Der Weg in den Krieg
September 1998: Die NATO beschließt militärische Planungen für Bombenangriffe auf Jugoslawien.
15. Januar 1999: Das angebliche „Massaker von Racak“. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer (Grüne) wird später sagen, dies sei für ihn „der Wendepunkt“ gewesen.
20. Januar: In einem Brief an Milosevic weiß Fischer, dass in Racak „eine Hinrichtung von 45 unbewaffneten Personen“ stattgefunden habe. Die Ergebnisse der Ermittlungen liegen erst Wochen später vor.
6. Februar 1999: Die „Internationale Staatengemeinschaft“ droht der jugoslawischen Regierung des Präsidenten Slobodan Milosevic mit Luftangriffen, beordert sie zu einem Treffen mit kosovarischen Separatisten und nennt das „Einladung zu Friedensverhandlungen“: Die Konferenz von Rambouillet beginnt.
23. Februar: Die „Kontaktgruppe“ aus Vertretern der USA, der EU und Russlands legt den Anhang B des Vertragsentwurfes vor. Der sieht vor, dass sich NATO-Truppen in ganz Jugoslawien frei bewegen können – für die jugoslawische Regierung unannehmbar. Die Verhandlungen werden vertagt.
15. März: Die Verhandlungen gehen in Paris weiter. Die NATO droht: Wenn die jugoslawische Regierung nicht unterschreibt, wird sie Bomben werfen.
17. März: Finnische Ermittler stellen ihre Untersuchung zum „Massaker von Racak“ vor. Die Mainstream-Medien sorgen damit für die Empörung, die den NATO-Krieg möglich macht. Später wird sich herausstellen, dass die Ermittler den Medien falsche Schlussfolgerungen nahegelegt haben. Zu den gesicherten Erkenntnissen über das „Massaker“ gehört vor allem, dass die deutsche und die US-Regierung Druck auf die Ermittler ausgeübt haben.
18. März: Unter dem Druck der US-Regierung unterschreiben die kosovarischen Separatisten den „Vertrag von Rambouillet“ – sie haben bisher eine Unterschrift verweigert, weil sie den Kosovo sofort von Jugoslawien abtrennen wollten. Nun konnte die NATO behaupten, Serbien habe eine Einigung verhindert.
23. März: Die serbische Nationalversammlung verabschiedet eine Resolution, in der sie eine weitreichende Autonomie des Kosovo anbietet und auf den souveränen Rechten Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawiens besteht.
24. März: Ab 19.41 Uhr greift die NATO mit 200 Flugzeugen und 50 Marschflugkörpern Ziele in Jugoslawien an.
Deutsche Soldaten werfen Bomben auf Belgrad – mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 zeigten die USA, wie ihre Weltordnung aussehen soll, die Bundesregierung zeigte, dass sie wieder unbefangen in den Kreis der imperialistischen Mächte treten und Truppen in die Welt schicken kann. Den Krieg und die Lügen, die ihn rechtfertigen sollten, beschrieb der kommunistische Kabarettist Dietrich Kittner (1935–2013) in Artikeln und Notizen, die er noch im selben Jahr veröffentlichte: „Aus meinem Kriegstagebuch. Beobachtungen zum Balkankrieg.“ 20 Jahre danach ist das Buch zwar vergriffen, aber immer noch nützlich, um zu verstehen, was hinter der Kriegspropaganda der Mainstream-Medien steckt – UZ dokumentiert Auszüge.
Spaßeshalber habe ich bei der Pressestelle des Parteivorstandes der SPD angerufen, erzählt, mir läge ein Flugblatt vor, das die 98er Wahlprogrammpassage über das alleinige globale Gewaltmonopol der UNO und über die NATO als reines Verteidigungsbündnis zitiere. Ob das eine Fälschung sei, habe ich heuchlerisch gefragt. Mehrfach wurde ich weiter verbunden, weil mir niemand die – mir ja bekannte – Echtheit des Zitats bestätigen will. „Sie werden doch wohl Ihr eigenes Wahlprogramm kennen?“ Es nützt nichts: Man werde mich zurückrufen. – Bis heute ist das nicht geschehen. Vielleicht haben sie das Papier verlegt. Oder vernichtet. Schon damit es der Genoske Scharping nicht zu Gesicht bekommt.
