Gewinner sind Verlierer

Hans-Peter Brenner zu Mark Rutte, der nach sechs Punkten Verlust zum triumphalen Sieger der niederländischen Parlamentswahl ausgerufen wird

Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der DKP

Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der DKP

Holland und das Wahlergebnis: eine verkehrte Welt oder Triumph des „Postfaktischen“ So sollte man meinen. Mit einem Verlust von acht seiner bisher 41 Parlamentssitze wird der bisherige niederländische Ministerpräsidenten Mark Rutte als geradezu „triumphaler“ Sieger der Parlamentswahl gefeiert. Dabei sackte Ruttes „VVD“ von 27 Prozent auf 21,3 Prozent ab. Bei jeder anderen Wahl würde dann von einer „krachenden Niederlage“ gesprochen werden.

Der „Sieger“ – offenbar selbst überrascht von seinem „Erfolg“ und dem Triumphgeschrei seiner Anhänger – erinnert mich eher an einen der zahlreichen humpelnden, grün und blau geprügelten römischen Legionäre aus den Asterix-Obelix-Geschichten, der nach Verlust der meisten seiner Zähne seinem Centurio nur noch zulispeln kann: „Caesar kann stolz auf uns sein. Die beiden Gallier werden Rom jetzt in Ruhe lassen!“

„Vae victis“ („Wehe den Besiegten“) so hat mein Beinahe-Namensvetter, der gallische Heerführer „Brennus“, nach dem Sieg über die römischen Truppen an der „Allia“ im Jahre 387 den unterlegenen Tribun Quintus Sulpicius Longus ruppig angeraunzt. Der Verlierer hatte sich über das zu hohe Lösegeld von 1000 Pfund Gold beschwert und Brennus vorgeworfen, dass der beim Auswiegen falsche Gewichte benutzt habe. Und was machte mein „Urahn“? Er wirft zusätzlich noch sein Schwert auf die Waage. „Vae victis!“ So was nennt man wohl „Machtpolitik“.

Rutte, dem geschlagenen Sieger, müsste man zurufen „Vae Victoribus! – Wehe solchen Siegern. Das gilt aber nicht in erster Linie für Rutte als Person, der jetzt zusehen musste, wie sein Hauptpartner, die niederländischen Sozis von der Partei der Arbeit, faktisch ausgelöscht wurden. Mein „Vae Victoribus!“ gilt vor allem dem Teil seiner Wähler, die meinten mit der Wahl des kleineren Übels „das Schlimmste“ verhindert zu haben: den EU-Austritt auch noch der Niederlande. Der schwarze Tag, den Brennus dem aufstrebenden römischen Imperium zugefügt hatte, mag den EU-Propagandisten und EU-Fans zwar für den Moment erspart geblieben sein.

Doch ihr Kinderglaube, dass die Zerrüttung und die Widersprüche in der imperialistischen Konstruktion EU damit gestoppt wären, wird keinen Bestand haben. Das muss auch denen in der BRD in und bei der Partei „Die Linke“ zugerufen werden, die jetzt von einem „Neustart“ der EU schwärmen. Ich bedauere beinahe meinen früheren politischen Weggefährten aus Studentenzeiten, Steffen Lehndorff, wenn auch er auf seine alten Tage solchen Kindermärchen neues Leben einhauchen möchte und offenbar ähnlichen Tagträumen anhängt wie jetzt (schon wieder) Alexis Tsipras. Der schwärmt nun plötzlich von einem „Europa der vielfältigen Möglichkeiten“. Er scheint als ehemaliger „Jungkommunist“ nichts, aber auch gar nichts von der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung im Imperialismus, von den innerimperialistischen Widersprüchen, stärkeren und/ oder schwächeren „Kettengliedern“ im System des Imperialismus gehört oder behalten zu haben. Und nichts von der einfachen, aber so klaren Erkenntnis Lenins, dass es die ökonomische Macht ist, die die Basis der politischen Macht darstellt – und nicht der fromme Wunsch nach mehr „Gerechtigkeit“ innerhalb der EU.

„Vae somnambulibus!“ („Wehe den Tagträumern!“) möchte ich ihm und anderen seiner Gesinnung zurufen. Denn zum einen hat die Partei des „Verlierers“ und ehemaligen Parteifreundes von Rutte, G. Wilders, mit 13,1 Prozent einen Zugewinn von 3 Prozentpunkten und ein Plus von 5 Sitzen eingeheimst und sieht keinesfalls aus wie ein Geschlagener. Und zum anderen werden die eigentlichen Chefs und Bosse der EU in Berlin ihr Projekt des „Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten“ dermaßen zügig durchsetzen, dass den Millionen Verlierern dieser europäischen Integration noch Hören und Sehen vergehen wird.

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"Gewinner sind Verlierer", UZ vom 24. März 2017



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