Duygu, Fernando und Ronnie Tito – so nennen sich drei Rider, die 2021 nach einem verbandsfreien Streik vom Lieferdienst Gorillas gekündigt worden waren. Sie haben bislang erfolglos gegen ihre Kündigungen geklagt. Jetzt haben die drei Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg erhoben.
Um ihre Wiedereinstellung geht es dabei nicht, Gorillas hat seinen Betrieb in Deutschland Mitte Mai eingestellt. Sie wollen das restriktive Streikrecht in Deutschland ausweiten. Aktuell dürfen hierzulande nur tariffähige Gewerkschaften zu Streiks aufrufen – nicht qua Gesetz, sondern durch Rechtssprechung.
Die geht auf den Faschisten Hans Carl Nipperdey zurück. Vor 1945 arbeitete der an der „Akademie für Deutsches Recht“ daran, NSDAP-Programmatik in Gesetze zu gießen. Nipperdey kommentierte zudem das Gesetz zur „Ordnung der nationalen Arbeit“. Nach 1945 wurde er erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts. Seine faschistische Gesinnung prägt das bundesdeutsche Arbeitsrecht bis heute.
Das De-facto-Verbot verbandsfreier und politischer Streiks widerspricht allerdings der Europäischen Sozialcharta. Die lässt Streiks nicht nur im Rahmen von Tarifverhandlungen zu, sondern „im Fall von Interessenkonflikten“. Schon mehrfach kritisierte der Europäische Ausschuss für soziale Rechte (EASR), der die Einhaltung des Streikrechts überwacht, „dass das Verbot aller Streiks, die nicht auf die Erzielung eines Tarifvertrags abzielen, eine übermäßige Einschränkung des Streikrechts darstellt“. Duygu, Fernando und Ronnie Tito hatten für gleichen Lohn für gleiche Arbeit gestreikt, nicht für einen Tarifvertrag. Der EASR bemängelt auch, dass Beschäftigte in der BRD nicht „problemlos und ohne unangemessene Anforderungen oder Formalitäten eine Koalition zum Zwecke eines Streiks gründen können“. In einem Beitrag in der „jungen Welt“ vom 19. Dezember schreibt der Rechtsanwalt Benedikt Hopmann, die Rider hätten sich zur Vorbereitung ihres Streiks zusammengeschlossen. Welche Kriterien eine solche Koalition erfüllen muss, um zu Streiks aufrufen zu dürfen, habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch nicht entschieden. Hopmann vertritt die klagenden Rider.
Weil das Streikrecht Richterrecht sei, könne es nur durch „gezielte Grenzüberschreitung“ verändert werden. Eine solche Grenze überschritten Duygu, Fernando und Ronnie Tito mit ihrem Streik. Eine geographische haben sie mit der Beschwerde in Straßburg passiert. Sollten sie Erfolg haben, könnte das Urteil die Grenzen des Streikrechts in der BRD zugunsten der Beschäftigten verschieben.