Hans Rudolf Wöhrl behauptet, der Konkurs der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft Air Berlin sei „von langer Hand vorbereitet“ gewesen. Wöhrl, ein reicher Mann aus Nürnberg, der unter anderem Hotels und die Kaufhauskette „Ludwig Beck“ sein eigen nennt und außerdem die Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl (CSU) als Gattin hat, ist glaubwürdig. Er repräsentiert nicht die absolute Spitze der Monopolbourgeoisie in diesem Land, aber doch so etwas wie soliden mittleren Kapitalismus. Der Air-Berlin-Vorstand hatte am 15. August Konkurs angemeldet. Kurz vor dem Wochenende gab Wöhrl sein Angebot für die gescheiterte Fluglinie ab. Wöhrl war schon vor zehn Jahren einmal Eigentümer einer Fluglinie, der LTU, die ihm Air Berlin im März 2007 abkaufte.
Dass der Konkurs von Air Berlin absehbar war, steht sogar in den Zeitungen. Zuletzt habe sich die Fluglinie nur durch Kredite ihres (mit 29 Prozent) größten Aktionärs „Etihad“ über Wasser halten können. Etihad gehört dem Emir von Abu Dhabi, dem reichsten der „Vereinigten Emirate“. Die Fluglinie vom Persischen Golf wollte den europäischen Flugverkehr aufmischen und hatte sich unter anderen auch bei der italienischen Alitalia eingekauft. Dort musste sie allerdings ganz wie bei Air Berlin immer größer werdende laufende Verluste abdecken. Der Konkurs von Air Berlin sei in dem Moment fällig geworden, als sich Etihad entschieden habe, kein frisches Geld mehr nachzuschießen, wurde bekannt.
Geradezu vorbildlich war die schnelle Reaktion der Bundesregierung. Zeitgleich mit dem Konkurs gewährte sie der Pleitegesellschaft einen Überbrückungskredit in Höhe von 150 Mio. Euro, um den laufenden Betrieb zu sichern, um, wie sie selber herausstellte, die Urlauber in die Heimat zurückzutransportieren und um in Ruhe mit den Kaufinteressenten für das Unternehmen von immerhin 8 300 Beschäftigten zu reden. Offensichtlich soll Air Berlin zerteilt an verschiedene Interessenten gehen. Etwas anderes „wäre kartellrechtlich und wettbewerbsrechtlich gar nicht möglich“, wusste der für die Angelegenheit zuständige Staatsekretär im Wirtschaftsministerium Matthias Machnig (SPD). Machnig betont, dass die Regierung an den Verhandlungen nicht beteiligt ist, nennt aber als – durchaus löbliches – Ziel, alle Angestellten so in neue Beschäftigungsverhältnisse zu überführen, dass die tarifvertraglichen Regelungen weiter gelten. Die Gespräche werden offensichtlich mit der Lufthansa, dem britischen Billigflieger Easyjet und Condor (Thomas Cook) geführt. Ob dieses Ziel erreicht wird, darf bezweifelt werden. Die Lufthansa hat schließlich das erklärte Ziel, die Beschäftigten in ihre eigene Billigtochter „Eurowings“ zu transferieren und sie zu deutlich schlechteren Löhnen und Gehältern dort arbeiten zu lassen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie oder die anderen Kaufinteressenten das Personal der Air Berlin zu unveränderten Konditionen übernehmen, wenn sich die Belegschaft nicht wehrt.
Sehr viel spricht dafür, dass es sich bei Konkurs, Kredit und Verhandlungen um das von Herrn Wöhrl so genannte abgekartete Spiel handelt. Auch Michael O‘Leary, der Chef und Eigentümer des erfolgreichsten Billigfliegers in Europa, der irischen RyanAir, wählte diese Worte. Er beschwerte sich wegen des Kredits beim Kartellamt. Denn RyanAir hat die Absicht, seinen bisher kümmerlichen Marktanteil in Deutschland auszuweiten und durch den Kauf von Air-Berlin-Anteilen auch Zugriff auf Start- und Landerechte an den Flughäfen Düsseldorf und Berlin zu erhalten. Diese Rechte, im Jargon „Slots“ genannt, sind offensichtlich das Wertvollste, das die Fluglinie zu bieten hat. Die Flugzeuge selber sind geleast, gehören also einer Finanzierungsgesellschaft. Die Verteilung der Slots ist – wie könnte es anders sein? – eine politische Angelegenheit. Das gilt selbstverständlich für die gesamte Flugbranche. Die Hoheit über den Luftraum haben schließlich die Staaten. Start und Landung von Flugzeugen unterliegen staatlichen Regeln. Die Flughäfen sind fast immer und überall zunächst Staatsbetriebe und werden wie die Straßen und das Eisenbahnnetz von Staaten geplant und vom Steuerzahler finanziert. Nur in letzter Zeit wurden Flughäfen teilprivatisiert. Der immer noch mehrheitlich staatliche und kommunale Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat unter den Bedingungen des EU-Privatisierungsdiktats sich seinerseits öffentliche Flughäfen in Griechenland billig angeeignet.
Seit 1978, als US-Präsident James Carter das Deregulierungsgesetz unterzeichnet hat, wird der Flugverkehr dereguliert. In den USA hat das zu zahllosen Pleiten à la Air Berlin auch großer Flutgesellschaften geführt. In Europa wurde dem Anschein nach das Monopol staatlicher Fluggesellschaften geknackt. Die Großen blieben übrig. So hat etwa die Lufthansa sich die Schweizer, belgische und österreichische Luftlinie einverleibt. Zugleich haben die Marktverfechter einige Rammböcke gewählt, die wie Michael O‘Leary ebenfalls mit Staatshilfe Billigfluglinien aufbauten und die relativ hohen Gehälter bei den staatlichen Fluglinien unter Druck brachten. Die Lufthansa wurde 1996 von der Regierung Kohl restprivatisiert. Aber selbst die EU-Kommission bestand damals darauf, dass sichergestellt sein müsse, dass die Mehrheit der Eigentümer einen deutschen Pass haben. Das wird bis heute jedes Jahr neu nachgeprüft.
Dass Staaten das Recht haben, den Flugverkehr zu organisieren und zu reglementieren, wird nicht einmal von den Erzneoliberalen bestritten. So verweigerte 2006 der damalige Bundespräsident Horst Köhler die Unterzeichnung eines Gesetzes, das die Flugsicherung nicht nur formal, sondern reell privatisieren sollte. Ein abgekartetes Spiel zu betreiben ist also die Pflicht einer jeden Bundesregierung. Es geht nicht darum, ob der Staat in die Auseinandersetzung zwischen Airlines eingreift. Die Frage ist, wie er das tut. Der Flugverkehr gehört nach dem kapitalistischen Grundsatz „Wer zahlt, schafft an“ ganz wie die Bahn ohnehin in staatliche Hand.