Die SPD schafft ihre Historische Kommission ab

Geschichtslos – gesichtslos

Von Nina Hager

Es kam doch schon sehr überraschend. Eine Ära endet. 1982 – damals war Willy Brandt Parteivorsitzender – nahm die Historische Kommission der SPD ihre Arbeit auf. Zu ihren Mitgliedern gehörten bzw. gehören prominente Historiker wie Hans Mommsen (1930–2015), Jürgen Kocka, Heinrich August Winkler, Peter Brandt, einer der Söhne Willy Brandts, Edgar Wolfrum. Die SPD löst nun, ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2018, diese Kommission auf.

Aufgabe der Historischen Kommission war es nicht nur, die eigene Geschichte zu bewahren und zu propagieren, sondern auch den Parteivorstand und andere Parteigremien zu beraten. Das wird jetzt offensichtlich nicht mehr gebraucht. Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb jedoch in einem Brief an die Mitglieder der Kommission lediglich, die Partei müsse „vorhandenen Ressourcen effizient einsetzen“. Es geht um etwa 20 000 Euro pro Jahr.

Tatsächlich aber scheint der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles und ihrem Umfeld der Blick auf die eigene Geschichte überflüssig, ja störend. Das ist überflüssiger Ballast, der abgeworfen werden kann. Kein Wunder, die eigene Position der SPD ist ja in der Regierungskoalition kaum noch zu erkennen. Die Wahlversprechen sind längst vergessen. Eine „Rückbesinnung“ auf die Wurzeln der Sozialdemokratie, wie auf den Sonderparteitagen in diesem Jahr von Delegierten gefordert, gibt es nicht. Schon gar keine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte – was aber immer von anderen gefordert wird. „Nicht nur die Tatsache der Auflösung der Historischen Kommission an sich, auch der gewählte Zeitpunkt verstören“, hieß es in einer Erklärung der Historischen Kommission der Linkspartei. „Die Entscheidung gegen die Fortsetzung einer eigenen geschichtspolitischen Arbeit des Parteivorstandes der SPD fiel wenige Wochen vor dem ersten einer Reihe von hundertsten Jahrestagen, zu denen von der SPD eine Antwort auf die Frage nach ihrer Rolle und Verantwortung in der Geschichte erwartet wurde: Novemberrevolution, Ausrufung der Republik und Verabschiedung der Weimarer Verfassung, aber auch der Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Der Gedanke liegt nahe, dass sich die offizielle SPD vor eben dieser Antwort drücken wollte.“

Die Mitglieder der Historischen Kommission der SPD um ihren Vorsitzenden Bernd Faulenbach, Professor für Zeitgeschichte in Bochum, sind über die Auflösung „überrascht und empört“. Dies sei, heißt es in einem Brief an die Parteispitze, ein „verheerendes Symbol für Geschichtslosigkeit“. Edgar Wolfrum, Professor für Zeitgeschichte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, warnte in einem Interview mit der „taz“: „Ohne Wissen um die Vergangenheit lässt sich keine Zukunft gewinnen.“ Faulenbach erklärte gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ zudem, sollte es die Kommission nicht mehr geben, würden bestimmte Fragen nicht mehr gestellt. Auch solche nicht, die von aktueller Bedeutung für die SPD seien. Die Kommission habe beispielsweise angeboten, die umstrittenen Hartz-Sozialreformen aus historischer Perspektive als Beitrag zur aktuellen Debatte über die Zukunft des Sozialstaates zu begleiten. Man habe in diesem Zusammenhang von der Parteispitze nicht einmal eine Antwort erhalten.

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"Geschichtslos – gesichtslos", UZ vom 3. August 2018



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