Betr.: Griechenland

Gemeinsam zu lernen versuchen

Von Wolfgang Garbers, Hamm

Was wir in Griechenland erleben, ist (Anmerkung der Redaktion: Der Leserbrief wurde Mitte August geschrieben) eine sozialdemokratische Regierung, die nicht begriffen hat, dass der Marktwert sozialdemokratischer Krisenlösungsmodelle dahinschmilzt wie Butter an der Sonne, weil das Kapital (aus seiner Sicht) nichts zu verschenken hat, die (im besten Falle) das Kräfteverhältnis völlig falsch einschätzt und die (ebenfalls im besten Falle) aus dieser fundamentalen Fehleinschätzung heraus links blinkt, um (leider, die Sachzwänge …) rechts abzubiegen. Im schlechtesten Falle macht sie das ganz bewusst, um den Widerstand gegen Lohn- und Sozialraub vor die Wand zu fahren und besser, als es die abgewirtschaftete Mafia aus Konservativen und Pasok könnte, das Verbotsschild „There is no alternative!“ in Stein zu meißeln. Welcher Fall zutrifft, ist für mich schwer zu beurteilen; ich vermute, es liegt irgendwo dazwischen.

Die Botschaft, dass eine Woche nach dem deutlichen Stopp-Zeichen des Referendums genau der abgelehnte Crash-Kurs der Troika von der Regierung übernommen wurde, ist jedenfalls so verheerend, dass jetzt große Teile der Syriza-Basis völlig berechtigt aufbegehren. Zu den Ergebnissen gehört, dass die korrupten Vorgänger von ND und PASOK wieder salonfähig gemacht werden und dass auf der anderen Seite die Faschisten und sicher auch die Putsch-Strategen in NATO und EU Morgenluft wittern und schon die Messer wetzen. 1967 ist schließlich noch nicht so lange her, und erst vor fünf Jahren hat Barroso öffentlich ziemlich unverhüllt gedroht, man müsse in den EU-Peripherieländern ja nicht unbedingt bei der (bürgerlichen) Demokratie bleiben. Eine fast verdoppelte Mehrwertsteuer auf Massenkonsum und touristische Leistungen, unverhältnismäßige Steuererhöhungen für Kleinverdiener gepaart mit einem Schonprogramm für Unternehmen sowie ein weiteres Abwürgen der heimischen Landwirtschaft als dem zweiten Standbein einer eigenständigen ökonomischen Entwicklung neben dem Tourismus zeigen deutlich, wohin für die griechische Regierung sozialökonomisch und politisch die Reise geht. Damit sägt sie den Ast ab, auf dem sie sitzt. Tsipras und seine Leute sind als Tiger gesprungen und als Bettvorleger des Kapitals gelandet.

Ich denke, das Abwickeln und Abwürgen der griechischen Ökonomie bedarf genauso einer marxistischen Analyse wie das segensreiche Wirken der „Treuhand“ bei der Zerschlagung der Volkswirtschaft der DDR. Da gibt es eine Menge Gemeinsamkeiten. Auch die strategischen Fragen, die der Umgang der EU-Herrscher mit Griechenland aufwirft, müssen wir dringend diskutieren. Auch deshalb, weil sich das Szenario mit mehr oder weniger Abweichungen demnächst in Portugal, Spanien, Italien usw. wiederholen kann. Und wir sollten das gemeinsam tun und gemeinsam daraus zu lernen versuchen. Wie schon der alte Brecht sagte: „… sei bei uns klug!“

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"Gemeinsam zu lernen versuchen", UZ vom 18. September 2015



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