Eigentlich standen Tarifverhandlungen bevor. Stattdessen teilte Amazon seinen Beschäftigten in Québec mit, dass sie alle entlassen werden sollen.
Die Arbeiterinnen und Arbeiter des Warenlagers DXT4 werden von der Gewerkschaft Confédération des Syndicats Nationaux (CSN) vertreten. Die gewerkschaftliche Organisierungskampagne war hier erfolgreich. Wie an anderen Standorten in Nordamerika und Europa wollten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die niedrigen Löhne und die schlechten Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen in den Amazon-Lagern wehren.
„Schreckliche Arbeitsbedingungen, häufige Arbeitsunfälle und niedrige Löhne sind für Amazon auf der ganzen Welt zur Norm geworden“, so die Gewerkschaft CSN. Im April letzten Jahres wurde DXT4 nach einem zweijährigen Kampf zum ersten gewerkschaftlich organisierten Lager in Kanada.
Nach Angaben der kanadischen Arbeitsschutzbehörde (Workplace Safety and Insurance Board) verzeichnete „Amazon Canada Fulfillment Services“, das Unternehmen, das die Amazon-Lager in Kanada betreibt, im Jahr 2022 mehr als 1.300 Arbeitsunfälle, die zu Zahlungen von Schmerzensgeld in Höhe von mehr als 4,4 Millionen Dollar an die Beschäftigten führten.
Die US-amerikanische Arbeitsschutzbehörde (Occupational Safety and Health Administration) deckte auf, dass Amazon die Meldung von Arbeitsunfällen systematisch unterdrückt. Die gleiche Unkultur herrscht auch in den kanadischen Betrieben des Konzerns. Amazon-Beschäftigte, die sich bei der Arbeit verletzen, werden in der Regel nicht zu einem unabhängigen Arzt geschickt, sondern zu einem Betriebsarzt. Die Folge ist, dass Unfälle häufig nicht gemeldet werden.
Die Beschäftigten in Québec hatten erwartet, in den Tarifverhandlungen ein erstes Angebot von Amazon zu erhalten. Stattdessen kündigte der Konzern an, dass er in den nächsten zwei Monaten an sieben Standorten in der kanadischen Provinz Québec alle Aktivitäten einstellen wird. Darunter befindet sich der einzige Standort in Kanada mit einer gewerkschaftlich organisierten Belegschaft. Die gesamte Lagerhaltung, Auftragsabwicklung und Logistik wird an ein Subunternehmen vergeben.
Im Kern gewerkschaftsfeindlich
Die Gewerkschaft CSN, die 300 Beschäftigte in dem Warenlager nördlich von Montreal vertritt, bezeichnete die Entscheidung von Amazon als unlogisch. Sie richte sich gezielt gegen das einzige gewerkschaftlich organisierte Lager des Unternehmens in Kanada. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die angekündigten Schließungen „Teil einer gewerkschaftsfeindlichen Kampagne gegen CSN und Amazon-Beschäftigte sind“, so die CSN-Vorsitzende Caroline Senneville. Dieser Schritt widerspreche zudem den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes von Québec. Die CSN kündigte an, sich dagegen zu wehren.
Was die Einmischung der Kapitalseite in den gewerkschaftlichen Organisierungsprozess angeht, sind die Gesetze in Québec sehr streng. Das Arbeitsgesetz von Québec sieht vor, dass Unternehmen die Aktivitäten einer Gewerkschaft nicht behindern dürfen. Sie dürfen zudem „Arbeitnehmer nicht einschüchtern, bedrohen oder Vergeltungsmaßnahmen gegen sie ergreifen, wenn sie ihre Rechte wahrnehmen“.
Bei der Schließung der Standorte in Québec, wo sich das einzige gewerkschaftlich organisierte Lager von Amazon befindet, handelt es sich laut Gewerkschaft um einen offenkundigen Akt von Union Busting – also um eine systematische Bekämpfung von Gewerkschaften, die sich nicht von weiteren bekannten Fällen südlich der kanadischen Grenze unterscheidet, wo Amazon gegen die Gewerkschaften vorgeht. Ähnlich wie bei Lagern in den USA, darunter in New York und in Bessemer (Alabama), hat Amazon in Kanada viel Zeit und Ressourcen darauf verwendet, die gewerkschaftliche Organisierung von Belegschaften zu bekämpfen.
