Die von Neonazis, Rassisten und anderen extremen Rechten begangenen Straftaten sind im letzten Jahr erneut deutlich angestiegen. Wie das Innenministerium in der letzten Woche auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) bekannt gab, sollen nach bisherigem Stand für 2019 insgesamt 22.337 Delikte mit rechtsextremen Hintergrund von den Behörden erfasst worden sein (2018: 20.431). Die endgültige Anzahl der Straftaten will das Bundesinnenministerium im Mai veröffentlichen.
Kritik am Vorgehen der Behörden mit rechten Straftäterinnen und Straftätern äußerte die Innenpolitikerin Ulla Jelpke, die für die Partei Die Linke im Bundestag sitzt. „Einerseits scheinen die Ermittlungsbehörden derzeit ernsthaft darum bemüht, einige der gefährlichsten und unkontrollierbarsten faschistischen Untergrundzellen wie die sogenannte Gruppe S. auszuheben. Doch andererseits geht die Linie des Vertuschens und Verschleierns von faschistischen Netzwerken in Bundeswehr und Polizei weiter“. Sie könne sich so nicht des Eindrucks erwehren, dass es primär darum gehe, tickende Zeitbomben zu entschärfen, während weiterhin eine schützende Hand über rechte Strukturen im Staat gehalten werde.
„Bezeichnend“ sei zudem, „wie einer Naziorganisation wie Combat18, deren Name bereits als Kampfgruppe Adolf Hitler decodiert werden kann, durch ein Verbot mit Vorankündigung monatelang Zeit gegeben wurde, Beweismaterial wie Waffen und Propagandaschriften bei Seite zu schaffen“. Eine Zerschlagung des faschistischen Untergrunds müsste wahrlich anders ausschauen, monierte die Innenpolitikerin. Auch werde „weiterhin – wie wir beim Massaker in Hanau gesehen haben – versucht, den faschistischen Terror als Werk von psychisch kranken Einzeltätern zu verharmlosen, ohne zu erkennen, dass die Stichwortgeber solcher Terroristen längst in den Parlamenten sitzen“, kritisierte Jelpke auf UZ-Anfrage.
Tatsächlich hatten die Verantwortlichen in Politik und Sicherheitsbehörden nach nahezu jedem der in den letzten Monaten von Nazis begangenen Morde – wie etwa beim antisemitisch intendierten Amoklauf von Halle (Saale) und den rassistischen Mehrfachmorden von Hanau – betont, nun aber wirklich ernsthaft gegen militante Faschisten vorzugehen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte den Kampf gegen rechts nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im Juni des letzten Jahres gar als „Staatsräson“ bezeichnet. Passiert ist bisher jedoch so gut wie nichts.
Ein weiteres Beispiel: Erst am Abend des 7. April wurde der 15-jährige ezidische Kurde Arkan Hussein Khalaf im niedersächsischen Celle von einem 29-jährigen Deutschen ohne Vorwarnung angegriffen und mit einem Messer schwer verletzt. Kurz darauf erlag der Jugendliche im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Wenig später hieß es über den Täter, dass dieser bei seiner Festnahme am Tatort verwirrt gewesen sei und es „keinerlei Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat“, gäbe.
Die „Antifaschistische Koordination 36“ widersprach dieser Darstellung hingegen in einem auch im Internet veröffentlichten Flugblatt: „Der 29-jährige Täter Daniel S. pflegte Online-Kontakte zu Neo-Nazis, verkehrt auf Reichsbürger-Seiten und beschäftigt sich mit rassistischen und antisemitischen Verschwörungstheorien. Dennoch steht für die Polizei, wie zu erwarten war, fest: Es gäbe in ‚keiner Hinsicht Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche oder politisch motivierte Tat‘.
„Das Schema, nach dem die Taten und die Täter nach einem rassistischen Mord bewertet wird, bleibt das gleiche: verwirrt, physisch krank, kein politischer Hintergrund, Einzeltäter“, kritisieren die Nazigegnerinnen und Nazigegner dort weiter.