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Finanzminister Eichel hat ein neues „Sparprogramm“ angekündigt. Klar. so ein Krieg ist teuer. Da werden wohl wieder Sozialleistungen gekürzt, Steuern erhöht werden müssen. Dabei könnte es doch auch andersherum gehen: Alle sollen sparen – sparen wir uns den Krieg!
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Ein Pressesprecher des Kriegsministeriums belehrt mich: „Wir machen keinen Krieg. Das ist Nothilfe.“ 17 000 Bombeneinsätze hat die NATO nach eigenen Angaben bisher fliegen lassen und 252 „humanitäre Hilfsflüge“. Als ich einem anderen Presseoffizier gegenüber wage, dies als ein Missverhältnis zu bezeichnen, wird er logisch: „Sie müssen aber auch bedenken, dass die Tornados wesentlich weniger Nutzlast befördern.“ Nutzlast.
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Das jugoslawische Rote Kreuz meldet einen fühlbaren Mangel an Medikamenten; besonders Psychopharmaka benötige man dringend. 50 aufeinanderfolgende Bombennächte im Keller. Das ist Weltrekord.
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Verblüffend eigentlich, dass „die Serben“ immer wieder im ihnen politisch ungünstigsten Augenblick dem Westen einen Grund zum militärischen Eingreifen geliefert haben sollen. Da ist dann immer schon eine Armada von Flugzeugträgern in der Adria aufgefahren, die Bomber stehen auf ihren Flugplätzen bereit, alle Medien berichten vom „in den nächsten Tagen bevorstehenden Militärschlag“ – und prompt, wie bestellt, kommen „die serbischen Gräueltaten“, die binnen Stunden mit der lange vorbereiteten Bombardierung „geahndet“ werden. Das „Brotladen-Massaker“ in Sarajevo zu Anfang des Bosnienkrieges erfolgte in solch einem Augenblick.
Monate später fand sich in Zeitungen – sogar in deutschen! – meist gut versteckt eine Notiz des Inhalts, ballistische Untersuchungen hätten ergeben, es habe sich keinesfalls um ein serbisches Geschoss gehandelt, sondern um eine „verirrte“ bosnische Granate oder Bombe. Aber nun hatten die bosnischen Serben ihre „Strafe“ schon in Form eines Bombardements erhalten – da war es halt Schnee von gestern. Und wer bei uns weiß schon, dass Sarajevo weitaus häufiger unter bosnischem Artilleriefeuer – auch auf muslimische Wohnviertel – lag als unter dem der Serben?
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Bei Orahovac im Kosovo entdeckte Erich Rathfelder von der taz im Sommer 1998 ein „serbisches Massaker an über 400 Albanern – Männern, Frauen und Kindern“. Die Sache machte Riesenschlagzeilen. Peinlich für die taz, dass die UNO dann am „Tatort“ einzig 14 ordnungsgemäß mit Grabkreuzen und Namensschildern versehene Gräber im Kampf gefallener und durch die Serben bestatteter UCK-Leute fand. Die Sache war frei erfunden. Der Krieg musste verschoben werden bis zum „Massaker von Racak“.
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Im November 1998 – mein Gedächtnis ist in solchen Dingen genau – hatte Milosevic das Holbrook-Abkommen unterzeichnet und dessen Inhalt entsprechend seine Truppen weitgehend aus dem Kosovo zurückgezogen. Die mit westlichen Geheimdiensten auf Du und Du stehende UCK hatte bekanntermaßen (in Deutschland: unbekanntermaßen) die Unterschrift verweigert und sie nutzte die Zeit des Vakuums zu Überfällen auf Polizeistationen, Morden an Serben und mehr noch an „serbenfreundlichen“ Albanern, um damit nach eigenem Bekunden Belgrad zu Gegenaktionen zu provozieren und „die NATO zum Handeln zu bewegen“ (so ein NRD-Rundfunkkommentator). Die Rechnung ging auf.
