In Dortmund stehen fünf Polizisten vor Gericht, die an dem tödlichen Einsatz gegen Mouhamed Dramé beteiligt waren

Geplante Gewalt

Ob er denn überhaupt richtig sei bei der Polizei, will der Anrufer wissen, brauche es nicht eher einen Krankenwagen? „Nee, nee, da sind Sie bei uns schon ganz richtig“, antwortet der Beamte der Leitstelle. Die Polizei rückt an, und kurz darauf ist Mouhamed tot, durchsiebt von Kugeln.

Fünf der Polizisten, die an diesem Einsatz am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt beteiligt waren, müssen sich seit Ende Dezember vor dem Landgericht Dortmund verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Jeannine Denise B., Pia Katharina B. und Markus B. gefährliche Körperverletzung im Amt vor. Dienstgruppenleiter Thorsten H. wird vorgeworfen, seine Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat im Amt verleitet zu haben. Sollte ihn das Schwurgericht für schuldig befinden, droht ihm dasselbe Strafmaß wie Fabian S. Er ist wegen Totschlags angeklagt, weil er mit einer Maschinenpistole sechs Mal auf den 16-jährigen Geflüchteten Mouhamed Lamine Dramé geschossen haben soll.

Zwei Zeugenaussagen am 17. Januar, dem dritten Verhandlungstag, zeigten: Die Polizei eskalierte ihren tödlichen Einsatz nach einem vorher festgelegten Plan.

Der eingangs zitierte Anrufer ist einer der beiden Zeugen. Alexander G. arbeitet als Teamleiter der Jugendhilfeeinrichtung, in der Mouhamed Dramé untergebracht war. G. war es, der die Polizei gerufen hatte. Davor habe er mit seinen Kollegen mindestens fünf Minuten lang versucht, Mouhamed anzusprechen, als der an der Kirchwand im Innenhof der Einrichtung lehnte, nach vorne gebeugt, sich ein Messer an den Bauch haltend. Mouhamed reagierte nicht, weshalb G. und seine Kollegen entschieden, die Situation nicht lösen zu können.

G. spricht mit ruhiger und fester Stimme, wirkt freundlich und bestimmt – auch, als der Verteidiger des mutmaßlichen Todesschützen, Christoph Krekeler, ihn wiederholt fragt, ob es Zweifel am Alter „des Herrn Dramé“ gegeben habe. G. verneint das. Krekeler spricht den Namen des Opfers falsch aus, mit Betonung auf der ersten Silbe statt auf der letzten, die er halb verschluckt. Dass er und Fabian S. das Opfer zum Täter machen möchten, haben sie gleich am ersten Prozesstag gezeigt. Krekeler hatte eine Erklärung seines Mandanten verlesen, die mit dem Satz begann: „Mein Mandant und seine Familie sind durch dieses Strafverfahren sehr belastet.“ Kein Wort des Bedauerns über den Tod des Jugendlichen, keine Reue, kein Mitgefühl für die Familie des Opfers.

Der zweite Zeuge ist ebenfalls Sozialarbeiter, ein Kollege von G. Er wies die Polizei vor Ort ein und bekam den tödlichen Einsatz aus nächster Nähe mit. Er arbeitet nicht mehr in der Jugendhilfeeinrichtung, spricht leiser, zögerlicher, wirkt sichtlich mitgenommen.

Mouhamed habe er vier bis fünf Tage vor dessen Tod kennengelernt, erzählt der Sozialarbeiter. Der 16-Jährige habe anfangs fröhlich gewirkt, sich für Fußball interessiert, an einem Probetraining mit Jugendlichen aus der Nachbarschaft teilgenommen. In gebrochenem Schulfranzösisch und mit Händen und Füßen habe er mit Mouhamed kommuniziert, das habe geklappt. Er habe schon nach einem Schulplatz in einem Berufskolleg für den Jugendlichen gesucht, damit der nach den Sommerferien Deutsch hätte lernen können.

Der zweite Zeuge berichtet, er habe nach dem Eintreffen der Polizei die Krisensituation geschildert. Zwei der Beamten hätten sich dann besprochen. Der Einsatzleiter habe gesagt: Ansprechversuch starten, wenn das nicht funktioniert, Pfefferspray, wenn das nicht funktioniert, Taser. Wenn das nicht funktioniere, habe der Einsatzleiter zum mutmaßlichen Todesschützen gesagt, bist du unsere letzte Chance. „Du bist unser ‚last man standing‘.“

Genau so gingen die Beamten vor. Nach dem Einsatz des Pfeffersprays sei Mouhamed langsam auf die Polizisten zugegangen, erinnert sich der Sozialarbeiter. Mouhamed habe desorientiert gewirkt, die Hände nach unten gehalten. Jemand habe „Tasern!“ gerufen. Er habe gesehen, dass eine Spitze des Tasers in Mouhamed steckte, und sich dann weggedreht. Die Schüsse fielen, Mouhamed sei zu Boden gegangen und habe vor Schmerzen „gejohlt“. Der Einsatzleiter sei zu dem Niedergeschossenen gegangen, habe ihn leicht in den Bauch getreten und gesagt: „Alles wird gut.“ Dann sei Mouhamed „fixiert“ worden – mit Handschellen, geht aus der Aussage des Teamleiters hervor.

Der Vorsitzende Richter Thomas Kelm ruft den zweiten Zeugen zu sich nach vorne, um ihm Bilder zu zeigen. Schnell ist die Richterbank umlagert. Das verunsichert den Zeugen. Kelm wird ungeduldig, wiederholt eine Frage immer wieder. Wieso er jetzt so unklar bleibe, fragt Oberstaatsanwalt Carsten Dombert den Zeugen, er habe doch von Beginn an klare Aussagen gemacht. Eineinhalb Jahre sei der Vorfall her, antwortet der Zeuge unter Tränen. Es sei eine der schlimmsten Situationen seines Lebens gewesen, das habe ihn sehr mitgenommen. Kelm entscheidet, die Zeugenbefragung am 21. Februar fortzuführen.

Richter Kelm wird von Prozessbeobachtern kritisiert – für seinen Umgang mit den Zeugen, seinen jovialen Tonfall, der der Sache nicht angemessen ist, und seine intransparente Prozessführung. Rechtsanwältin Lisa Grüter und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes, die die Nebenklage vertreten, hatten beantragt, Besuchern und Medienvertretern Bilder und andere Dokumente via der im Saal vorhandenen Technik zugänglich zu machen. Das stärke das Vertrauen in den Rechtsstaat. Ein Ziel, das Kelm wohl nicht teilt: Er lehnte den Antrag ab, ohne Argumente dafür zu nennen.

Unsere Berichterstattung zum Polizeimord an Mouhamed Lamine Dramé haben wir hier zusammengestellt.

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"Geplante Gewalt", UZ vom 26. Januar 2024



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