Die Schließung der Standorte in Québec ergebe ansonsten überhaupt keinen Sinn, sagt die CSN-Vorsitzende Senneville, „weder aus geschäftlicher Sicht noch aus betrieblicher Sicht“. Amazon habe alle Schritte von der Bestellung durch Mausklick bis zur Hauszustellung in das Unternehmen integriert. Die gesamten Lager- und Vertriebsaktivitäten in Québec auszulagern passe da nicht ins Bild.
Es ist offensichtlich, dass Amazon nicht die Absicht hat, sich aus Québec zurückzuziehen. Es handelt sich vielmehr um eine Vergeltungsmaßnahme. Die Botschaft ist eindeutig: Der Konzern soll „gewerkschaftsfrei“ bleiben. Es ist eine Warnung an die Beschäftigten, dass Gewerkschaften nicht toleriert werden und Konsequenzen bis hin zu Massenentlassungen drohen.
Privatisierung und Maximalprofit
Amazon schreibt seinen Erfolg oft dem Geschäftssinn des Unternehmensgründers Jeff Bezos zu. Aber vieles, mit dem sich der Konzern rühmt, wie zum Beispiel seine Liefer- und Paketlogistik, könnte auch von einem öffentlichen Postdienst durchgeführt werden. Die schleichende Privatisierung der Post in vielen Ländern ist eine der wichtigsten Triebfedern für das Wachstum des Konzerns.
Die Kampagne der US-Gewerkschaft „American Postal Workers Union“ (APWU) ist ein Beispiel für den Widerstand gegen die Privatisierung. Die Gewerkschaft kämpft für einen neuen Vertrag, der verhindern soll, dass die Trump-Regierung den U. S. Postal Service privatisiert. Amazons Ziel ist es, auf der „letzten Meile“, also bei der Lieferung bis zur Haustür der Kundinnen und Kunden, ein privates Monopol zu schaffen, das den öffentlichen Postdienst ersetzt beziehungsweise ihm alle lukrativen Geschäftsbereiche entzieht.
Unrentable Geschäftsbereiche sollen hingegen bei den öffentlichen Anbietern verbleiben. Mit anderen Worten: Die Gewinne werden privatisiert, während die Verluste sozialisiert werden. Gleichzeitig soll auf diese Weise wieder einmal „bewiesen“ werden, dass der öffentliche Sektor ineffizient sei.
In Kanada hat Amazon zum Beispiel keine Lager- oder Lieferbetriebe auf der Insel Neufundland. Dennoch ist das Unternehmen dort sehr präsent. Das Problem ist, dass es sich für Bezos’ Unternehmen bei einem so kleinen Markt auf einer Insel nicht lohnt, in Lagerhäuser und Logistik zu investieren. Daher überlässt Amazon dort die Zustellung der Pakete der staatlichen Canada Post und streicht trotzdem den Großteil der Gewinne ein.
Der Marktanteil von Canada Post bei den Zustellungen liegt bei 60 Prozent. Der Rest liegt in den Händen privater Monopole. Als die kanadischen Postarbeiterinnen und -arbeiter im letzten Herbst in den Streik traten (UZ vom 10. Januar), tat Canada Post so, als sei ihr Betrieb „unrentabel“. Es war ein Versuch, die Beschäftigten zu zwingen, bei den Lohnforderungen nachzugeben, um das Unternehmen „wettbewerbsfähig“ gegenüber den privaten Monopolen zu machen.
Unkontrollierte Monopolmacht
Amazon ist ein Meister darin, die Arbeiterklasse zu erpressen. Der Konzern ist aber auch ein Meister im Erpressen von Regierungen und öffentlichen Unternehmen. In Scarborough im Osten von Toronto beispielsweise zwang Amazon die Canada Post, eine neue Sortieranlage auf ihrem eigenen Gelände zu bauen, um Amazon-Pakete zu bearbeiten. Andernfalls – so drohte Amazon – werde man jegliche Zusammenarbeit mit Canada Post einstellen. Die Erpressung in Scarborough hat gezeigt, dass der US-Konzern nicht ohne die indirekte Unterstützung mit öffentlichen Mitteln funktionieren würde.
Jetzt ist nicht die Zeit, vor Amazon und anderen privaten Konzernen einzuknicken. Es ist an der Zeit, die öffentlichen Dienstleistungen, insbesondere die Post, zu verteidigen und auszubauen.