Harry Gmür
Am Stammtisch der Rebellen
Mit Illustrationen von Amy Bollag
Europa Verlag Zürich, 520 Seiten, 28,- Eur
ahrzehnte lang lag der 520 Seiten umfassende Roman von Harry Gmür in seinen geheimen Schubladen. Jener Harry Gmür, der äußerlich wenig Typisches von einem Kommunisten vor sich hertrug. Doch der Schein trog.
Geschrieben wurde der Roman in den Fünfzigerjahren. Abgetippt auf der Hermes-Schreibmaschine hat Gmür sein Werk in den Sechzigerjahren. Er musste geahnt haben, dass sich sein Werk sehen lassen kann. Allein das nötigt heute unsere Bewunderung ab. Seinem Sohn Mario Gmür ist es gelungen, den Respekt heischenden Schwarten beim Europa Verlag AG in Zürich herauszubringen. Und wir stehen nun vor einem Kosmos, der den Namen Zürich trägt. Der Kosmos zeigt uns die Altstadt, ihre Bars und Kneipen, zum Kosmos gehört auch die Welt der Gewerkschaften, seine Chefs von damals, ihr Kampf um einen großen, stadtbekannten Streik. Ein Kosmos ist aber auch das Nuttenmilieu. Und natürlich die Implikationen der Zeit: Kalter Krieg, Hochkonjunktur, Kolonialismus, Antikommunismus. Und die politische Rechtslosigkeit der weiblichen Hälfte der Gesellschaft.
Keine Angst: Harry Gmür denkt nicht klischeehaft, keine Angst, seine Beschreibungen sind nie plump, immer recht intensiv und sehr differenziert. Er ist weit von der Erzählweise eines groben Klassenkämpfers entfernt und doch wird der Klassenkampf drastisch geschildert, wird ein richtiger Kapitalist geschildert und charakterisiert, der rücksichtslos seinen Egoismus auslebt und zudem immer selbstbezüglicher wird. Die für uns heute seltsam anmutende Verschweigung des Ortes, die eigentliche Ortlosigkeit, hinter welcher Zürich steckt, die Geldwährung Krone, die Nichtbenennung des großen Streiks gehören auch zu jener Zeit, in dem der Kosmos sich ständig um sich dreht, denn es herrscht auch Angst in dieser Welt, Angst, die Dinge beim Namen zu nennen.
Harry Gmür erzählt einfühlend von der großen Gewerkschaftsversammlung, an der 1 200 Arbeiter teilnehmen. Die Meister hatten die Forderungen von 15 Cent mit dem Angebot von 2 Cent beantwortet. Wochenlang hatten sie es abgelehnt, zu einer Verhandlung zu erscheinen. Dann haben sie ihre Delegierten geschickt, mit dem Auftrag, die Begehren der Gewerkschaft schlankweg abzulehnen. Die Versammlung gab das Echo mit Wutgeschrei. Der Streik dauerte dann mehrere Wochen. Die Arbeiterschaft war beinahe ausgelaugt danach. Der Sekretär berichtete, die Verhandlungen, die am Vortag vor dem Schlichtungsamt stattgefunden hätten, seien gescheitert. Und die Meister hätten erklärt, die Kosten der Lebenshaltung seien seit einiger Zeit nicht mehr gestiegen. Doch nach Ansicht der ArbeiterInnen ist die Stadt größer, der Arbeitsweg ist länger geworden. Es sei den Malern immer seltener möglich, am Mittag nach Hause zu ihren Frauen zu gehen. Die Ferienentschädigungen seien so knapp, sie würden nie für eine zweite Woche reichen. Wochenlang hätten die Meister es abgelehnt, zu einer Verhandlung zu erscheinen. Sie hätten sich verhalten wie Prinzen gegenüber dem Volk.
Harry Gmür wusste auch, was zu einem großen Roman gehört: eine Liebesgeschichte, eine dramatische, eine tragische außerdem. Doris und Alf. Sie waren in Geldnöten. Doris hat sich zeitweise helfen lassen von einem Windhund. Alf, ein junger Mann, der sich als Künstler versuchte, schwieg dazu. Aber als ihm bewusst wurde, was das süße Mädchen getan hatte, um ihnen beiden aus der Patsche zu helfen, packte er seine Sachen und ging. Das war der jähe Bruch. Das vielleicht Erstaunlichste an dem Roman ist die Tatsache, dass hier das Kollektiv der Gewerkschaft erscheint, dass es aber auch eine durchgehende Heldenfigur, sowohl eine männliche wie eine weibliche, gibt, die mit großer Zartheit beschrieben werden, die jedoch zeitweise auseinander brechen.
Harry Gmür profitierte von seinen fast allabendlichen Forschungsspaziergängen im Stadt-Dschungel, von Bar zu Bar, von Kneipe zu Kneipe. Die Milieuschilderungen sind farbig, lebendig, teilnahmsvoll, ja sogar soziologisch und sozial einsichtig. Was für ein heimliches, lange verschollenes, jetzt wieder erwecktes Meisterwerk! Das Milieu der Trinker, Zinker und Stinker wird mit Anteilnahme gezeichnet. Was die sich einbilden, diese Cadillac-Ziegen! Schau diese schmierige stockblaue Rothaarige an. Sie kann kaum mehr auf den Beinen stehen, und hat eine Gesichtsfarbe – wie frisch gekotzt! Schleimige Kröte. Billige Straßenflöte! Ja, ich weiß über dein Schweineleben Bescheid. Es stellt sich ein billiger Kampf ein um die Lokale, das eine war zu nobel, das andere zu distinguiert. Die billigen Nutten wurden aussortiert. Ich pfeif auf dich, du trüber Molch. Nimm das zurück, du Lumpentier, schrie eine Nutte. Totschlagen hätte man sie sollen. Walfisch-Bar. Flamingo-Bar. Miranda-Bar. Katakombe. Royal-Bar. Glitzernde Schießbuden-Mamsell, die tragen ja ein Kilo Messing und einen halben Glaswarenladen herum. Was für eine triste Amüsierbude.
Als am Ende die junge, schöne Doris tot daliegt und von der in Tränenfluten heimgesuchten Pierina wie ein krankes Kind angesprochen wird, die sie mein Schätzchen, mein Häslein, mein Ärmstes und Liebstes nennt und ihr schwört, sie werde ihr himmeltrauriges Leben für immer ändern. Alf findet seine Doris sehr vertraut und doch fremd und fern. Sie liegt verklärt in einer Reinheit, das kam ihm ganz und gar fremd vor.
Am Ende der 520 Seiten kommen nochmals die Gewerkschafter zu Wort. Die AnführerInnen des Streiks danken der Bevölkerung für die Solidarität und für den endlich errungenen Sieg und die überwältigende Begeisterung. Der Kampf sei vorbei, nun gelte es wieder zu arbeiten, loyal und ehrlich auch mit den Meistern. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung habe mit tatkräftiger Solidarität zu den Streikenden gehalten.