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Racak. Nach allem, was ich bisher Zeitungen entnehmen konnte, glaube ich nicht an ein serbisches Massaker. Die jugoslawische Polizei griff am Morgen des 15. Januar 1999 gegen 9 Uhr das als UCK-Hochburg geltende und von den Separatisten gehaltene Dorf an. Vorab hatte das Polizeikommando OSZE-Beobachter von der geplanten Aktion informiert, ebenso ein Kamerateam der Nachrichtenagentur AP, das die Kampfhandlungen in und um Racak dann auch von Beginn bis zum Ende filmte. Ich kann mich noch gut an die Bilder im Fernsehen erinnern: Polizisten schlichen geduckt an den Häuserwänden entlang, wurden unter Feuer genommen.
Die Kämpfe zogen sich nach übereinstimmenden Berichten bis 16 Uhrbin. Es gab zahlreiche Tote bei der UCK, die auch aus Schützengräben von den umliegenden Abhängen aus feuerte. Gegen 16.30 Uhr rückte die Polizei ab, mit ihr die Fernsehleute. Zwei OSZE-Autos mit amerikanischen Kennzeichen standen den ganzen Tag über auf einem Hügel, von dem aus das Dorf gut zu überblicken ist.
Andere Beobachter und Journalisten haben laut Bericht der französischen Zeitung „Le Figaro“ noch „am späten Nachmittag bei einem Besuch des Dorfes keine besonderen Vorkommnisse bemerkt“. In der Nacht übernahm die UCK wieder die Kontrolle über den Ort.
Am nächsten Morgen zeigten UCK-Leute herbeigerufenen Journalisten in einem Hohlweg einen Berg von 47 Leichen. Soweit kurzgefasst die übereinstimmenden Berichte der Zeitungen „Le Monde“, „Le Figaro“ und des britischen „Guardian“. Letztere zitiert noch einen OSZE-Mitarbeiter: Die Leichen seien offenbar nicht an Ort und Stelle getötet worden. „Schleifspuren und Spuren von Blut und Gehirnmasse ließen darauf schließen, dass die Leichen aus der Umgebung herbeigeschafft worden“ seien. „Die Welt“: „Den Berichten zufolge könnten die unstrittig kosovo-albanischen Toten Opfer der Gefechte des ganzen Tages sein – in der Nacht zusammengetragen und in dem Hohlweg oberhalb von Racak von UCK-Kämpfern ‚fotogerecht‘ zu einem Haufen von mehr als 40 Leichen arrangiert.“
Das ist übrigens auch die Deutung der jugoslawischen Regierung. Mir scheint viel dafür zu sprechen. Hätten „die Serben“ auch Kamerateam und OSZE-Leute ausgerechnet zu einem Massaker eingeladen?
Gegen 13 Uhr erschien von der UCK eskortiert höchstselbst General William Walker, militärischer Geheimdienstmann der USA und Chef der OSZE-Beobachter, um ohne jede Untersuchung unverzüglich ein „serbisches Massaker“ zu konstatieren. Dass es am „Tatort“, wo die Menschen aus nächster Nähe erschossen worden sein sollten, nur unverhältnismäßig wenig Blut gab und viel weniger Patronenhülsen als Tote, focht Walker nicht weiter an. Vielleicht erschießen „die Serben“ eben immer zwei Opfer mit einer Patrone und wischen danach das Blut weg? Man kann es nur noch sarkastisch sehen.
