Ein Dozent betreut 67 Studierende – GEW fordert mehr Geld für Hochschulen

Gewollte Misere

Von Herbert Becker

Der Deutsche Hochschulverband hat aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Situation an den Hochschulen bekannt gemacht. Dabei geht es um die sogenannte „Betreuungsrelation“, d. h. das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden in absoluten Zahlen. Während sich die Zahl der Universitätsprofessoren auf 26 927 nur leicht gegenüber den Vorjahren erhöhte, stieg die Menge der Studierenden auf mittlerweile 2,75 Millionen an. Im Klartext bedeutet das, dass jeder Lehrende, ob er nun eine C4-Professur hat, ein sogenannter „Juniorprofessor“ ist, Privatdozent oder den alten Titel eines Akademischen Rates hat, mehr als 100 Studierende zu betreuen hat.

Im Durchschnitt, da in den Massenfächern wie BWL, Jura oder „auf Lehramt“ dieses Verhältnis noch viel krasser ausfällt, kommt eine Zahl von 67 StudentInnen auf eine Lehrkraft, noch vor einigen Jahren lag diese Verhältnis bei 60 zu 1. Besser sieht es im zweiten Teil des Medizinstudiums aus – worüber wir erleichtert sind – und in einigen „Orchideenfächern“ wie Japanologie, Finnlandistik oder Ägyptologie. Leider ist aus dem Zahlenmaterial des Statistischen Bundesamtes nicht zu ermitteln, wie hoch der Anteil der Professoren ist, die überhaupt keinen Lehrauftrag haben, weil sie nur in der Forschung tätig sind oder deren Aufwand für die Studierenden sehr gering ist. Nach vorsichtigen Schätzungen kann man aber davon ausgehen, dass rund 5 bis 6 Prozent der Akademiker sich ohne einen Lehrauftrag an den Hochschulen tummeln, was natürlich bedeutet, dass die eigentliche Betreuungsrelation noch schlimmer aussieht.

Übrigens: Schlusslicht bei diesen Verhältnissen ist das Land NRW, während Bremen und Berlin sich noch ein wenig besser darstellen.

Im internationalen Vergleich, so zu finden über Veröffentlichungen der Europäischen Kommission zu Hochschulranking, sind die Universitäten und Fachhochschulen der Republik eher im Mittelfeld oder auch im letzten Viertel zu finden. Hier finden sich eher Einrichtungen aus Frankreich, den Niederlanden, Italien und Finnland. Spitze sind deutsche Unis nur bei einem Vergleich, nämlich bei den Zahlen zum Thema „Gemeinsame Publikationen mit Wirtschaft und Industrie“, hier machen München, Nürnberg und Reutlingen die Spitzenplätze unter sich aus.

Diese Misere passt haargenau in die Hochschulpolitik von Bund und Ländern: Magere finanzielle Ausstattung der Hochschulen, wenn überhaupt gefördert wird, dann in der „Exzellenzinitiative“, Stellenabbau im akademischen Mittelbau, ein schneller Durchlauf bis zum Bachelor, wer keine Drittmittel aus Industrie und Wirtschaft einbringt, gefährdet seinen zumeist ohnehin nur befristeten Vertrag. Und ganz sauer reagieren die Herrschenden, wenn Forderungen laut werden nach Förderung zum selbstständigen Denken oder nach dem Bildungsauftrag, der doch angeblich seit Humboldts seligem Andenken das oberste Gebot akademischen Lebens sei.

Der Bitte um eine Stellungnahme kam das Bundesministerium für Bildung und Forschung leider nicht nach, die verantwortliche Ministerin Johanna Wanka hat sich zuletzt 2015 in einer Sonntagsrede ohne Plan und Ziel dazu geäußert.

Die GEW fordert in ihrer „Wittenberger Erklärung“ aus dem September 2016, dass allein an den Universitäten die Zahl der Professorinnen und Professoren in den nächsten zehn Jahren um über 80 Prozent auf mehr als 43 000 erhöht werden muss, um die weiterhin auf hohem Niveau bleibende Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger angemessen ausbilden und betreuen zu können. Des Weiteren heißt es in dieser Erklärung, dass die Lehre inzwischen überwiegend von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Lehrkräften geleistet wird, die nur selten eine dauerhafte Anstellung erhalten, zunehmend auch von Lehrbeauftragten, die semesterweise für einen Apfel und ein Ei oder ganz unentgeltlich angeheuert werden.

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"Gewollte Misere", UZ vom 27. Januar 2017



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