Beim Kampf um Marktanteile im Einzelhandel geht es um Arbeitsplatzabbau und Lohndumping

Gericht gegen Minister und Gewerkschaft

Von Manfred Dietenberger

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte Edeka im März unter massiven Auflagen grünes Licht für die Übernahme von Tengelmann durch Edeka gegeben und damit ein Verbot des Bundeskartellamts ausgehebelt. Im Monopoly–Spiel um den oligopolartig strukturierten deutschen Lebensmittelmarkt werden gerade die Karten neu gemischt.

Die derzeit vier größten Spieler im deutschen Lebensmitteleinzelhandel – Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit den Lidl-Märkten und Kaufland – kommen inzwischen zusammen auf einen Marktanteil von rund 85 Prozent. Offen ist, wer von ihnen sich künftig neben den Discountern im deutschen Lebensmittelhandel behaupten wird, auch vor dem bedrohlichen Hintergrund, dass Amazon wohl bald in den E-Food-Markt hierzulande einsteigen wird. „Fressen oder gefressen werden“ ist auch hier die Devise und treibt den Konzentrationsprozess im deutschen Lebensmittelhandel weiter.

Derzeit schickt sich Marktführer Edeka (rund 48 Milliarden Euro Jahresumsatz) an, die seit 2004 schon von 725 auf 451 Supermärkte geschrumpften Kaiser’s-Tengelmann-Supermärkte (Marktanteil nur 0,6 Prozent) des Mülheimer Handelsunternehmens Tengelmann zu schlucken. Die Standorte der Tengelmann-Märkte liegen überwiegend in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin. Im Rahmen des Deals übernimmt Edeka auch die Online-Tochter Tengelmann E-Stores, zu der die Internethändler Plus.de und Garten XXL.de gehören. Die ständig wachsende Marktmacht der „großen Vier“ am Lebensmittelmarkt schwächt die Position der Lebensmittelhersteller beim Feilschen um Preise und Rabatte.

Dem, der sich nicht beugt, droht der Rausschmiss aus dem Sortiment. So forderte z. B. Edeka 2009 nach ihrer Übernahme der Plus-Filialen viele Lebensmittelhersteller zu Nachverhandlungen auf bzw. verlangte erhebliche so genannte Hochzeitsrabatte. Darüber hinaus wurden wohl Hersteller genötigt, sich an der Renovierung von Handelsfilialen finanziell zu beteiligen.

Vor zwei Jahren wurde bekannt, dass die Einzelhandelskette Kaiser’s einen Käufer suchte. Rasch zeichnete sich ab, dass der Branchenprimus Edeka der aussichtsreichste Kandidat ist. Den Betriebsräten war bewusst, welche Gefahr den dort rund 16 000 Beschäftigten nach der Übernahme durch Edeka droht. Denn aus Sicht der Handelsketten sind Fusionen nur sinnvoll, wenn am Ende Arbeitsplätze abgebaut, Lohnkosten gedrückt und weitere sogenannte Synergien genutzt werden. Und die Betriebsräte wussten auch, dass gerade Edeka bekannt dafür ist, in großem Stil Filialen an scheinselbstständige, von Edeka abhängige Händler auszugliedern, die ihre Beschäftigten bei schlechten Arbeitsbedingungen unter Tarif bezahlen.

Ministerentscheidung mit Auflagen

Zunächst hatte das Bundeskartellamt gegen die Fusion erhebliche Bedenken angemeldet. Als der Deal dann so gut wie perfekt war, untersagte es die Fusion, da es Beeinträchtigungen für den Wettbewerb auf dem hart umkämpften Einzelhandelsmarkt befürchtete. Daraufhin beantragten die Supermarktketten beim Minister Gabriel eine Sondergenehmigung, um das Nein des Bundeskartellamts zur Fusion auszuhebeln.

Nach Gesprächen mit den Fusionswilligen und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di genehmigte Sigmar Gabriel im März 2016 mit einer sogenannten „Ministerentscheidung“ die Fusion von Kaiser’s-Tengelmann und Edeka. Darin hieß es u. a.: „Die Erlaubnis ist mit aufschiebenden und auflösenden Bedingungen zum Erhalt der Arbeitsplätze und der Rechte der Beschäftigten von Kaiser’s-Tengelmann verbunden.“ Konkret bedeutete das: Ganz anders als von Edeka ursprünglich geplant, dürfen die Kaiser’s-Tengelmann-Filialen von Edeka nicht an selbstständige Händler, wie sie sich im Genossenschafts-Verbund Edeka zusammengetan haben, übergeben werden. Stattdessen sollen die Tengelmann-Geschäfte fünf Jahre lang als Edeka-Filialen geführt werden, mit „flächendeckenden Betriebsratsstrukturen“. Nach Ablauf der Frist können zwar „Selbstständige“ die Filialen übernehmen, sie müssen sich aber in Tarifverträgen darauf verpflichten, zwei Jahre lang keinen Beschäftigten betriebsbedingt zu kündigen. Der Fleischzulieferer Birkenhof, den Edeka eigentlich schließen wollte, soll so modernisiert werden, dass er sich entweder von einem Dritten fortführen lässt oder bei Edeka bleiben kann. Außerdem muss sich Edeka per Tarifvertrag mit ver.di verpflichten, dass mindestens 97 Prozent der Arbeitsverhältnisse von Tengelmann mindestens fünf Jahre weitergeführt werden.

