Lange vor der Räumung des Hambacher Waldes und vor dem Beschluss zum Kohleausstieg schloss die Stadt Kerpen einen „Geheimvertrag“ mit dem Energiekonzern RWE. Hans Decruppe, Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzender der Fraktion „Die Linke“ im Kreistag des Rhein-Erft-Kreises, machte auf die Rechtswidrigkeit des Beschlusses aufmerksam. UZ sprach mit ihm über die Inhalte, das Zustandekommen und die Folgen des Vertrags.
UZ: In diesem Monat kam eine geheime Rahmenvereinbarung zwischen Kerpen und RWE ans Licht. Worum geht es dabei?
Hans Decruppe: Die Vereinbarung zwischen der Stadt Kerpen und der RWE Power AG ist im Jahr 2017 im nichtöffentlichen Teil einer Ratssitzung beschlossen worden. Damals ging es eigentlich um die Gründung der Stadtwerke in Kerpen. Diese Stadtwerkegründung wurde zusammen mit der Innogy SE vorangetrieben, die damals eine Tochtergesellschaft der RWE Power AG war. Im Rahmen des Gründungsbeschlusses wurde dann eine Rahmenvereinbarung mit RWE Power abgeschlossen, die mit den Stadtwerken nichts zu tun hatte. Darin wurde ein gemeinsames Grundverständnis festgehalten. Die Stadt Kerpen sollte die Weiterentwicklung des RWE-Tagebaus Hambach nicht infrage stellen. Im Gegenzug sicherte RWE der Stadt Hilfestellungen und die Unterstützung konkreter Projekte zu. Außerdem wurde darauf verwiesen, dass es in der Vergangenheit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gegeben habe. Die jetzt bekannt gewordene Vereinbarung scheint also nicht die erste zu sein. Es wurde auch noch verabredet, dass ein Arbeitskreis „zum regelmäßigen Austausch über die Auswahl und Umsetzung von nachhaltigen Projekten“ eingerichtet werden soll. Was aus diesem Arbeitskreis geworden ist, ist bis heute nicht nachvollziehbar. Wichtig ist auch noch, dass es ähnliche Verabredungen in mindestens zwei weiteren Städten hier im Rhein-Erft-Kreis gegeben hat, nämlich in Elsdorf und Bergheim.
UZ: Nach Bekanntwerden des Vertrages haben Sie den Beschluss als rechtswidrig kritisiert. Warum?
Hans Decruppe: Eine solche Vereinbarung mit einem Großkonzern wirft natürlich massive Fragestellungen auf, vor allem in Bezug auf die damit verbundenen Abhängigkeiten. Ich habe auch das Zustandekommen des Beschlusses hinterfragt. Bei Ratssitzungen gibt es den Grundsatz der Bestimmtheit von Tagesordnungen. Das heißt, es muss klar sein, über was eigentlich beraten und beschlossen werden soll. Das war in diesem Fall nicht gegeben. Im Stadtwerke-Beschluss ging es um die Innogy SE und bei der Rahmenvereinbarung um die davon getrennte RWE Power AG. Es waren also unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten betroffen. Zudem stand die Rahmenvereinbarung gar nicht auf der Tagesordnung. Sie wurde als Anlage 40 hinter einem anderen Tagesordnungspunkt versteckt. Offensichtlich wurden die Ratsmitglieder gezielt hinter die Fichte geführt. Diejenigen, die der Kooperation mit Innogy sowieso schon positiv gegenüberstanden, haben die Anlagen nicht einzeln durchgearbeitet. Aber auch die sieben Ratsmitglieder, die gegen die Stadtwerke-Gründung gestimmt haben, haben das aus ihrer ablehnenden Grundhaltung heraus getan und offenbar nicht in die Details geschaut. Das ist natürlich immer kritisch. Außerdem kommt noch Folgendes hinzu: Die Öffentlichkeit von Gremiensitzungen ist ein Verfassungsgrundsatz, eine Frage der Demokratie und der Transparenz. Nur wenn es höherrangige Rechte gibt, wenn das öffentliche Wohl tangiert wird oder Betriebsgeheimnisse betroffen sind, dann kann im Einzelfall entschieden werden: das wird im nichtöffentlichen Teil behandelt. Aber in dieser Vereinbarung gibt es keinen einzigen Punkt, der geheimhaltungsbedürftig war. Also hätte der Bürgermeister den Beschluss von Amts wegen in den öffentlichen Teil der Ratssitzung aufnehmen müssen, damit auch jeder Bürger weiß: Was wird denn da beraten, was wird beschlossen und worum geht es? Es gab also zwei Rechtsverstöße: die Bestimmtheit der Tagesordnung war nicht gegeben und der Grundsatz der Öffentlichkeit wurde verletzt. Beides führt zur Nichtigkeit dieses Beschlusses.
