Warum man das Schlemmen nicht der Bourgeoisie überlassen darf • Teil 4

Gelobt sei Olga

Kolumne

Trink kein Radeberger mehr, das macht Kopfschmerzen“, sagte mein Dresdener Freund einige Jahre nach 1990, da gehörte die Brauerei bereits dem Oetker-Clan. Radeberger war eine viel exportierte Berühmtheit des sozialistischen Deutschland. Mein senegalesischer Freund bittet bis heute darum, „Radebergez“ mitzubringen, obwohl ich ihm abrate. Der Dresdener Freund – Meister einer mit hohen DDR-Orden ausgezeichneten Jugendbrigade der DDR-Mikroelektronik – ist ein passionierter und, weil Sachse, selbstbestimmter Konsument: Nur gutes Getränk. In den ersten Jahren nach der Konterrevolution 1990, die auch eine fürs Bier war, half nur ein Rutsch über die Grenze nach Tschechien: Im Land von Schwejk und Pilsner wagte niemand, Gesöff statt Bier zu servieren. Inzwischen, verrät der Dresdener, gibt es aber eine sächsische Erholung der Braukunst. Geheimtipp: Brauerei Rechenberg aus Rechenberg-Bienenmühle im Ost-Erzgebirge. Braurecht seit 1558, seit dem 19. Jahrhundert von der Familie Meyer betrieben, 1972 durch den dämlichen, weil für den DDR-Sozialismus verheerenden Prikas aus Moskau zur Verstaatlichung der kleinen Unternehmen in der DDR ins Getränkekombinat Karl-Marx-Stadt eingegliedert, seit 1990 wieder von Meyers betrieben. Ein ausgezeichnetes Bier.

Im März 1990 hatte der „Spiegel“ das damals übliche Verfahren zur kriminellen Abwicklung auch der DDR-Brauereien angeschoben: Im DDR-Bier sei nur Dreck. Überschrift: „Galle statt Hopfen“. Unterzeile: „Die bundesdeutsche Brauindustrie sieht wieder Wachstumschancen – in der DDR.“ Die westgotischen Brauereien schrumpften nämlich damals schon – kein Wunder bei ihrer Plörre. Verträgt einer Designerbier? Ist Beck’s überhaupt Bier? Warum sollte den Megagigantenkonzern Anheuser-Busch InBev – laut Wikipedia 630 Marken, gebraut in 260 Brauereien in 150 Ländern – interessieren, was aus seinen Zapfhähnen läuft? Belgische Genossen raten: „Trink nie Jupiler!“ Das gehört Anheuser und so weiter, Marktanteil in Belgien 45 Prozent. Die Vergesellschaftung der Bierproduktion, die 13.000 Jahre alt sein soll, mit anschließender Übergabe an fähige Brauer ist ein Überlebensproblem der Menschheit.

Die DDR und die CSSR hatten es ansatzweise gelöst, das heißt, die Einheit von Sozialismus und gutem Bier hergestellt. Okay, in der So­wjet­union war es empfehlenswert, sich an das aus Riga zu halten. Ein Beschluss des ZK der KPdSU von 1972 zur Bekämpfung des Alkoholismus sah als ersten Punkt vor: Erhöhung der Bierproduktion. Gerstensaft galt nicht als Alkohol. Russisches Bier schmeckte aber nicht, der Beschluss ging ins Leere. Es blieb bei Wodka.

In der DDR soll es laut dem kolonialistischen Vermarktungsartikel im „Spiegel“ 1990 280 „Bierfabriken“ gegeben haben. Mag sein. He­rausgehoben waren aber Radeberger, Wernesgrüner, Urkrostitzer und Berliner Pilsner. Das sehr gute Lübzer (heute Carlsberg) kannte ich damals nicht und erfuhr erst 25 Jahre nach dem DDR-Ende, dass die NVA sich stets einen großen Teil von dessen Produktion sicherte. Fest steht: Das Feierabend- oder Frühbier war für jeden im Sozialismus erschwinglich. In der DDR-Hauptstadt gab es zum Beispiel Gaststätten mit normalen, nicht Nachtbarpreisen, also der halbe Liter für 50 oder 60 Pfennig, die erst um sechs Uhr morgens schlossen oder zur selben Zeit öffneten. Das vereinfachte den Kneipenwechsel, was nicht nur für schlafgestörte Studenten wichtig war, sondern zum Beispiel auch für Nachtschichtwerker oder Kollegen der Müllabfuhr. Letztere erhielten etwa in der heutigen „Schnellen Quelle“ in der Rochstraße in Berlin-Mitte sehr früh zum Bier gigantische Hackepeterportionen. Ich habe die Fleischberge mit eigenen Augen gesehen und nie vergessen.

Unschlagbar aber waren Olgas Preise: An der Ecke Linien-/Rosenthaler Straße in Berlin kostete der halbe Liter im wohnzimmergroßen Ausschank 35 Pfennig. Das zog mittellose Studenten an wie Licht die Motten. Die Kneipe bestand aus einem riesigen runden Tisch und drei kleinen mit zwei Stühlen. Auf einem saß Olga und warf jeden raus, der nach ihrer Ansicht genug hatte. Welche Sorte gezapft wurde? Egal, Kopfschmerzen bekam keiner. Wahrscheinlich Berliner Pilsner. Das gehört heute zur „Radeberger Gruppe“, ist also ein Risiko.

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"Gelobt sei Olga", UZ vom 16. August 2024



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