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„William Walker soll nach dem Willen mehrerer europäischer Staaten schnell abgelöst werden. Wie die Berliner Zeitung aus OSZE-Kreisen in Wien erfuhr, verlangen unter anderen Deutschland, Italien und Österreich, dass Walker seinen Posten räumt. Hochrangigen europäischen OSZE-Vertretern liegen diesen Quellen zufolge Erkenntnisse vor, wonach die Mitte Januar im Kosovo-Dorf Racak gefundenen 45 Albaner nicht wie von Walker behauptet einem serbischen Massaker an Zivilisten zum Opfer fielen. (…) Intern, so heißt es bei der OSZE, gehe man längst von einer Inszenierung durch die albanische Seite aus.“ (Berliner Zeitung, 13. 3. 99)
Wen interessiert das heute noch? Der Krieg gegen die „serbischen Mörder von Racak“ läuft doch prima.
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Der ukrainische Gerichtsmediziner Kuzmicov, der die Leichen untersucht hat, erklärt, es habe „kein Massaker von Racak“ gegeben. Den schon länger vorliegenden Bericht einer finnischen Forensikergruppe hält die Bundesregierung – auch (oder gerade?) jetzt nach Kriegsbeginn – strikt unter Verschluss. Da wird doch wohl nicht wieder die sonst auf kuweitische Krankenschwestern spezialisierte Firma Hill und Knowlton die Finger im Spiel haben?
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General Walker scheint mir eine bemerkenswerte Figur. Typ Mann fürs Grobe der USA. Er hat Erfahrung, was Terror und Massaker betrifft. Weniger jedoch wohl mit deren Aufklärung, als offensichtlich mit dem Gegenteil. Unterstützer der terroristischen Contras in Nicaragua, tief in die Iran-Contra-Affäre verwickel; laut UNO-Bericht Schirmherr des mutmaßlichen Drahtziehers der Ermordung von Erzbischof Romero in San Salvador. Das Massaker der salvadorianischen Armee 1989 an sechs Jesuiten und zwei Frauen, das Weltschlagzeilen gemacht hatte, versuchte er zunächst der linken „Befreiungsfront Farabundo Martí“ in die Schuhe zu schieben, obgleich den USA längst die Wahrheit bekannt war.
Fürwahr ein Fachmann für Massaker und für falsche Beschuldigungen! Als in der „Los Angeles Times“ am 14. April ein Artikel über ihn erscheint, schlägt er der Zeitung folgenden Titel vor: „Ehemaliger Zeitungsausträger der L. A. Times startet Weltkrieg III im Kosovo.“ Wie kommt er auf so etwas? Ist das die langfristige Überlegung seines Chefs im Weißen Haus? Undenkbar, möchte man meinen. Aber für einen makabren Scherz nun doch wieder zu präzise.
Es ist bekanntermaßen ja schwierig, einen Amerikaner davon zu überzeugen, dass es sich bei Oslo keinesfalls um einen Vorort von Rom handelt. Möglicherweise hält Walker Racak, auch wenn es keinen Sender besitzt, für das Gleiwitz des Balkans?
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Natürlich gibt es eine Menge aus Sicht der USA guter Gründe. Die NATO soll allen möglicherweise nochmal aufmüpfigen Staaten zeigen, wer der Herr ist. Der Ring um Russland – für die NATO immer noch wichtig – soll an seiner letzten Lücke geschlossen werden.
Und dann: Es gibt in Belgrad keine Börse! Wie könnten die Konzerne hier anders Fuß fassen? Nach dem gewonnenen Krieg wird dann „abgewickelt“ und „aufgebaut“. Auf den jetzt zerbombten Öltanks in Novi Sad steht dann Shell und Esso statt INA und Petrol, in Kragujevac wird anstelle von Zastava der „Golf“ produziert, und die für das amerikanische Lebensgefühl unerträglichen traditionellen balkanischen Cevapcici und Pleskavica werden endlich zu Hamburgern mit dem großen M. Die großen Baufirmen stehen wohl auch schon Bagger bei Fuß für den Wiederaufbau. Aufschwung Südost. Ein „Marshall-Plan“ ist ja bereits angekündigt.
Der schnelle Weg zum kaukasischen (oder gar irakischen?) Öl – so hat Hitler 1941 seinen Befehl zum Angriff auf Jugoslawien begründet.
Mit freundlicher Genehmigung des Neue Impulse Verlag