger gepflügt werden müssten, würde der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid verringert und der Bodenerosion würde vorgebeugt. Dass die Chemikalie für das Insektensterben und den Rückgang der Artenvielfalt verantwortlich gemacht wird, bezeichnete er als „Angstkampagne“.
Der Präsident des Industrieverbandes Agrar, Helmut Schramm, behauptete, für Glyphosat gebe es bisher keinen Ersatz. Das stimmt nicht, denn es sind mehrere, erprobte und genutzte Mittel vorhanden, sie sind teurer und können sich gegen die Monopolstellung von Monsanto mit ihrem „Roundup“ nicht durchsetzen. Das Patent für Glyphosat ist seit Jahren abgelaufen, andere Länder – wie z. B. das große Agrarland China, arbeiten mit solchen Mitteln. Schramm will dagegen, dass das Pestizid über die bislang von der EU genehmigten fünf Jahre hinaus zugelassen wird.
Indessen soll sich im EU-Parlament ein Sonderausschuss mit der Zulassung des Pflanzenschutzmittels beschäftigen, teilte das Parlament letzten Donnerstag mit. Daneben soll generell geprüft werden, wie Pestizide in der EU zugelassen werden und wo möglicherweise Fehler bei der wissenschaftlichen Bewertung der Stoffe drohen. Ska Keller, Fraktionsvorsitzende der europäischen Grünen, forderte in einer Mitteilung, die Parlamentarier müssten beleuchten, welche Faktoren bei der Zulassung von Stoffen entscheidend seien: wissenschaftliche Standards oder Interessen der Agrarkonzerne.