Die Corona-Diskussion in der Kapitalistenklasse spitzt sich auf „Geld oder Leben“ zu, bemerkt die konservative „Frankfurter Allgemeine“. Das sei „irreführend“ urteilte vorurteilsfrei, über den Parteien stehend und nur der Kapitalrendite verpflichtet das Handelsblatt am Wochenende. Im Handelsblatt hatte Star-Investor und Ex-Goldman-Sachs-Deutschland-Chef Alexander Dibelius die Diskussion angestoßen: „Am Ende des Tages ist der akute Absturz der Weltwirtschaft mit all seinen Folgewirkungen der weit größere und gefährlichere Stresstest als Sars-CoV-2.“ Es geht um die Exit-Strategie aus dem (Kapitalakkumulations-) Stillstand. Merkels „Wirtschaftsweiser“ Wieland: „Eine Exit-Strategie aus dem Shutdown kann aber nicht nur nach ökonomischen, sondern muss vor allem auch nach epidemiologischen Kriterien bestimmt werden. Das muss man sorgsam ausbalancieren.“ Das Ausbalancieren findet Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann übertrieben. Er fordert, spätestens nach Ostern das Business wieder hochzufahren. Seehofer ist dagegen, die Epidemie könnte wieder Fahrt aufnehmen.
Das Handelsblatt zitiert das „RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung“, das verschiedene Szenarien analysiert hat: „Würde man in Deutschland alle Kontaktverbote aufheben und sich das Virus ungebremst ausbreiten lassen, dann müssten innerhalb von sechs bis sieben Wochen 80 Prozent der Menschen mit intensivmedizinischem Bedarf in den Krankenhäusern abgewiesen werden. Mehrere Hunderttausend Todesfälle wären dann unvermeidbar. Wenn man die derzeitigen Maßnahmen bei behielte, die Ausbreitung des Virus so zu bremsen, dass alle, die es brauchen, in den Krankenhäusern behandelt werden könnten, seien immer noch 200.000 Todesfälle zu erwarten. Der Shutdown müsste dafür mindestens ein halbes Jahr durchgehalten werden. Als einziger Ausweg, der Rezession und Krankenhausüberlastung vermeidet, bliebe laut RWI nur die Südkorea-Strategie.“ In dieser Richtung scheint die Regierung den Kompromiss zu suchen. Der Chef der „Wirtschaftsweisen“, Lars Feld: „Es wäre gut, wenn es uns gelänge, wie in Südkorea flächendeckend zu testen und das Tracking der Kontakte von Infizierten datenschutzkonform auszugestalten.“ Ähnliches kommt von Gesundheitsminister Spahn und Kanzleramtschef Braun.
Die Regierung ist im klassischen Konflikt zwischen dem Interesse der Einzelunternehmer – so schnell wie möglich den Stillstand aufheben – und dem Gesamtinteresse des Kapitals, die Kapitalverwertung insgesamt abzusichern, das heißt unter anderem das Leben der unmittelbaren Produzenten, die ihre Profite erzeugen. Entscheidend ist das Interesse der Finanzoligarchie. Die muss sowohl den Rest der Klassenbrüder Kleinmilliardäre bei der Stange halten und ist auf sozialen Frieden seitens der Arbeiterklasse und der kleinbürgerlichen werktätigen Schichten angewiesen.
Die führenden Konzerne sehen bereits Licht am Ende des Tunnels, weil China wieder anfängt zu produzieren und zu kaufen. Der VW-Konzern zum Beispiel hat 40 Prozent der Fahrzeuge 2019 in China abgesetzt, Daimler hat vor der Werksschließung noch schnell die ausschließlich in Deutschland hergestellten und hochprofitablen S-Klasse-Wägen für China vorproduzieren lassen. Das Riesenkombinat von BASF in Nanjing läuft wieder. Die Pharmaindustrie wird wieder beliefert und bekommt Aufträge, ebenso der Maschinenbau.
Anders sieht es bei den Kapitalisten ohne China-Stütze aus. Da heißt es schnell mit Brechts skrupellosem Bettlerkönig: „Ein guter Mensch sein, ja wer wärs nicht gern…, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ Für das große Kapital fasste der Präsident des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“, Dieter Kempf, das Programm im Sinne der „Sozialpartnerschaft“ zusammen, Unternehmen und Politik müsse es gemeinsam gelingen, „die vorrangige Unversehrtheit von Menschen und den kontrollierten Hochlauf der Wirtschaftstätigkeit miteinander vereinbar zu gestalten“. Für die Arbeiterklasse stellt sich die Alternative zwischen Leben und Profit einfacher dar: Sterben für die Sozialpartnerschaft? Nein danke.
(Stand 30.03.2020)