Die Edeka-Zentrale bliebe gegenüber dem Minister für die Erfüllung der vorstehenden Bedingungen verantwortlich und müsste darüber hinaus jährlich einen „Statusbericht“ abliefern. Gabriel legt sich fest: „Es gibt keine Hintertür“, „alle Bedingungen muss Edeka erfüllen.“ Bei einer Fusion wären die Beschäftigten erst einmal für sieben Jahre abgesichert. Damit hätten sie wertvolle Zeit gewonnen, um eine notwendige gewerkschaftliche Stärke entwickeln zu können. Diese wäre Vorraussetzung für die Beschäftigten, gewerkschaftlichen Druck zu entwickeln und über diesen Zeitraum hinausgehende Absicherungen erkämpfen zu können.

Doch die Edeka-Rivalen Rewe und Markant klagten dagegen. Die Richter am Düsseldorfer Oberlandesgericht gaben in einer Eilentscheidung ihrer Klage Recht und setzten die Ministererlaubnis außer Kraft. Inzwischen gibt es den von Bundeswirtschaftsminister Gabriel zur Bedingung seiner Ministererlaubnis gemachten Abschluss von Tarifverträgen. Ende Juli 2016 hatte sich ver.di mit Kaiser’s-Tengelmann geeinigt. Diese Einigung gilt für rund 5 700 Beschäftigte von Kaiser’s in Berlin und Brandenburg. Er sieht laut ver.di im Einzelnen vor, dass für die kommenden fünf Jahre betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind. Im Falle einer Übertragung des Unternehmens an selbstständige Einzelhändler gilt eine Frist von sieben Jahren. Zudem haben die Beschäftigten ein Widerrufsrecht bei Aufhebungs- und Änderungsverträgen.

Tarifverträge gegen Ausgliederungen

Anfang August verständigten sich ver.di und Edeka auch in Bayern über Tarifverträge. Auch dort sichern die abgeschlossenen Tarifverträge die Beschäftigten vor betriebsbedingten Änderungs- und Beendigungskündigungen nach einer Übernahme durch Edeka. Außerdem werden die Filialstandorte, die Logistik und die Verwaltung geschützt. Die Tarifverträge schließen eine Ausgliederung an selbstständige Kaufleute aus. Ende vergangener Woche haben ver.di und Kaiser’s-Tengelmann auch in Nordrhein-Westfalen einen inhaltlich identischen Tarifvertrag ausgehandelt. Damit ist eine weitere Hürde auf dem Wege zur Fusion Kaiser’s/Edeka genommen.

Bisher wurde die Ministererlaubnis in 43 Jahren nur in acht Fällen erteilt. Im Fall Edeka/Tengelmann war es das erste Mal, dass die Ministererlaubnis auf das Argument Arbeitsplatzsicherung und nicht etwa auf internationale Wettbewerbsfähigkeit (wie 2002 bei E.ON/Ruhrgas) oder Ähnliches stützte. Das genau kritisierte das Oberlandesgericht Düsseldorf, als es die Ministererlaubnis stoppte. Minister Gabriel wurde zum Vorwurf gemacht, er habe „den Gemeinwohlbelang der Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung bei Kaiser’s-Tengelmann nicht unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte bewertet“. Anfang Januar 2016 erklärte Andreas Mundt, damals noch Präsident des Bundeskartellamtes: „Das Bundeskartellamt überprüft allein die wettbewerblichen Auswirkungen einer Fusion. Der Gesetzgeber eröffnet dem Minister dagegen bewusst die Möglichkeit, in einer politischen Abwägung wichtigen Gemeinwohlgründen Vorrang vor der Beeinträchtigung des Wettbewerbs einzuräumen.“

Jetzt aber wird Sigmar Gabriel dafür von allen Seiten unter Beschuss genommen, ja sogar sein Rücktritt wird vereinzelt schon gefordert. Mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf wurde ein weiterer Meilenstein auf dem Weg in Richtung Merkels „marktkonformer Demokratie“ gesetzt.

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"Gericht gegen Minister und Gewerkschaft", UZ vom 12. August 2016



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