Mörder Victor Jaras verurteilt. Tausende tragen den Kommunisten Guillermo Teillier zu Grabe

Gerechtigkeit und Trauer

Die Vorgehensweise erinnert an das jahrzehntelange Verschleppen von Prozessen gegen Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik Deutschland. Auch Chiles Justiz hat 50 Jahre gebraucht, um Täter zu verurteilen, die während und nach dem von der CIA unterstützten faschistischen Putsch vom 11. September 1973 gefoltert und gemordet haben. Am Dienstag vergangener Woche fällte der Oberste Gerichtshof endlich ein höchstinstanzliches Urteil gegen die Mörder von Mitgliedern der Leibwache des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Einen Tag zuvor hatte das Gericht bereits sieben ehemalige Armeeoffiziere des Mordes an dem kommunistischen Liedermacher Víctor Jara für schuldig befunden und bis zu 25 Jahren Haft verhängt.

In beiden Fällen hob die höchste juristische Instanz des Landes vorangegangene Entscheidungen von Berufungsgerichten auf. Damit ist auch der im September 2020 verstorbenen Luftwaffengeneral Vicente Rodríguez Bustos endgültig überführt und verurteilt. Zehn von Allendes Leibwächtern, die der „Grupo de Amigos del Presidente“ (GAP) angehörten, waren von Militärs ermordet worden, als sie am 11. September 1973 versuchten, den Präsidentenpalast La Moneda zu erreichen, um den Präsidenten bei seinem Widerstand gegen die Putschisten zu unterstützen. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof bereits sieben Offiziere wegen Entführung, Folter und Mordes an dem Liedermacher Víctor Jara und dem Rechtsanwalt und Politiker Littré Abraham Quiroga Carvajal verurteilt. Der Komponist, Sänger und Regisseur Victor Jara wurde am 11. September 1973 festgenommen und erlag zwei Tage später im Stadion von San­tiago nach grausamen Folterungen seinen Verletzungen. Einer der jetzt zu 25 Jahren Gefängnis verurteilten Täter, der Ex-General Hernán Chacón Soto, entzog sich einen Tag nach der Urteilsverkündung durch Selbstmord der Verhaftung. Ein anderer der Mörder, Pedro Barrientos, lebt seit 1990 in den USA auf freiem Fuß. Jaras Angehörige fordern von Washington seit Jahren vergeblich seine Auslieferung.

Nach den jüngsten Urteilen protestierten Angehörige der Opfer und Mitglieder des „Colectivo contra el olvido“ (Kollektiv gegen das Vergessen) am 30. August, dem Internationalen Tag der Verschwundenen, vor dem Palast La Moneda gegen die mangelhafte Aufarbeitung der Diktatur-Verbrechen. „50 Jahre Straflosigkeit – Für sie Privilegien – Für das Volk Unterdrückung“, hieß es auf einem der Spruchbänder, mit denen angeprangert wurde, dass viele Mitglieder und Profiteure des faschistischen Regimes weiter in Amt und Würden seien, während linke Aktivisten erneut unterdrückt würden. Kritik gibt es in Chile auch am sozialdemokratischen Präsidenten Gabriel Boric, der sich Anfang September in La Moneda mit Ex-Präsident Sebastián Piñera (2010 – 2014 und 2018 – 2022) getroffen hatte, um die Möglichkeit einer gemeinsamen Erklärung zum 50. Jahrestag des Staatsstreichs auszuloten. Der ultrarechte Milliardär und Unternehmer Piñera hatte seine politische Karriere während der Pinochet-Diktatur begonnen.

Sie habe, was das Gedenken an den Putsch betrifft, mehr von der Regierung erwartet, kritisierte auch die der Kommunistischen Partei angehörende Vizepräsidentin des chilenischen Parlaments, Carmen Hertz, deren Ehemann von einem berüchtigten, als „Karawane des Todes“ bekannt gewordenen Todeskommando ermordet worden ist. Zur Eröffnung eines noch bis zu diesem Samstag dauernden „Internationalen Gipfels für Demokratie und Menschenrechte“ im Hauptstadtbezirk Recoleta bezeichnete es der kommunistische Bürgermeister der Gemeinde, Daniel Jadue, als paradox, dass Länder wie Russland und andere, die chilenische Exilanten aufgenommen haben, von den offiziellen Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag des Staatsstreichs ausgeschlossen werden, während Vertreter des Landes, das den Staatsstreich initiiert hat (die USA), im Palacio de La Moneda willkommen seien.

Ungeachtet der unterschiedlichen Positionen nahmen Boric wie auch Ex-Präsidentin Michelle Bachelet am Donnerstag an der Beisetzung des langjährigen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chiles, Guillermo Teillier, teil. Tausende, darunter Bürgermeister Daniel Jadue, Ministerin Camila Vallejo sowie viele Künstler wie die Musiker von Illapu, Inti Illimani und Manuel García, erwiesen einem der bedeutendsten Widerstandskämpfer gegen die faschistische Diktatur die letzte Ehre. Der am Dienstag im Alter von 79 Jahren an den Folgen einer Covid-Infektion verstorbene Teillier hatte nach dem Putsch vom 11. September 1973 führend am bewaffneten Widerstand gegen das von Pinochet mit Hilfe der CIA errichtete Terrorregime teilgenommen. In Anerkennung seiner „unermüdlichen Bemühungen um den Aufbau einer gerechteren Gesellschaft“ ordnete Präsident Boric eine zweitägige Staatstrauer zu Ehren des „historischen Führers der chilenischen Kommunisten“ an, der sich – so Boric – „sein ganzes Leben lang“ für ein freies Chile eingesetzt habe. Führende lateinamerikanische Politiker, darunter die Präsidenten Kubas, Boliviens und Venezuelas, würdigten Teillier als einen der einflussreichsten „Strategen der linken Volkskräfte der Region“. Die große Beteiligung an der Trauerfeier habe gezeigt, „dass die chilenische Gesellschaft seinen Wert als Mensch, als Politiker, als antifaschistischer Kämpfer und als Demokrat erkannt hat“, hieß es in einem Kondolenzschreiben der DKP zum Tod Teilliers an die chilenische Schwesterpartei.

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"Gerechtigkeit und Trauer", UZ vom 8. September 2023



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