UZ: Inzwischen wurde Ihre Einschätzung von mehreren Rechtswissenschaftlern bestätigt. Der Beschluss ist nichtig, aber der Rahmenvertrag wurde schon vor Jahren abgeschlossen. Was folgt daraus für die Stadt?
Hans Decruppe: Was daraus folgt, ist schwer zu sagen, weil ich bislang nicht erkennen kann, inwieweit es konkrete Umsetzungsschritte gegeben hat. Ich habe das Thema mit der Einrichtung des Arbeitskreises angesprochen. Es ist unter Ratsmitgliedern in Kerpen nicht bekannt, dass ein solcher Arbeitskreis gebildet wurde und getagt hat. Das heißt, diese Vereinbarung ergeht sich im Wesentlichen in Absichtserklärungen. Entscheidend ist hier meines Erachtens, dass die Stadt gegenüber RWE Power erklärt hat, dass sie die Weiterentwicklung des Tagebaus nicht infrage stellen wird. Und zwar völlig unabhängig von zukünftigen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder von geänderten politischen oder energiepolitischen Umständen. Da muss man einfach sagen: Das ist ein starkes Stück. Hier wird eine Selbstbindung erklärt, die in jedem Falle politisch negative Auswirkungen auf die Stadt hat.
UZ: Um den Tagebau Hambach ranken sich viele Konflikte. Sehr bekannt wurde die Räumung des Hambacher Waldes. Momentan gibt es eine Auseinandersetzung um das Dorf Manheim. Müssen sich die Menschen in Kerpen nicht fragen, wessen Interessen die Stadt eigentlich vertritt?
Hans Decruppe: In Manheim soll gebaggert werden, weil die Erdmassen benötigt werden, um die Böschungen am Tagebaurestloch, das mit Wasser gefüllt werden soll, abzusichern. Wenn hier die Belange der Stadt Kerpen betroffen sind, muss der Rat völlig neu beraten. Die Rahmenvereinbarung sagt: Wir stellen das nicht infrage. Aber was bedeutet das? Schließlich geht es inzwischen ja um das Ende des Tagebaus und nicht mehr um seine Weiterentwicklung. Als Jurist sage ich, dass die Vereinbarung in diesem Fall keine juristische Relevanz mehr hat. Aber politisch und psychologisch kann RWE natürlich immer sagen: Ihr wolltet doch eine positive Grundhaltung zu unseren Planungen einnehmen. Das mag rechtlich keine Bindung haben, trotzdem ist der ganze Vorgang kein formalistisches Randthema. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass die Rahmenvereinbarung zwischen Kerpen und RWE beschlossen wurde, bevor es die Grundsatzentscheidung gab, aus der Kohle auszusteigen. Das gibt also Einblick in das damalige Denken und in die Praktiken, mit denen versucht wird, eine politische Bindung von Kommunen zugunsten eines Großkonzerns herzustellen. Ich erlebe in der Kommunalpolitik auch immer wieder, dass Bürgermeister oder Landräte Themen in den nichtöffentlichen Teil einer Sitzung schieben, um sie der öffentlichen Debatte zu entziehen. Gerade als Linker ist es wichtig, dass man so etwas zu verhindern versucht und dafür sorgt, dass brisante Themen nicht hinter vorgehaltener Hand behandelt werden.
UZ: Das gilt nicht nur für Kommunen …
Hans Decruppe: Die wichtigen Entscheidungen zum Tagebau werden derzeit im Regionalrat in Köln, im Braunkohleausschuss und bei der Landesregierung getroffen. Wie dort operiert wird, haben wir im letzten Herbst gesehen, als hinter dem Rücken des Parlaments eine Vereinbarung mit RWE zum Ausstieg bis 2030 beschlossen wurde. Durch den Landtag und die kommunalpolitischen Gremien ist diese Entscheidung nicht gegangen. Beschlüsse mit extrem weitreichender Wirkung werden ohne Beteiligung von demokratisch gewählten Gremien getroffen. Das ist noch viel gravierender als das, was hier in Kerpen passiert.