In Folge von Wirtschaftskrieg und Sanktionen gegen Russland steht vielen Kolleginnen und Kollegen das Wasser bis zum Hals. Wer die Hoffnung hatte, dass die Regierung hier Abhilfe schafft, ist nach einem Jahr Krisenpolitik, „Doppelwumms“ und sogenannten Entlastungspaketen bitter enttäuscht. Die Inflation frisst weiterhin die Löhne auf. Die Verbraucherpreise liegen auch im Februar noch um 8,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Die daraus resultierenden Wohlstandsverluste sind längst in den Facharbeitermilieus angekommen. Noch düsterer sieht es weiter unten aus: Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat seinen Armutsbericht am 10. März korrigiert. Demnach waren im vergangen Jahr nicht 13,8 Millionen Menschen arm, sondern 14,1 Millionen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 16,9 Prozent – ein neuer Höchststand.
Gleichzeitig konnten große Konzerne Rekordgewinne verbuchen. Nicht nur Rheinmetall und andere Waffenschmieden sind Profiteure von Krieg und Krise. Insgesamt beliefen sich die Gewinne der hundert größten Unternehmen in Deutschland auf stolze 145 Milliarden Euro.
Dagegen, dass die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderklafft, helfen weder gute volkswirtschaftliche Argumente noch der Ruf nach „Sozialpartnerschaft“. Die Kolleginnen und Kollegen in Britannien und Frankreich haben es in den vergangenen Monaten vorgemacht. Für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen muss man kämpfen und die einzige Sprache, die die Kapitalseite versteht, ist der Streik.
Diese Erkenntnis scheint sich auch hierzulande immer mehr durchzusetzen. Bereits im Herbst beteiligten sich rund 900.000 Beschäftigte an den Streiks in der Metall- und Elektroindustrie. In der Tarifauseinandersetzung bei der Deutschen Post votierten 85,9 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung für den unbefristeten Streik. Gleichzeitig sollten jedoch die Verhandlungen mit der Kapitalseite fortgesetzt werden. Keine drei Tage später lag ein Ergebnis vor. Die monatlichen Grundentgelte der Tarifbeschäftigten über alle Entgeltgruppen hinweg werden ab dem 1. April 2024 um 340 Euro erhöht. Dies entspricht einer durchschnittlichen Lohnerhöhung von 11,5 Prozent. Außerdem soll es steuer- und abgabenfreie Sonderzahlungen in Höhe von insgesamt 3.000 Euro über mehrere Monate verteilt geben. Die Laufzeit beträgt 24 Monate, was dem Konzern zwei Jahre Ruhe vor weiteren Arbeitskämpfen verspricht.
Während die Tarifauseinandersetzung bei der Post, vorausgesetzt, die Gewerkschaftsmitglieder stimmen diesem ausgehandelten Kompromiss zu, beendet ist, dauern die Arbeitskämpfe im öffentlichen Dienst an. Nicht nur Kitas, kommunale Krankenhäuser und Verwaltungen werden bestreikt. Im Februar gelang es, den Luftverkehr in sieben Flughäfen in NRW weitgehend lahmzulegen. Für den 27. März haben die Eisenbahnergewerkschaft EVG und ver.di einen gemeinsamen Verkehrsstreik angekündigt – pünktlich zur nächsten Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst.
Wenn aus „Streik-Folklore“ echter Arbeitskampf mit ernsten ökonomischen Konsequenzen wird, wird die Kapitalseite nervös und der Ruf nach weiteren Einschränkungen des Streikrechts laut. So forderte der Deutsche Arbeitgeberverband (BDA) in Person seines Hauptgeschäftsführers Steffen Kampeter „gesetzliche Regelungen mit dem Ziel, dass Arbeitskämpfe Ausnahmen bleiben sollen“. Solche Äußerungen sind einerseits provokant. Andererseits zeigen sie, dass Gewerkschaften – auch angesichts von 45.000 Neueintritten in zwei Monaten Arbeitskampf – von der Gegenseite (wieder) als Akteur auf Augenhöhe wahrgenommen werden.