Zentrales Jelzin-Museum eröffnet

Geschichtsfälscher basteln an Mythen

Von Wiili Gerns

Am 25. November wurde in Jekaterinburg von Präsident Putin ein zentrales Jelzin-Museum eröffnet. Grundlage dafür war ein Gesetz aus dem Jahr 2008, das die Bewahrung des historischen Erbes von russischen Präsidenten vorschreibt. An der Zeremonie nahmen auch Ministerpräsident Medwedjew und die Witwe Jelzins Nina Jelzina sowie zahlreiche Gäste teil. Die Zeremonie wurde von allen zentralen russischen Fernsehkanälen übertragen.

Zu den Gästen gehörte auch der ehemalige Vorsitzende des Obersten Sowjets der belarussischen Sowjetrepublik, Stanislaw Schuschkewitsch. Dieser hatte unter der Regie Jelzins gemeinsam mit diesem und dem Ukrainer Leonid Krawtschuk am 8. Dezember 1991in einem Jagdhaus im Urwald von Beloweshsk unter Bruch der sowjetischen Verfassung die Auflösung der UdSSR verkündet. In Jekaterinburg sagte Schuschkewitsch nun, ein anderer Weg als dieser Staatsstreich mit seinen verhängnisvollen Folgen für die Menschen in der Sowjetunion und in der ganzen Welt sei zu jener Zeit nicht möglich gewesen. Den Tatsachen zuwider behauptete er, alles sei friedlich verlaufen und die Übereinkunft von Beloweshsk sei die wichtigste Errungenschaft des ersten Präsidenten Russlands.

Russische Blogger berichten, auch Helmut Kohl, Jacques Chirac und Bill Clinton seien eingeladen worden. Sie hätten jedoch wegen „Unwohlsein“ abgesagt. Wenn dies zutreffen sollte, dürfte der Grund für ihr Unwohlsein am ehesten daran liegen, dass sie nicht gern an die peinlichen Eskapaden erinnert werden wollten, die Jelzin im Vollrausch auf internationalem Parkett veranstaltet hatte.

Während der Fernsehübertragung zeigten die Kameras lange und in allen Details das Arbeitszimmer Jelzins, das aus dem Kreml in Moskau in das neue Museum überführt worden war. Mit Tränen in den Augen verkündete Nina Jelzina, dass hier und jetzt eine neue Tradition respektvollen Verhaltens gegenüber den ehemaligen Führern des Landes begründet werde. Ihrem verstorbenen Mann sei solcher Respekt nicht sehr reichhaltig entgegengebracht worden. Es heißt, Nina Jelzina werde nun selbst die ersten Führungen im Museum übernehmen. In einem Bericht der „Swobodnaja Pressa“ wird sie in diesem Zusammenhang ironisch als „die erste Priesterin der neuen Kultstätte“ bezeichnet.

Anschließend zeigten die Fernsehkameras einen anderen der insgesamt sieben Säle des Museums. Er soll die Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses am Ende der Sowjetzeit in Russland darstellen: ringsum völlig leere Regale, das einzige, was zu kaufen war, sollen Drei-Liter-Dosen mit Birkensaft demonstrieren. Der Sinn der Komödie besteht darin, den Besuchern des Museums zu vermitteln, wie erbärmlich angeblich das Erbe war, das Jelzin 1991 übernehmen musste und mit welchen heroischen Anstrengungen er dann den Weg zu einem besseren Leben in Freiheit für das Volk geöffnet habe.

Mit den Realitäten hat dies alles nichts zu tun. Zwar war die Wirtschaft und die materielle Lage der Menschen in der Sowjetunion als Erbe von Fehlentwicklungen und der Überforderung des Landes durch den Rüstungswettlauf mit dem Westen, der wirtschaftlichen Experimente Gorbatschows und des zerstörerischen Wirkens der Konterrevolution am Übergang von den 80ern zu den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Tat in einem sehr schlechten Zustand. Der totale Absturz des Landes, die Halbierung der Wirtschaftsleistung, explodierende Inflation, Massenarbeitslosigkeit, das Versinken der Masse der Bevölkerung in Hunger und Elend in den 90er Jahren waren dann aber das Resultat der Herrschaft Jelzins und seiner westlichen Berater, die mit Brachialgewalt die Errungenschaften des Sozialismus zerstörten und durch die kriminelle Privatisierung ein besonders abscheuliches Modell des Kapitalismus installiert haben.

Da kann es nicht verwundern, dass das Jelzin-Museum sich vor allem an die Jugend wenden soll. Ist doch bei der älteren Generation, die die Jelzin-Ära erlebt und erlitten hat – mit Ausnahme der Oligarchen und anderen Dieben des Volkseigentums und ihres Anhangs – mit den Geschichtslügen kein Eindruck zu schinden. Für die Zeitgenossen der Jelzin-Ära muss es vielmehr geradezu wie Hohn in den Ohren klingen, wenn Ministerpräsident Medwedjew die 90er Jahre als Jahre der „freien Entwicklung des Landes“ bezeichnete. Zweck der „Bildungs-Aufgabe“ des Museums ist die antisowjetische Gehirnwäsche der nachfolgenden Generationen.

Was Präsident Putin betrifft, ohne dessen Förderung diese Kultstätte für Jelzin sicher nicht zustande gekommen wäre, so lässt sich vermuten, dass er sich mit dem Jelzin-Tempel dafür bedanken will, dass Jelzin und die aus Verwandten, ominösen Tennispartnern und Oligarchen bestehende „Jelzinfamilie“ ihn aus der provinziellen Anonymität Petersburgs geholt und ihm den Weg an die Spitze Russlands geebnet haben, nachdem Jelzin im Volk derart verhasst war, dass es für dessen erneute Wahl oder die Wahl einer der bekannten Jelzin-Kreaturen keinerlei Chance mehr gab.

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"Geschichtsfälscher basteln an Mythen", UZ vom 11. Dezember 2015



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