„Dieser junge Mann kommt zu dir“, schrieb der trotzkistische Schriftsteller Cyril James 1945 an den Kommunisten und Panafrikanisten George Padmore. „Er ist nicht sehr helle, dennoch tu was du kannst für ihn, weil er fest entschlossen ist, die Europäer aus Afrika zu werfen.“ Der „junge Mann“, über den James diese wenig schmeichelhaften Worte schrieb, war Kwame Nkrumah. Zwölf Jahre später reiste James nach Ghana, das sich als erstes Land Afrikas im März 1957 die Unabhängigkeit erkämpft hatte. Der erste Präsident der frischgebackenen Republik: Kwame Nkrumah.
Nkrumah kam Ende September 1909 zur Welt, in Nkroful, einem kleinen Dorf im Westen der Goldküste, zwei Kilometer vom Atlantik entfernt. Seine Karriere begann wie die so vieler gebildeter Afrikaner seiner Zeit mit dem Besuch einer Missionsschule, in seinem Fall einer katholischen. Nach dem Abschluss der renommiertesten weiterführenden Schule der Goldküste arbeitete er als Lehrer an mehreren katholischen Schulen. Ab 1935 studierte Nkrumah in den USA Ökonomie und Soziologie, dann Theologie, schließlich Pädagogik und Philosophie. Hier kam er mit dem Panafrikanismus in Berührung, der Idee der Einheit aller afrikanischstämmigen Menschen in Afrika und der Diaspora, von der ausgehend alle Länder Afrikas das Joch des Kolonialismus abschütteln und sich zu einem Kontinentalstaat vereinigen sollten. 1947 kehrte Nkrumah zurück an die Goldküste und wurde Generalsekretär der Partei United Gold Coast Convention (UGCC). Ein Jahr später kam es zu landesweiten Unruhen. Britische Polizisten hatten Teilnehmer eines friedlichen Marsches erschossen, die auf die Pensionen und Arbeitsplätze pochten, die ihnen für ihre Teilnahme am zweiten Weltkrieg von britischer Seite versprochen worden waren. Kwame Nkrumah unterstützte die Demonstranten. Dafür warf die britische Kolonialverwaltung ihn und fünf weitere führende UGCC-Mitglieder ins Gefängnis. Das machte Nkrumah landesweit bekannt.
1949 brach Nkrumah mit der zaghaften UGCC und gründete die Convention People’s Party (CPP). Bei der Parlamentswahl 1951 wurde die CPP mit ihrer Forderung nach sofortiger Autonomie stärkste Kraft. Nkrumah bekam 98,5 Prozent der Stimmen als Direktkandidat in Accra, obwohl er zum Zeitpunkt der Wahl wieder im Gefängnis saß. Die Briten ließen ihn frei. Im März 1952 wurde Nkrumah Premierminister der Kronkolonie Goldküste.
Mit seinem Ersten Fünf-Jahres-Entwicklungsplan (1951 bis 1956), dem Konsolidierungsplan (1957 bis 1959) und dem Zweiten Fünf-Jahres-Entwicklungsplan (1959 bis 1964) legte Kwame Nkrumah die Grundlage für die Industrialisierung Ghanas. Als das Land 1957 unabhängig wurde, war seine Wirtschaft vergleichbar mit der Malaysias, Südkoreas und Singapurs. Nkrumah wollte sein Land als inspirierendes Modell für ganz Afrika aufbauen und bis in die 1970er Jahre zum ökonomischen Tigerstaat entwickeln.
Eine Bestandsaufnahme 1964 zeigte, dass Ghana nun über das modernste Straßennetz Afrikas verfügte. Die wichtigen Häfen in Takoradi und Tema hatte Nkrumahs Regierung vergrößern und ausbauen lassen, die Landwirtschaft wurde mechanisiert und diversifiziert. Mit dem Volta-Stausee hatte Ghana den flächenmäßig größten Stausee der Welt angelegt. Ein weiterer Schwerpunkt der Regierung Nkrumah lag auf dem Ausbau von Bildungs- und Gesundheitswesen.
Der Sieben-Jahres-Entwicklungsplan von 1964 sah drei zentrale Ziele vor: Schnelle Steigerung des Wirtschaftswachstums, sozialistisch geprägte Transformierung aller Wirtschaftsbereiche und die radikale Vernichtung aller Wirtschaftsstrukturen der Kolonialzeit, die auf den reinen Rohstoffexport ausgelegt waren.
Im Jahr 1966 produzierten 68 große Staatsbetriebe beinahe alles, was die Bevölkerung benötigte: Schuhe, Kleidung, Möbel, Nahrungsmittelkonserven, Radios, Fernseher, Bücher, auch Stahl und Autoreifen.
Von Anfang an war Nkrumah klar, dass Ghana alleine im Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus nicht weit kommen würde. In „Africa Must Unite“ schrieb Nkrumah 1963: „So wie unsere Stärke auf einer einheitlichen Politik und fortschreitenden Entwicklung beruht, so beruht die Stärke der Imperialisten auf unserer Uneinigkeit. Wir in Afrika können ihnen nur dann wirksam begegnen, wenn wir ihnen eine einheitliche Front und das Bewusstsein unserer afrikanischen Sendung gegenüberstellen.“
Um eine solche einheitliche Front zu schaffen, unterstützte Ghana Befreiungsbewegungen in ganz Afrika finanziell und politisch. Nkrumah ließ Ausbildungslager für antikoloniale Kämpfer errichten. In den zehn Jahren nach dem 6. März 1957 erkämpften sich 31 weitere Länder Afrikas die Unabhängigkeit. Nkrumahs Erfolge fanden Anerkennung. Und doch zeigte sich immer deutlicher, dass sich mit der formellen Unabhängigkeit der afrikanischen Länder an den Ausbeutungsstrukturen der Kolonialzeit nichts geändert hatte.
