Bund und Länder erschaffen Zwei-Klassen-Gesellschaft unter Geflüchteten

Gleiches Leid, ungleiche Hilfe

Anfang April ist ein weiteres Boot mit Flüchtenden im Mittelmeer gesunken. Fast 100 Menschen starben. Die Außengrenzen der EU bleiben tödlich verschlossen. Noch immer harren Schutzsuchende in überfüllten Elendslagern aus. Für die Flucht aus der Ukraine werden bessere Bedingungen versprochen. Zu diesem Zweck einigte sich die Europäische Union auf die Aktivierung der sogenannten „Massenzustrom-Richtlinie“, um eine unbürokratische Aufnahme von ukrainischen Staatsbürgern zu ermöglichen. Am 7. April berieten Bundesregierung und Ministerpräsidenten über die Situation der Geflüchteten in Deutschland. In den Kommunen wurden die Ergebnisse dieser Konferenz mit Spannung erwartet. Schließlich waren die Landkreise und Gemeinden bereits in Vorleistung getreten, um Unterbringung, Kinderbetreuung und Integrationsleistungen zu organisieren. Wie schon im Jahr 2015 übernehmen die Kommunen die Hauptlast der zu erbringenden Aufgaben, was angesichts der knappen Gemeindekassen zu einer finanziellen Überforderung führt. Einen Tag vor den Beratungen warnte die Gewerkschaft „ver.di“ vor der „extrem angespannten Lage im öffentlichen Dienst“ und forderte Soforthilfen für Städte und Gemeinden sowie den Aufbau einer Infrastruktur, die „zukünftig auf nationale und globale Krisen reagieren kann“.

Die wichtigsten Ergebnisse der Bund-Länder-Runde: Geflüchtete aus der Ukraine erhalten unmittelbar eine Arbeitserlaubnis und sollen ab Juni einen Anspruch auf Grundsicherung nach SGB-II und XII haben. Außerdem wurde der schnelle Ausbau der „Fachanwendung zur Registerführung, Erfassung und Erstverteilung zum vorübergehenden Schutz“ (FREE) beschlossen, um eine zügige Verteilung der Betroffenen auf die verschiedenen Bundesländer zu ermöglichen. Die Freizügigkeit der Ukraine-Flüchtlinge wird also (zumindest für Sozialleistungsbezieher) eingeschränkt. Der Bund erklärte sich außerdem bereit, zwei Milliarden Euro für Länder und Kommunen bereitzustellen. Zur Einordnung dieses Geldbetrages: Der hessische Städtetag kalkulierte die Kosten für Aufnahme, Unterkunft und Integration in einem Positionspapier vom 30. März auf 3.500 Euro pro Monat und pro Geflüchtetem. Legt man die Zahl der 310.000 bisher registrierten Geflüchteten aus der Ukraine zugrunde, würden die entstehenden Kosten bundesweit knapp 1,05 Milliarden Euro im Monat betragen. Das Geld vom Bund wäre demnach spätestens im Mai aufgebraucht. Da die Registrierungen bislang nur langsam und lückenhaft erfolgen, dürfte der reale Finanzbedarf eher darüber liegen.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die bereitgestellten Ressourcen nicht ausreichen, um die menschenwürdige Versorgung aller Geflüchteten abzusichern. Ukrainerinnen und Ukrainer müssen mit anderen Schutzbedürftigen um Wohnraum, Sprachkurse und Kindergartenplätze konkurrieren. Ihr Aufenthaltstitel verschafft ihnen dabei einen objektiven Vorteil. Denn die Verbesserungen im Aufenthaltsrecht und die höheren Sozialleistungen gelten nicht für Asylbewerber aus Syrien, Afghanistan oder den afrikanischen Ländern. Diese Menschen leben zum Teil seit Jahren ohne Arbeitserlaubnis in Sammelunterkünften, sind von Abschiebung bedroht und erhalten nur eine rudimentäre Gesundheitsversorgung. Doch auch die ukrainischen Geflüchteten werden unterschiedlich behandelt. Für Roma-Familien setzt sich die im Heimatland erfahrene Diskriminierung fort, wenn fehlende Ausweisdokumente die Einreise erschweren. Außerdem stranden viele Roma für längere Zeit in Notunterkünften, weil ihnen die Aufnahme andernorts verweigert wird. So geschieht es derzeit in den Messehallen in Riem, obwohl die aus 2.300 Feldbetten bestehende Massenunterkunft nicht für Aufenthalte von über 48 Stunden geeignet ist. Verschiedene Hilfsorganisationen warnen in dieser Gemengelage eindringlich vor der Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Geflüchteten. Die Landesflüchtlingsräte und „Pro Asyl“ forderten die Bundesregierung zudem auf, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und endlich „menschenwürdige Sozialleistungen für alle“ sicherzustellen.

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"Gleiches Leid, ungleiche Hilfe", UZ vom 15. April 2022



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