Kunst ist nicht interesseloses Wohlgefallen

Gewissenstrommler

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Peter Michel

Gewissenstrommler

20 Essays zur bildenden Kunst aus den Jahren 1994 – 2018

Verlag Wiljo Heinen

270 Seiten

22 schwarz-weiße Abbildungen

Taschenbuch, 14,00 €

Peter Michel, ein engagierter, kritischer Kopf, lebt und arbeitet als Kunstwissenschaftler und Ausstellungsmacher in dieser Republik. Mitte Oktober feierte er seinen 80. Geburtstag, er ist unermüdlich tätig als Publizist, zuletzt erschien von ihm eine zweibändige Sammlung über „Künstler in der Zeitenwende“. Nun ist ein neues, klug gestaltetes Buch erschienen mit Essays zur bildenden Kunst der Jahre 1994 bis 2018 mit dem schönen, hinweisgebenden Titel „Gewissenstrommler“. Ein solcher ist Peter Michel, er hat sich jahrzehntelang mit Ignoranz, mit den leider nicht verschwundenen Haltungen bürgerlicher Denkungsart in der DDR, aber besonders nach der Konterrevolution mit den Versuchen des herrschenden Mainstreams auseinandergesetzt, die Geschichte und die Erfahrungen der sozialistischen Welt vergessen zu machen und zu verunglimpfen.

Mit dankenswerter Genehmigung des Verlages drucken wir aus der Einleitung einen Auszug.

Die Texte dieser Essaysammlung entstanden in den Jahren 1994 bis 2018. Zu dem, was in diesem Nach„wende“zeitraum im Osten Deutschlands geschah, kann man nicht schweigen. Die meisten der folgenden Beiträge – eine Auswahl – beschäftigen sich damit. Sie wurden in der Form belassen, wie sie erschienen, um deutlich zu machen, welcher Weg hinter uns liegt, auch wenn einzelne Fakten mehrfach benannt sind.

Es ist gut und richtig, Kunstwerke aus ihrem oft jahrzehntelangen Depot-Dasein zu befreien. Wer sich als Wissenschaftler mit solchen Sammlungen – nicht nur in Halle – beschäftigt, muss jedoch auch untersuchen, wie diese Konvolute zustande kamen. Manches in der Ankaufs-, Erwerbungs- oder Schenkungspraxis war und ist von Zufällen und gesellschaftlichen Faktoren abhängig. Es gilt, nicht nur vorhandene Bestände in den Blick zu nehmen, sondern die dahinter liegenden Kulturprozesse zu erforschen, dabei die Schwerpunkte richtig zu setzen und z. B. die Entfaltung des dialogischen Prinzips im Verhältnis von Werk und Betrachter – ein wichtiges Merkmal der Kunstentwicklung in der DDR – zu analysieren. Und das muss geschehen, solange noch Künstler leben, die solche Prozesse mitgestalteten.

„Die Vorstellung von einem West-Ost-Einheitsmenschen ohne Erinnerung an Gewesenes ist ein lächerliches Phantom“, schrieb der Karikaturist Harald Kretzschmar. „Und eine Öffentlichkeit ohne die Stimme maßvoll abwägender und dennoch mahnend anklagender kluger Intellektueller bleibe uns bitte erspart!“ Eine tabula rasa, wie sie in der unmittelbaren Nach„wende“zeit von westlichen Machteliten angestrebt war, ist nicht entstanden.

Die Kunst aus der DDR ist nicht, wie der Kurator einer Ausstellung mit dem Titel „60 Jahre – 60 Werke“ wünschte, wie „ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunstet“. Zu viele „Gewissenstrommler“ haben dagegen gehalten und werden weiter gegen Wände des Unverstandes anrennen.

Vor der X. Kunstausstellung der DDR hatte das Ministerium für Kultur Atelierbesuche veranlasst, um noch weitere Arbeiten unter Vertrag zu nehmen, darunter auch „Die Rosa“. Heidrun Hegewald vollendete termingerecht das Werk und meldete es zur Abnahme an. Doch niemand vereinbarte trotz ihrer Mahnungen einen Termin mit ihr, sodass es für die Jury nicht eingereicht werden konnte. Man wollte dieses Bild offensichtlich der X. Kunstausstellung „ersparen“. Über die Gründe kann man spekulieren, denn Rosa Luxemburg zeigt sich nicht in einer heroischen Verklärung, sondern als kluge, selbstbewusste, verletzliche Frau, die trotz ihrer körperlichen Behinderung von innerer Schönheit ist und ihr Herz öffnet. Sicher hatte man auch deshalb Bedenken, weil in der Vor„wende“zeit die Oppositionellen Rosa Luxemburgs Wort von der Freiheit, die immer die Freiheit der Andersdenkenden sei, für sich in Anspruch nahmen. Dieses Bild wurde schließlich – über den Kopf der Künstlerin hinweg – dem Schweriner Museum übereignet. Heute gehört es dort zu den wichtigen Gemälden aus der Kunst der DDR-Zeit.

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"Gewissenstrommler", UZ vom 2. November 2018



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