Der junge Nkrumah hegte Vorstellungen eines Afrikanischen Sozialismus à la Julius Nyerere. Dem liegt ein idealisierendes Bild eines vorkolonialen Afrikas zugrunde, in dem es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gegeben habe. Afrikanischer Sozialismus erscheint so als Kontinuität des Kommunalismus eines „traditionellen Afrika“. Der späte Nkrumah hatte diese Sichtweise abgelegt. Afrikanische Gesellschaften seien den gleichen Gesetzen unterworfen wie jede andere Gesellschaft der Welt. Die Afrikanische Revolution sei, wenn sie richtig verstanden werde, untrennbar mit der Weltrevolution verbunden. Notwendig sei ein gewaltsamer Bruch mit Neokolonialismus und Kampf gegen den Imperialismus. Zwischen antiimperialistischen Regierungen und Marionettenregimes des Westens könne es keine Gemeinsamkeiten geben.
Wie richtig Nkrumah damit lag, zeigten seine Bemühungen um die Vereinigten Staaten Afrikas. Auf der Gründungsversammlung der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) am 24. Mai 1963 in Addis Abeba versuchte Nkrumah die Delegierten davon zu überzeugen, alle befreiten Länder Afrikas sofort zu einer politischen Einheit zu schmieden. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, rief er, „wir müssen uns jetzt vereinigen, sonst gehen wir unter.“ Gelinge die Vereinigung nicht, drohe ein Schicksal wie das Lateinamerikas, dessen Länder 150 Jahre nach ihrer politischen Unabhängigkeit Beute der Imperialisten blieben. „Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung Afrikas wird nur innerhalb des politischen Reiches kommen, nicht andersherum.“ Die verbliebenen kolonialen Strukturen müssten sofort beseitigt werden, sonst würden die Probleme daraus chronisch. Nur ein geeintes Afrika könne sich tatsächlich entwickeln. Notwendig seien eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik, eine einheitliche Währung, eine Zentralbank, eine Staatsbürgerschaft. Die Befürworter eines langsamen, schrittweisen Einigungsprozesses sähen Afrika als statisch, mit „eingefrorenen“ Problemen, die eines nach dem anderen eliminiert werden könnten, um dann irgendwann zur Einheit zu schreiten. „Diese Sicht übersieht den Druck von außen.“ Afrikanische Einheit werde so zur blassen Hoffnung und „der große Entwurf der vollen Wiedergutmachung Afrikas wird verloren gehen, vielleicht für immer“. Tags darauf gründeten die Delegierten die OAU als zarten Beginn eines graduellen Einigungsprozesses. Nkrumahs Warnungen blieben unberücksichtigt. Die Marionetten der imperialistischen Staaten hatten sich durchgesetzt. Ghana wurde trotzdem Gründungsmitglied der OAU. Vor dem Hauptquartier ihrer Nachfolgeorganisation, der Afrikanischen Union, steht heute eine Statue Kwame Nkrumahs.
Als das Beispiel Ghanas, seine wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und außenpolitischen Erfolge den Imperialisten zu gefährlich wurden, ließ die CIA am 24. Februar 1966 putschen. Nkrumah floh nach Guinea. Staatspräsident Ahmed Sékou Touré ernannte ihn zum Ko-Präsidenten ehrenhalber und versorgte ihn gut. Während Nkrumah sich weiterhin in politische Debatten einmischte und Bücher schrieb, zerstörte sein Nachfolger Joseph Ankrah alle fortschrittlichen Errungenschaften. Die Fabriken von einst sind heute Ruinen. Ghana ist wieder auf Importe angewiesen und exportiert überwiegend unverarbeitete Rohstoffe. Der ehemalige Präsident Sambias Kenneth Kaunda schrieb 2006 im panafrikanischen Magazin „New African“: „Ich glaube nicht, dass wir Afrikaner uns jemals von dem Putsch 1966 erholen werden.“
Nkrumah starb am 27. April 1972 in Bukarest, wo er in medizinischer Behandlung war, offiziell an Krebs. Gerüchte, er sei schleichend vergiftet worden, konnten nie bewiesen werden. Er bekam ein Staatsbegräbnis in Guinea, auf dem der Revolutionär Amílcar Cabral sagte: „Niemand kann uns erzählen, dass Nkrumah an Krebs gestorben ist. Nein, Nkrumah wurde getötet von dem Krebs des Verrats, den wir beseitigen müssen, wenn wir die imperialistische Herrschaft über unseren Kontinent wirklich ein für alle Mal beenden wollen.“
Obwohl er dreimal beerdigt wurde – erst in Conakry, dann in Nkrofuh, 1992 schließlich in Ghanas Hauptstadt Accra –, ist Kwame Nkrumah nicht totzukriegen. Sein Werk und Wirken bleibt Inspiration für die politisch bewusste Jugend Afrikas. Julius Nyerere, der bei der Gründung der OAU gegen Nkrumahs Vorschläge stimmte, stellte anlässlich des 40. Jahrestags der Unabhängigkeit Ghanas in Accra öffentlich fest: „Nkrumah hatte recht, wir lagen falsch.“ 50 Jahre nach seinem Tod ist Kwame Nkrumah aktueller denn je.