§175-Opfer: „Eklatantes Unrecht“ soll endlich behoben werden

Gerechtigkeit mit deutlichen Lücken

Von Markus Bernhardt

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Rehabilitierung von Homosexuellen vorsieht, die nach dem früheren Strafrechtsparagraphen 175 verurteilt worden waren.

Zur Erinnerung: Schwule Männer waren in nahezu allen politischen Systemen Deutschlands mannigfaltiger Unterdrückung und Diskriminierung ausgesetzt. Ihre Verfolgung reicht bis in das Mittelalter zurück. Auch in der Weimarer Republik standen sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe, wenngleich die Verfolgung von Schwulen zu dieser Zeit nachgelassen hatte. Die rechtliche Grundlage der Verfolgung von Staatswegen bildete der Paragraph 175 des Reichsstrafgesetzbuchs, der 1871/72 der zur Gründung des Deutschen Reichs eingeführt worden war. Während sich linke Parteien wie KPD, SPD und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) mehrheitlich gegen die Verfolgung von schwulen Männern positionierten, machte vor allem die NSDAP gegen Homosexuelle mobil. Nach der Machtübertragung an die Faschisten Ende Januar 1933 nahmen Razzien und Angriffe auf Treffpunkte von Schwulen massiv zu. Am 28. Juni 1935 verschärften die Nazis den Paragraphen 175. Insgesamt sollen zwischen 1933 und 1945 rund 100.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein. Etwa 57 000 Männer wurden nach Paragraph 175 verurteilt. Nicht selten kam es vor, dass verurteilte schwule Männer im Nachgang an ihre Haftstrafe in den Konzentrationslagern der Faschisten interniert wurden. Insgesamt 6 000 sollen explizit wegen ihrer Homosexualität in KZ verschleppt worden sein. Zwischen 53 und 60 Prozent der Betroffenen, die eigens mit einem „Rosa Winkel“ gebrandmarkt wurden, sind dabei in den Vernichtungslagern zu Tode gekommen. Sie litten dabei unter überdurchschnittlichen Repressalien durch das Wachpersonal und waren oftmals auch mannigfaltigen Diskriminierungen durch andere KZ-Häftlinge ausgesetzt. Die Suizidrate unter schwulen Männern war darum überdurchschnittlich hoch. Sie wurden auch Opfer von Zwangskastrationen und medizinischen Menschenversuchen, die für die Betroffenen nicht selten tödlich endeten. Eine unbekannte Zahl Homosexueller wurde in psychiatrische Anstalten überwiesen, Hunderte Schwule auf gerichtliche Anordnung hin kastriert oder von den Ärzten zu menschlichen Versuchskaninchen gemacht.

Kontinuität der Verfolgung

Viele Opfer des faschistischen Terrors wurden auch nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern weiterhin interniert, da der Diskriminierungsparagraph auch in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin Bestand hatte – und sie ihre Freiheitsstrafe noch nicht bis zum Ende verbüßt hatten. Hervorzuheben ist außerdem, dass der Gesetzestext in der von den deutschen Faschisten erlassenen Form bis ins Jahr 1969 galt. Noch 1957 wurde er vom damaligen Bundesverfassungsgericht als rechtmäßig bezeichnet. Erst nach der Annexion der DDR und im Rahmen der Rechtsangleichung mit dem vormals sozialistischen Land, strichen die politischen Verantwortungsträger der Bundesrepublik ihn 1994 ersatzlos. Der Bundestag konnte sich hingegen erst im Jahr 2002 dazu durchringen, sich offiziell bei den homosexuellen Opfern des Nazi- und des Adenauer-Regimes zu entschuldigen. Im Gegensatz dazu hatte sich die sozialistische DDR – zeitgleich zu der in Westdeutschland stattfindenden Hatz der Integration von Lesben und Schwulen – verschrieben und den Paragraphen 175 – wenn auch spät – im Jahr 1988 ersatzlos gestrichen. Aufgrund der Strafrechtsreform in der DDR im Jahr 1957 war außerdem die Möglichkeit geschaffen worden, von einer Strafverfolgung abzusehen, womit der Paragraph bereits in den 1950er Jahren in der DDR faktisch nicht mehr angewandt wurde.

Späte Rehabilitierung

Der nun unter Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erarbeitete Gesetzesentwurf sieht vor, dass die nach dem Tag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus, am 8. Mai 1945, ergangenen Verurteilungen aufgehoben werden sollen. Opfer der staatlichen Verfolgung sollen außerdem mit einer pauschalen Entschädigung von 3 000 Euro, sowie weiteren 1 500 Euro für jedes angefangene Jahr „erlittener Freiheitsentziehung“ entschädigt werden.

„Die alten Urteile sind aus heutiger Sicht eklatantes Unrecht. Diese Schandtaten des Rechtsstaats werden wir niemals wieder ganz beseitigen können, aber wir wollen die Opfer rehabilitieren“, erklärte Maas am Mittwoch. Die Mehrheit der schwul-lesbischen Organisationen und Verbände begrüßte den Gesetzesentwurf unterdessen. Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH), bezeichnete diesen als „bedeutender Meilenstein auf dem langen Weg zur Rehabilitierung der Opfer des §175 StGB“.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen (BASJ) forderte, das geplante Gesetz nun zügig umzusetzen. „Wir erwarten von der Bundesregierung und dem Gesetzgeber, dass den noch lebenden Opfern der Homosexuellenverfolgung jetzt schnell Gerechtigkeit widerfährt“, schrieb die Arbeitsgemeinschaft an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Ähnlich äußerte sich Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Der Bundestag müsse das Gesetz nun rasch auf den Weg bringen, forderte sie. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Antidiskriminierungsstelle ein Gutachten zum §175 StGB veröffentlicht und damit den Druck auf das Justizministerium erhöht. In besagter Expertise hatte der Staatsrechtler Prof. Dr. Martin Burgi festgestellt, dass der Gesetzgeber aufgrund seiner Schutzpflicht den Auftrag habe, die Opfer zu rehabilitieren. Unmittelbar danach hatte der Bundesjustizminister ein Gesetzesvorhaben angekündigt.

Thomas Knecht, Leiter der Kommission von DKP Queer kritisierte unterdessen „die Defizite und Verschärfungen in dem nun vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzesentwurf“. Dieser sehe vor, dass inzwischen verstorbene Opfer des §175 StGB nicht mehr rehabilitiert werden sollten. Im ursprünglichen Referentenentwurf des Justizministeriums war hingegen noch geplant, dass, wenn der nach § 175 StGB Verurteilte verstorben ist und keine engen Angehörigen mehr hatte, auch andere Personen bei einem „berechtigtem Interesse“ einen Rehabilitierungsantrag hätten stellen können. „So ganz ernst scheint es die Bundesregierung alsso mit ihren Rehabilitierungsplänen nicht zu meinen“, monierte er und warnte zugleich vor Angriffen der politischen Rechten auf die Rehabilitierungspläne der Koalition.

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"Gerechtigkeit mit deutlichen Lücken", UZ vom 7. April 2017



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