Das neue „Gießener Echo“ ist erschienen

Gießener Staatsräson: Kritik an Israels Regierung antisemitisch

Die aktuelle Ausgabe des „Gießener Echo“, der Zeitung der DKP Gießen, befasst sich unter anderem mit einem Angriff der Gießener Stadtverordnetenversammlung auf die Meinungsfreiheit:

Am 19. Februar fand in Gießen die Demo „Antirassismus zum Hanau-Anschlag“ von vor vier Jahren statt. Die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen soll ein Schild getragen haben, auf dem „Ob Hanau oder Gaza, Rassismus hat System – Kapitalismus ist das Problem“ stand. Daraufhin die Stadtverordnetenversammlung (StVV) am 22. Februar einen Dringlichkeitsantrag behandelt, der mit nur einer Gegenstimme und vier Enthaltungen verabschiedet wurde. „Der Magistrat (…) wird aufgefordert zu prüfen, wie darauf hingewirkt werden kann, dass die Vermietung städtischer Flächen an Gruppen wie die sogenannte Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (Kurz: ARAG), die auf Veranstaltungen und in ihrer Öffentlichkeitsarbeit ihre Ablehnung zum Existenzrecht Israels deutlich zum Ausdruck bringen, unterlassen wird.“

Es stellt sich die Frage, wie die StVV zu der Annahme kommt, ARAG stelle das Existenzrecht Israels in Frage. Nach unserem Kenntnisstand gibt es hierzu keine Verlautbarung der Gruppe, und auch die Antragsteller haben dafür keinen einzigen Beweis vorgelegt. Kritik an der israelischen Regierung und der praktizierten Siedlungspolitik hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Selbst Friedrich Merz (CDU) hat betont, dass es sich bei Kritik an Israel nicht um Antisemitismus handle: „Das fällt in diesem Land – Gott sei Dank – unter Meinungsfreiheit.“

Es geht hier nicht um Bekämpfung von „Antisemitismus“. Unter dem Vorwand, die „Demokratie zu verteidigen“, werden abweichende Meinungen weiter eingeschränkt.

Die Sprache derer, die meinen, die Demokratie verteidigen zu müssen, verrät, was zu erwarten ist. Da fallen Begriffe wie „Bekämpfen“, „Entfernen“, „Zerschlagen“, „Austrocknen“. Das sind die Begriffe derer, die sie vorgeblich ausmerzen wollen. Der Staat müsse „Extremisten auf allen Ebenen die Grenzen aufzeigen“, und natürlich sollen „diejenigen, die den Staat verhöhnen (…) es mit einem starken Staat zu tun bekommen“. In Zukunft: Meldestellen, Früherkennungseinheiten, Ausforschung von verdächtigen Kontobewegungen, Ausbau des „Verfassungsschutzes“, der Polizei- und Ordnungsbehörden. Sogar Gewerbe- und Gaststättenaufsicht reihen sich ein.

Der „Verfassungsschutz“ will bundesweit ausschwärmen, um verbale und mentale Grenzverschiebungen aufzuspüren, allzeit bereit jeden Stein umzudrehen. Warum übrigens jetzt und nicht zu Zeiten der NSU-Mörderbande? Wer glaubt, Meinungsfreiheit finde ihre Grenze allein im Strafgesetzbuch, sieht sich getäuscht. Ab sofort wird sich der Staat um all die Unfolgsamen kümmern, die unter der Strafbarkeitsgrenze missliebige Meinungen verbreiten und dazu noch die Dreistigkeit besitzen, zu wissen, was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt.
Man beachte: Was richtig und was falsch ist, weiß allein die Regierung. Es wird alles abgeräumt, was der bürgerliche Staat in 175 Jahren an rechtsstaatlichen Prinzipien zusammengebracht hat: der Schutz der Meinungsfreiheit, die Unschuldsvermutung und der Grundsatz, dass es ohne Gesetz keine Strafe geben darf.

So auch in Gießen: Räumlichkeiten sollen nach der Entscheidung des Stadtparlaments nicht an die ARAG vermietet werden, obwohl dies juristisch nicht überprüft wurde.

Dieser Beitrag stammt aus „Gießener Echo“, Ausgabe März 2024. Die Ausgabe zum Download:

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