Die Renaissance preußischer Geisterschlösser und bewaffneter Kirchen

Gespenster

Von Andreas Grimm

Um 1443 war der Grundbau der Zwingburg in Cölln, einem der Orte, die später zu Berlin zusammengefasst wurden, schon wie heute der Wiederaufbau des Berliner Schlosses, von Protesten begleitet. Die Bewohner der Stadt hassten den Bau, der durch den Kurfürsten Friedrich II (1440–70) veranlasst wurde, der die bezeichnenden Beinamen „Der Eiserne“ oder „Eisenzahn“ trug. Dieses Schloss war Residenz der Kurfürsten, der preußischen Könige und deutschen Kaiser. Im Zweiten Weltkrieg zerbombt und 1950 abgerissen, soll nun auf dem früheren Marx-Engels-Platz wieder der alte Bluthund Platz nehmen, für den die Historiker warme Worte übrig haben. Der preußische Militarismus war Notwehr gegen die umliegenden feindlichen Staaten, der Alte Fritz musste das Land zwischen den Flötenstunden zum Mammut aufpusten und die 1848 vor dem Schlosshof zusammengeschossenen Revolutionäre werden „zu den eigentlichen Totengräbern der Revolution“ (Ilja Mieck) erklärt.

Die Befürworter der steinernen Auferstehung der Monarchie in Zeiten gründlicher Demokratiedemontage ergehen sich in geschichtsvergessener Rhetorik. So steht der Neubau des Schlosses für „die Ideale der Zeit der Aufklärung“, wie Wilhelm von Boddien meint, und, sollte man hinzufügen, deren pervertierte Form der Subsumtion individueller Identität unter die Bedingungen der Technokratie. Alexander von Humboldt, nach dem der Prachtbau nun scheinheilig „Humboldt-Forum“ genannt wird, glänzt in den Worten des Berliner Oberbürgermeisters als „Vordenker der Globalisierung“. Dessen Name steht laut Boddien „für die weltoffene Beschreibung fremder Kulturen“ mit „großartigen Kunstsammlungen“, wie er die zusammengeraubten Kunstschätze und Schrumpfköpfe nennt. Zudem werden hämisch einzelne Ausstellungsstücke aus dem abgerissenen Palast der Republik zwischen Kolonialexponaten und NS-Beutestücken ausgestellt.

Und da der Deutsche Michel nun schon in fröhlicher Restaurationsbauwut ist, muss jetzt noch die sagenumwobene Garnisonkirche zu Potsdam in die Landschaft geklotzt werden. Direkt auf das alte DDR-Rechenzentrum, das seit vier Jahren von Künstlern aller Couleur genutzt wird, eine autonom blühende kulturelle Wirkstätte. Hier entsteht etwas Selbsttätiges, vaterlandslose Gegenkultur, hier muss der deutsche Geier seine Krallen reinschlagen, hier will die Pickelhaube den künstlerischen Wildwuchs weghaben. In der Beseitigung der Kulturstätte für den Tempel nationaler Größe drückt sich der Umgang mit kultureller Vielfalt aus. Platter Militarismus, Vaterlandsliebe und Heimatmythos erscheinen im Kostüm digitalen Fortschritts und ökonomischer Wachstumsideologie. Die Romantik des preußischen Bellizismus bildet die Kulisse für die kommenden Kriege. Die hochtürmende Propaganda lässt den alten Wind wehen, Soldaten stürmen die Schulen mit pathetischen Reden über „Friedenseinsätze, und in den Medien verlautet die Mahnung, den sozialistischen „Unrechtsstaat“ nicht zu glorifizieren. Ostdeutschland muss DDR-bereinigt werden, das ist der Endsieg der „friedlichen Revolution“, die sich bald wieder mit atomarer Bedrohung der östlichen Hemisphäre vollendet.

Mit einer Kirche unter königlicher Schirmherrschaft, wo Talar, Uniform und Braunhemd unter einem Dach kopulieren, bekommt deren Wiederaufbau eine gespenstische Parallele zur imperialistischen Zukunft. Die Hybris bricht sich Bahn im Weltkriegswaffengeklirr, unter digitalem Spinnennetz erstickt jede Eigeninitiative in der Bevölkerung – „Kunst statt Krieg“ und politische Gegenöffentlichkeit –, und wird mit Teaser und Polizeiaufgabengesetz als Störgröße neutralisiert. Da braucht es für die letzten Nostalgiker bürgerlicher Mitte im Rechtsdrall repräsentative Gebäude aus der gelobten preußischen Geschichte mit Banner, Hymne, glänzenden Kaisern, deutschen und europäischen Heeren.

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"Gespenster", UZ vom 27. September 2019



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