Für deutsche Verhältnisse fast unvorstellbar: sieben Aktionstage der Gewerkschaften seit dem 9. März innerhalb von neun Wochen mit hunderten Kundgebungen und Demos im ganzen Land und jeweils mehreren hunderttausend Teilnehmern, gemeinsam mit dem nationalen Studentenverband UNEF und den Schülerverbänden UNL und FIDL. Dabei gibt es in Frankreich kein Streikgeld, jede Stunde Streik schlägt sich per Lohnabzug unmittelbar im Portemonnaie der Streikenden nieder.
Es geht um die Abwehr einer von Staatschef Hollande und seiner Regierung gewollten „Arbeitsrechtsreform“, die zu Recht als ein „Rückschritt ins 19. Jahrhundert“ bewertet wird. Kernbestandteil: Vereinbarungen auf Betriebsebene zu Arbeitszeiten, Überstunden, Urlaub und Freizeit, Kündigungsschutz und Entlassungen – also dort, wo die einzelnen Belegschaften gegenüber den Unternehmern in der schwächeren Position sind – sollen künftig grundsätzlich Vorrang haben vor Branchen- und Flächentarifverträgen und sogar vor staatlichen Gesetzen – neoliberale Unternehmerfreiheit pur.
Obwohl die „reformistischen“ Gewerkschaften CFDT und CFTC aus der Kampffront ausscherten und mit massiven Polizeieinsätzen gegen „Gewalttäter“ in den Demo-Zügen, mit Pfefferspray und Tränengas ein Klima der Angst geschürt wurde, gelang es nicht, den Widerstand zum Abflauen zu bringen. Um das Gesetz in erster Lesung in der Nationalversammlung durchzubringen, griff Regierungschef Valls zu einem der undemokratischsten Artikel der französischen Verfassung (Art. 49,3.). Demnach gilt ein Gesetz ohne formelle Abstimmung im Parlament als beschlossen, wenn die Regierung nicht innerhalb von zwei Tagen durch ein Misstrauensvotum gestürzt wird. Aber auch das half nicht.
Nach dem siebten Aktionstag am 19. Mai ging die gewerkschaftliche Gegenwehr zu einer neuen Stufe über. Ein wöchentlich wiederholbarer zweitätiger Streik der Eisenbahner und Streiks in Nahverkehrsbetrieben, Hafenanlagen, Raffinerien und Chemiebetrieben verknüpfte sich mit der Blockade von Raffinerie- und Hafenzufahrten und wichtigen Straßenverbindungen. In einigen Departements rationierten die Präfekten den Verkauf von Benzin. Regierungschef Valls drohte mit gewaltsamen Polizeieinsätzen gegen die Blockaden. Aber die Lkw-Fahrer erreichten mit ihren Straßenblockaden und einer „Aktion Schneckentempo“ schließlich sogar eine schriftliche Zusage des Verkehrsministeriums, dass das neue Gesetz für die Überstundenregelung im Lkw-Verkehr nicht gelten werde.
Die Gewerkschaften nahmen das aber nicht als Signal zum Aufhören, sondern als Zeichen dafür, dass sich Kämpfen lohnt und die Regierung auch zu größeren Rückzügen, zur generellen Rücknahme des sozialreaktionären „Arbeitsgesetzes“ gezwungen werden kann. Für den 26. Mai war ein weiterer landesweiter Aktionstag und für den 17. Juni, den Tag der ersten Beratung des Gesetzes im Senat, ist eine große zentrale Demonstration in Paris angesetzt.