Der Schock, der weite Teile der argentinischen Linken nach dem Wahlsieg des Ultrarechten Javier Milei Ende vergangenen Jahres erfasst hatte, war nur von kurzer Dauer. Gerade einmal sechs Wochen war der neue Staatschef im Amt, als am 24. Januar ein Generalstreik deutlich machte, dass die Arbeiterbewegung des südamerikanischen Landes nicht bereit ist, dessen Kürzungsprogramm widerstandslos hinzunehmen. Allein in der Hauptstadt Buenos Aires folgten rund 700.000 Menschen dem Aufruf der großen Gewerkschaftsdachverbände CGT, CTA und CTA-T zur Kundgebung vor dem Parlamentsgebäude. Landesweit beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben rund 1,5 Millionen Menschen an dem Ausstand.
Unter Rufen wie „Einheit der Arbeiter“ und „Wir verteidigen das Heimatland“ versammelte sich eine unübersehbare Menschenmenge auf der Avenida 9 de Julio, die als eine der breitesten Straßen der Welt gilt. Als der Ruf „Wer nicht hüpft, hat Milei gewählt“ erscholl, gerieten die Massen in Bewegung, denn niemand wollte stehenbleiben.
Auf der Bühne ergriffen neben den Gewerkschaftsvorsitzenden auch der Chef des Internationalen Amerikanischen Gewerkschaftsbundes CSA sowie Taty Almeida als Vertreterin der Mütter der Plaza de Mayo – der Angehörigen der unter der Militärdiktatur „Verschwundenen“ und Ermordeten – das Wort. Der Generalsekretär der CTA-T, Hugo Yasky, warf Präsident Milei vor, durch sein Regierungsprogramm einen sozialen Kahlschlag durchführen zu wollen. Der einzige Frieden, den er dadurch erreichen könne, sei „Friedhofsruhe“, so der Gewerkschafter, der auch Abgeordneter im argentinischen Parlament ist.
Der Chef des Gewerkschaftsbundes CTA in der Provinz Buenos Aires, Roberto Baradel, hob die gemeinsame Aktion der ansonsten oft zersplitterten Arbeiterbewegung hervor. „Wir alle haben verstanden, dass die Demokratie, die Arbeiterrechte und die Menschenrechte in großer Gefahr sind“, erklärte er.
Milei, der am 10. Dezember sein Amt angetreten hatte, will per Dekret weitreichende Einschränkungen der Arbeiterrechte und des Mieterschutzes sowie der Bürgerrechte durchsetzen. Zudem strebt er an, sich per Notstandsdekret vom Parlament weitgehende Sondervollmachten genehmigen zu lassen, die nach seinen Vorstellungen die gesamte Amtszeit über Bestand haben sollen. Das von der Regierungskoalition vorgelegte „Omnibusgesetz“ beinhaltet in 664 Paragraphen die Privatisierung öffentlicher Unternehmen, die Ausweitung der Befugnisse der Polizei, Sozialabbau, das Streichen von Umweltschutzvorschriften für Unternehmen, die Abschaffung aller Maßnahmen, die Argentiniens Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz – vor allem aus den USA – schützen sollten, und vieles mehr.
Deshalb warnen nicht nur die Gewerkschaften vor einem neuen Faschismus, der mit der Politik Mileis drohe. Mario Alderete, Mitglied des Nationalsekretariats und des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Argentiniens, hob die Bedeutung der Einheit der sozialen Bewegungen und der Arbeiterorganisationen hervor. „Es ist nur wenig mehr als ein Monat unter seiner Amtsführung vergangen und die Menschen halten den Anstieg der Lebenshaltungskosten schon nicht mehr aus. Jeden Tag verliert das Geld und mit ihm die Einkommen an Wert. Deshalb gibt es nach Ansicht der Kommunistischen Partei keinen Anlass, mit dem Kampf gegen die neue Regierung zu warten.“ Es sei zu begrüßen, dass diese Einsicht zu einem Prozess der Einheit geführt hat, der den ersten Generalstreik gegen Milei so schnell möglich machte.
Solidarität mit dem Protest kam unter anderem aus Deutschland. Während sich zum Beispiel in Berlin mehrere hundert Menschen zu Solidaritätskundgebungen versammelten, übermittelte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke den Kolleginnen und Kollegen in Südamerika: „Gewerkschaften auf der ganzen Welt stellen sich derzeit gegen die Feinde der Demokratie. Denn wir wissen: Das sind nicht unsere Freunde, auch wenn sie sich oft als Beschützer der Arbeiterklasse tarnen. In Argentinien sieht man es deutlich: Wenn sie an der Macht sind, sind es gerade die arbeitenden Menschen, die am meisten unter den Maßnahmen leiden. Und es sind ihre Vertretungen, die Gewerkschaften, die massiv unterdrückt werden. In diesem Kampf für Demokratie und Gerechtigkeit sind wir Gewerkschaften weltweit vereint. Und diese Einigkeit gibt uns Mut und Kraft.“