Jugendarmut: Corona verschärft bestehende Probleme

Gemachte Armut

Klaus Stein

Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit“ (BAG KJS) veröffentlichte in der vergangenen Woche einen Bericht über die Lage der Jugend, den sogenannten „Jugendmonitor“. Die Auswirkungen der Corona-Seuche konnte er noch nicht berücksichtigen. Immerhin lässt sich an den Daten aber ablesen, dass Armut unter Kindern und Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren stetig zugenommen hat. Die Quote der armutsgefährdeten Jugendlichen im Alter von 18 bis 24 Jahren lag demnach im Jahr 2011 bei 23,2 Prozent, sechs Jahre später schon bei 26 Prozent. Insgesamt sind 13,4 Millionen Menschen in Deutschland „armutsgefährdet“, davon sind 3,4 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von rund einer Million Kindern und Jugendlichen ohne Anspruch auf Hartz IV oder Wohngeld. Jugendliche, die mit SGB-II-Leistungen aufwachsen, seien in ihrer Teilhabe eingeschränkt. In der Regel begleite sie der Mangel ein Leben lang.

Wie sich unter solchen Umständen Jugendliche entwickeln sollen, fragt Silke Starke-Uekermann, die Leiterin des Projekts, und sucht die Antwort im 15. Kinder- und Jugendbericht (KJB) der Bundesregierung von 2017. Seitenlang werden hier Vorstellungen der Entwicklung idealer Jugendlicher referiert. Unbeachtet lasse der Bericht aber, so Starke-Uekermann, dass Jugendliche dabei massiv unter Druck stehen und eigentlich nur noch das Abitur als guter Schulabschluss gilt. In Deutschland herrsche ein hochselektives Bildungssystem. Der Zugang zu einem erfolgreichen Berufsleben hänge stark von der sozialen Herkunft ab.

„Vor allem muss von Seiten der Politik erkannt werden, dass es bei der Bekämpfung der Armut junger Menschen eben um die Bekämpfung struktureller Probleme geht“, sagt Lisi Maier, die Vorsitzende der BAG KJS. „Die aktuellen Zahlen der Bundesagentur belegen, dass es dringender denn je ist, die verschärfte Sanktionierung junger Menschen im Hartz-IV-Bezug endlich abzuschaffen.“ Ohnehin sei der Hartz-IV-Satz für Kinder und Jugendliche zu niedrig berechnet. Jede einzelne Leistung, wie zum Beispiel eine Schulfahrt, muss beantragt und genehmigt werden. Eine Ausbildungsvergütung oder anderes Einkommen schmälere das Familieneinkommen, denn ihre Anrechnung reduziere den Regelsatz. Unter 25-Jährige dürfen nicht ausziehen, statt Hilfe gebe es harte Sanktionen.

Es steige die Quote ungelernter beziehungsweise ausbildungsloser junger Menschen. Mehr als zwei Millionen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung, das sind 14 Prozent. Diese Quote ist seit 2013 kontinuierlich angestiegen.

Die Quote der Schulabbrecher stieg von 5,7 auf 6,3 Prozent innerhalb eines Jahres. Selbst der Bildungsmonitor 2019 der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ stelle fest, dass es dem deutschen Bildungssystem an Durchlässigkeit und Erfolgschancen mangele.

„Dass die Zahl armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher während der Corona-Krise – selbst nach einer Schätzung des Arbeitsministeriums – noch einmal deutlich steigen wird, ist leider wenig überraschend“, kommentiert Norbert Müller von der Linkspartei. „Es ist ein Skandal, dass die Zahl armer Kinder und Jugendlicher immer weiter steigt, während es gleichzeitig immer mehr Vermögensmilliardäre gibt.“

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"Gemachte Armut", UZ vom 16. Oktober 2020



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