Die Europäische Union hatte einst in maßloser Eigendarstellung von sich behauptet, das großartigste Friedensprojekt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu sein. Und hatte für diese Heuchelei sogar den Friedensnobelpreis bekommen. Würde die EU von Leuten geführt, die es ehrlich meinten mit dem Frieden, dann hätte sie den Nobelpreis gar nicht erst annehmen dürfen. Seitdem gab es eine Menge Gründe, dem Staatenbund diesen Preis wieder abzuerkennen.
Einen neuen Anlass lieferte die EU am vergangenen Wochenende mit ihrem Brüsseler Gipfeltreffen, zu dem die Türkei als Partner eingeladen war. Dabei ließ sich Präsident Erdogan, der sonst keine Gelegenheit versäumt, sich mit Prominenten aus Politik und Wirtschaft aus aller Welt fotografieren zu lassen, durch seinen Regierungschef vertreten, was seine „Wertschätzung“ für den Brüsseler Verein deutlich macht. Außerdem bestand a priori kein Zweifel daran, daß die Interessen des Sultanats auch durch den Premierminister von Erdogans Gnaden ausreichend vertreten werden. Denn einerseits erschien die EU als Bittsteller, und andererseits war auch klar, dass weder aus Brüssel noch aus den einzelnen Hauptstädten auch nur die geringste Kritik an der Führung in Ankara geäußert werden würde.
Gründe für Kritik gäbe es mehr als ausreichend. Das Militär des Herrn Erdogan führt Krieg im eigenen Land. Große Teile der vorwiegend von Kurden bewohnten Gebiete der Türkei befinden sich im Belagerungszustand, bewaffnete Kräfte des Regimes schneiden ganze Städte und Dörfer von der Außenwelt ab. Willkürliche Razzien und Verhaftungen sind an der Tagesordnung, ebenso politische Morde, wie an einem bekannten Menschenrechtsanwalt just wenige Stunden vor dem EU-Türkei-Gipfel. Regimekritische Zeitungen werden geschlossen, Journalisten verhaftet und mit fadenscheinigen Anklagen vor Gericht gestellt. Zu alledem wurde seitens der politischen Elite der EU kein einziges Wort der Kritik bekannt.
Hinzu kommt, dass das NATO-Land Türkei auch außerhalb der eigenen Grenzen Krieg führt. Die Luftwaffe des Regimes attackiert vermutete Stützpunkte der kurdischen Befreiungsbewegung im Irak und in Syrien. Türkische Kampfflugzeuge US-amerikanischer Herkunft schossen einen russischen Jet ab, weil er angeblich den türkischen Luftraum verletzt haben soll. Diese Behauptung wird außerhalb der Redaktionen von Springers „Bild“ und Publikationen ähnlicher Ausrichtung kaum noch ernst genommen, zumal inzwischen publik wurde, dass türkische Kampfflugzeuge bis zu 40 Mal täglich den griechischen Luftraum verletzen.
Und mit diesem Regime schließt die EU einen Pakt zur „Abwehr der Flüchtlingsströme“! Damit Ankaras Truppen die Außengrenzen der EU abschotten helfen und syrische Flüchtlinge im Land behalten werden, wird dem Regime ein Betrag von drei Milliarden Euro versprochen. Ausgerechnet einem Staat, der ein großes Maß an Schuld dafür trägt, dass überhaupt so viele Menschen aus Syrien fliehen, indem er Waffen, Ausrüstung und Rekruten für den IS und andere Gotteskrieger ungehindert über die Türkei nach Syrien einsickern lässt. Die Türkei selbst liefert Waffen nach Syrien, und sie hilft dem IS beim Schmuggeln von Öl, um dessen Kassen zu füllen.
Wenn also die Spitzen der Europäischen Union das türkische Regime hofieren und ihm allerhand Versprechungen machen, dann ist das nicht nur eine Heuchelei sondergleichen, sondern die offene Billigung von Kriegstreiberei und Verletzung von grundlegenden Menschenrechten. Oder auch gewöhnliche Kumpanei.