Was wir sahen, waren fahle abgemagerte Gestalten, im Dämmerlicht der Nacht daherkommend, Kolonne auf Kolonne in blau-weiß gestreifter Sträflingskleidung und in Holzschuhen, von Wachmannschaften und Hunden begleitet.“ So beschrieb der Pfarrer Konrad Hager den täglichen Vorbeimarsch der Gefangenen des Buchenwald-Außenlagers Langenstein-Zwieberge. Zwischen 1944 und 1945 wurden hier am Rand des Ostharzes in der Nähe von Halberstadt mehr als 7.000 Menschen eingesperrt und zu tödlicher Schufterei gezwungen. In 12-Stunden-Schichten mussten sie kilometerlange Stollen in die nahegelegenen Thekenberge treiben. Dort sollten unterirdische Rüstungsfabriken für die Produktion von Jagdflugzeugen und V2-Raketen entstehen. Bis zur Befreiung des Lagers am 11. April 1945 wurden etwa 2.000 von ihnen ermordet. Sie starben an den unerträglichen Arbeitsbedingungen, an Hunger und Krankheit oder direkt durch die Hände der SS-Bewacher. Folterungen und Hinrichtungen fanden an der „Todeskiefer“ nur wenige Schritte hinter dem Zaun des Lagers statt. Weitere 3.000 Gefangene wurden kurz vor der Befreiung auf Todesmärsche gehetzt – die meisten von ihnen starben.
Noch vor Gründung der DDR errichtete man eine Mahnstätte an den Massengräbern des Lagers. Im Jahr 1976 kam ein Museum hinzu. Die von den Inhaftierten gehauenen Stollen wurden teils gesprengt, teils von der NVA genutzt. Im Jahr 1995 wurde die unterirdische Anlage von der Treuhand an einen Privatmann verkauft – ein ehemaliges KZ als Spekulationsobjekt. Dennoch blieben rund 120 Meter Tunnel im Originalzustand erhalten und für die Besucherinnen und Besuchern der Gedenkstätte zugänglich. Im Jahr 2018 ging der Eigentümer in die Insolvenz. Erneut standen die Stollen zum Verkauf. Doch das Land Sachsen-Anhalt ließ die Gelegenheit verstreichen, das Gelände für die Erinnerungsarbeit zu erwerben.
Im Juni 2022 schlug dann ein neuer Privatinvestor zu, für gerade einmal 500.000 Euro. Lange Zeit wurde über den Zweck des Investments gerätselt. Inzwischen ist bekannt: Die von KZ-Häftlingen errichteten Stollen sollen zum Luxusbunker für ängstliche Millionäre ausgebaut werden. Das zumindest verspricht eine Homepage namens „BunkerCoin“, die in diesem Jahr online gegangen ist. Im sogenannten „Whitepaper“ wird das Geschäftsmodell erläutert: „Mit einer Fläche von 70.000 m² bietet der Bunker enormes Potenzial als sicherer Zufluchtsort in Krisenzeiten. Das Projekt zielt darauf ab, durch den Verkauf von Tokens den Zugang zu diesem Bunker zu ermöglichen und eine globale Gemeinschaft aufzubauen, die in Zeiten geopolitischer Spannungen einen sicheren Rückzugsort hat.“ Die Klasse, die mithilfe der Tunnel ihre Weltherrschaftsziele im Zweiten Weltkrieg durchsetzen wollte, sucht nun ebendort nach einem Versteck vor dem Dritten.
Innerhalb des Stollensystems sollen Kabinen und Unterkünfte unterschiedlicher Größenordnungen eingerichtet werden. Versprochen werden ein künstlicher Sonnenauf- und untergang, LED-Fensterimitationen, eine Indoor-Farm, eine Krankenstation, eine Schule, ein Kindergarten, Restaurants und ein Wellnessbereich mit Schwimmbad. Die unterirdische Stadt soll zudem durch eine „speziell ausgebildete Sicherheitsgruppe“ geschützt werden, die den künftigen Bewohnern „auch im alltäglichen Leben außerhalb des Bunkers zur Seite“ stehen soll, „wenn Hilfe benötigt wird oder Bedrohungen auftreten“. Für Annehmlichkeiten ist also gesorgt, während die Bunkerinsassen auf die zugesicherte „Wiedereingliederung in die Außenwelt nach einer globalen Erholung“ warten.
Verbunden wird dieses dystopische Konzept mit einer eigenen Kryptowährung, den sogenannten „Bunkercoins“. Wer genug davon besitzt, kann sich damit im Ernstfall ein Ticket für den Bunker kaufen. Dadurch entstehe eine „eine einzigartige Mischung aus spekulativem Potenzial und realem Wert“, heißt es auf der Website. Investoren können sich dann auch schon einmal mit der Frage befassen, ob sie eher am Geld oder am Leben hängen, denn: „Im Krisenfall wird der Wert der Tokens steigen“, verspricht das „Whitepaper“.
Ob der Bunker jemals ausgebaut wird oder ob es bei der rein virtuellen Spekulation auf eine mögliche Überlebenschance bleibt, steht in den Sternen. Auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Rüdiger Erben (SPD) teilte die Landesregierung mit, dass „alle Veränderungen baulicher Art oder der Nutzung“ genehmigungspflichtig seien, dabei spielten auch denkmalrechtliche Bedenken eine Rolle. Im Herbst soll dennoch der Vorverkauf der „Bunkercoins“ beginnen. Spätestens dann wird erneut Profit aus der Zwangsarbeit der ehemaligen KZ-Häftlinge geschlagen.