Andrej Hunko ist Europapolitischer Sprecher der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag
Das Bemühen um die Zahlung griechischer Reparationsforderungen wegen Verbrechen und Zerstörung unter der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs bleibt nicht vergebens. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags hat auf Initiative Heike Hänsels (Linksfraktion) eine juristische Einschätzung abgegeben, die die Position Griechenlands stärkt. Die beharrliche Weigerung der Bundesregierung, Ansprüche Griechenlands anzuerkennen, sei völkerrechtlich zwar vertretbar, „aber keineswegs zwingend“, urteilen die politisch nicht gebundenen Juristen des Parlaments.
Als eine der letzten Amtshandlungen vor der Abwahl von Präsident Alexis Tsipras hatte Griechenland Anfang Juni Deutschland in einer Verbalnote zu Verhandlungen über Reparationen aufgefordert. Es war das erste Mal überhaupt, dass eine griechische Regierung die Ansprüche formal stellte. Zuvor hatte das griechische Parlament die Regierung mehrheitlich zu diesem Schritt aufgefordert. Eine Expertenkommission in Griechenland hatte die Kriegsschäden durch die deutsche Besatzung auf 290 Milliarden Euro geschätzt.
Die Wissenschaftliche Rechtsabteilung des Bundestags regt zudem an, den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzurufen, um die Frage abschließend klären zu lassen. Dem müsste allerdings auch die Bundesregierung zustimmen, was wenig wahrscheinlich ist. Denn sie erkennt zwar die deutsche Schuld an. Wenn es jedoch um die Entschädigung von Opfern geht, ist sie unnachgiebig. Seit Jahren reagiert sie auf die parlamentarischen Anfragen der Linksfraktion zum Thema schmallippig und verweist darauf, dass aus ihrer Sicht die Reparationsfrage „umfassend und abschließend geklärt“ sei. Dafür bezieht sie sich auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der die „abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ festhielt und den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands ebnete. Der Vertrag erwähnt zwar Reparationen mit keinem Wort und Griechenland hat ihn auch nicht unterzeichnet. Der Bundesregierung gilt er aber als ausreichender Beleg, weil ihrer Ansicht nach mit dem Vertrag alle Entschädigungsansprüche im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg abgegolten sind.
Diese Sicht ist, wie auch das neue Gutachten belegt, schon juristisch fragwürdig. Politisch und moralisch ist sie ein handfester Skandal. So haben beispielsweise die Opfer und Hinterbliebenen des Distomo-Massakers auch nach 75 Jahren keinerlei Entschädigung erhalten. Am 10. Juni 1944 überfiel eine SS-Einheit die griechischen Ortschaft Distomo und tötete als „Vergeltung“ für einen Partisanenangriff auf bestialische Weise 218 Bewohnerinnen und Bewohner. Ehemalige Nazi-Kollaborateure wie die Mitglieder der spanischen „Blauen Division“ können hingegen bis heute auf Rentenzahlungen aus Deutschland zählen.
In der Debatte geht es darüber hinaus um wesentlich mehr als um Entschädigungen für Massaker, Gräueltaten und die Zerstörung der Infrastruktur. Denn die Nazis plünderten das Land aus. Eine Zwangsanleihe, die der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags Ende 2011 auf über acht Milliarden US-Dollar bezifferte, wurde bis heute nicht zurückgezahlt – obwohl sogar die Nazis selbst mit der Rückzahlung begannen. Hinzu kommen Kunstwerke und andere wertvolle Gegenstände, die die Nazis außer Landes schafften. Die zynische Position der Bundesregierung legitimiert diesen Raub nachträglich.