Die westeuropäische ökonomische Integration begann mit dem Kalten Krieg gegen die Sowjetunion. Neben dem Marshall-Plan bildete sich ein Kern besonders eng miteinander verbundener Länder: in der Montanunion (1951), der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG (1957/58), später in der Europäischen Gemeinschaft EG und schließlich in der EU.
Zunächst geschah dies in der Rekonstruktionsperiode des Nachkriegskapitalismus: langfristiger Aufschwung, nationalstaatlich organisierte Wohlfahrtsregimes, die auch die Unterschichten besserstellten, Dämpfung der innen- und außenpolitischen Konkurrenz in der EWG, wo sich ja zunächst nur sechs Länder zusammenfanden. Die ökonomischen Unterschiede zwischen der Bundesrepublik, Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden waren nicht sehr groß. In Italien holte zumindest der Norden auf, das Land profitierte von der Einbindung in die EWG. Das passte alles recht gut zusammen.
Dies änderte sich in den neunziger Jahren, zeitgleich mit dem Übergang von der EG zur EU. Durch den Untergang der Sowjetunion schwand der außenpolitische Vorwand des Zusammenschlusses.
Zugleich fasste die nun erfolgende Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften in der EU Länder mit sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zusammen. Hinzu kam eine Änderung des Wirtschaftsstils: weg von der wohlfahrtsstaatlichen Politik hin zur forcierter Konkurrenz und wachsender Ungleichheit – innerhalb der Mitgliedstaaten und in deren Beziehungen zueinander. Es strebt auseinander, was nicht mehr gut zusammenpasst. Dass schließlich eine gemeinsame Währung für Länder unterschiedlicher ökonomischer Stärke eingeführt wurde, verschärfte die Widersprüche.
2015 traten sie offen zutage: Griechenland ging unter seiner Schuldenlast in die Knie.
Der Zustrom von Flüchtenden nach Europa traf auf Gesellschaften, die für seine Bewältigung höchst ungleich ausgestattet sind. Die EU geriet unter Stress und hat ihn bis heute nicht überstanden.
Was bleibt von ihr übrig?
Erstens ein großer Markt. Deshalb hat das Kapital ein Interesse am Fortbestand der EU.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die ökonomischen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern diese auseinandertreiben. Eine zweite Klammer ist nötig: Umverteilende Fonds, die zwar nicht Gleichheit herstellen, aber die Ungleichheit etwas erträglicher machen sollen.
Noch etwas? Ja, nämlich:
Drittens: Militärische Großprojekte, vorwärtsgetrieben in erster Linie von Frankreich und Deutschland. Hier bieten sich erweiterte Investitionsfelder für die Rüstungsindustrie (übrigens auch mit dem Versprechen von Arbeitsplätzen).
Um dieses Vorhaben innenpolitisch gut verkaufen zu können, wird ein äußerer Feind gebraucht. Davon sind gleich mehrere im Angebot.
Zunächst der alte: Russland.
Dann: Irgendwann vielleicht China.
Seit Trump 2017 die NATO in Frage stellte und weil er jetzt auch offenbar erwägt, US-Truppenpräsenz in Europa aufzugeben, ist zu hören, die EU müsse sich selbst ausreichend wehrhaft machen. Schon jetzt gilt die bewaffnete Sicherstellung einer globalen Logistik als Verteidigung.
Schließlich: die Geflüchteten. Auch gegen sie wird militärisch vorgegangen.
Die Uneinigkeit in der Migrationspolitik hat die einzelnen EU-Staaten gegeneinander aufgebracht. Werden Kontrollen an den innereuropäischen Grenzen wieder eingeführt, behindert das den Warenverkehr im Schengen-Raum und stellt den gemeinsamen Markt in Frage. Um die Geflüchteten an der Südgrenze der EU aufzuhalten, ist eine Aufrüstung nötig, die über den heutigen Stand weit hinausgeht. Deshalb wurde gerade auf dem Gipfel in Brüssel der Ausbau von Frontex beschlossen.
Dadurch, dass die Zentrifugalkräfte in der EU so enorm zugenommen haben, erscheint diese manchmal nur noch wie ein Gerippe. Aber es hat eine Knarre, und mehr als das.