Amazon expandiert und ist deshalb auf der Suche. Der Onlinehändler sucht nach neuen Standorten und nach Arbeitskräften, vor allem ungelernten. Regional und gezielt wirbt Amazon bei Facebook und in Zeitungen mit lächelnden Arbeiterinnen und einem Stundenlohn von „mindestens 11,82 (brutto)“. Das ist nicht gerade üppig, aber ohne die Streiks der ver.di-Kolleginnen und -Kollegen, die in den letzten Jahren immer wieder für einen Tarifvertrag gestreikt haben, wäre es spürbar weniger. Dazu kommt, dass andere schlechter zahlen und die großen Warenhäuser, die sogenannten „Fulfillment Center“, in der Vergangenheit vor allem dort gebaut wurden, wo es wenige Job-Alternativen gibt.
Bei Kunden ist der Einkauf bei Amazon beliebt, weil schnell geliefert und großzügig zurückgenommen wird, was nicht passt, Mängel aufweist oder einfach nicht gefällt. „Als Kunde ist das klasse“, sagt ein Amazon-Arbeiter aus der Retourenabteilung, „der stationäre Handel würde das nicht akzeptieren.“ Damit das Geschäftsmodell aufgeht, wird den Beschäftigten in den Warenhäusern einiges abverlangt, aber auch das ist kein Alleinstellungsmerkmal des US-Konzerns.
Sylwia Lech, Gewerkschaftssekretärin bei ver.di, beschreibt die Arbeitsbedingungen bei Amazon so: „Immenser Druck, ständige Leistungsverdichtung, permanente Leistungskontrollen, schlechte Führungskultur, unzureichende Erholungs-, Durchatmungszeiten und fehlende Wertschätzung, gepaart mit mangelhaften Infektionsschutzvorkehrungen.“ Um die Arbeitsintensität stetig erhöhen zu können, nutzt Amazon die gleiche Technik, die Warenein- und -ausgänge dokumentiert, um die Beschäftigten zu kontrollieren. Wenn ein „Picker“, also jemand, der die Ware im Lagerhaus aus dem Regal holt, die langen Gänge abläuft, zeigt ihm der Handscanner den direkten Weg zum nächsten Artikel. Dieser Handscanner zeichnet seine Aktivitäten lückenlos auf. Ein Toilettengang außerhalb der Pausenzeit oder auch ein Plausch mit einem Kollegen birgt die Gefahr, zum Gegenstand eines Feedback-Gespräches zu werden. Beschäftigte berichten, dass sie auf kleinste Arbeitsunterbrechungen angesprochen werden. Bereits eine Minute der Inaktivität zog in einem Fall den Hinweis nach sich, dass die im Arbeitsvertrag vereinbarte Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verletzt worden sei.
Wenn der Vorgesetzte freundlich fragt: „Geht es dir nicht gut?“, dann ist Alarm im Verzug. Eine Einstufung als „Underperformer“ ist gerade für Befristete ein Problem und gefährdet die Weiterbeschäftigung. „Underperformer“ zu sein heißt eigentlich nur, beim Arbeitstempo unter dem Durchschnitt zu liegen. Das dürfte eigentlich kein Problem sein, weil es nicht möglich ist, dass alle immer über dem Durchschnitt liegen. Das Amazon-Prinzip ist aber, den Durchschnitt und damit die Arbeitsintensität ständig zu erhöhen.
Das Zahlenfeedback ist ein Mittel der Disziplinierung. In Bad Hersfeld, dem ältesten Amazon-Standort in Deutschland, hat der Betriebsrat sich deshalb dafür eingesetzt, die Feedback-Gespräche abzuschaffen. Heute dürfen sie nur noch mit Neueingestellten geführt werden. Festangestellte machen inzwischen „explizite“ Pausen – trotz Beschwerden aus Reihen der Vorgesetzten. „Wenn ich auf Toilette gehe, dann gehe ich“, sagt ein Beschäftigter gegenüber UZ. Seit acht Jahren führen einige der Kolleginnen und Kollegen den Arbeitskampf um einen Tarifvertrag. Teile der Belegschaft sind dadurch spürbar selbstbewusster geworden. Wenn Beschäftigte neu anfangen, arbeiten sie aber auch in Bad Hersfeld mal eine Pause durch oder verkürzen sie, um beim Zahlenfeedback nicht als „Underperformer“ dazustehen.
Aber es gibt auch „Top Performer“, die sich mit dem Unternehmen identifizieren. „Work hard. Have fun. Make history“ – mit diesem Spruch will Amazon-Chef Jeff Bezos diejenigen motivieren, die seinen Reichtum geschaffen haben. Jeden Tag besser und schneller als am Tag zuvor – das ist das formulierte Ziel. Dazu kommt, dass gerne und oft der Teamgeist beschworen wird mit dem Hinweis, dass andere ausbaden müssen, was der Einzelne nicht schafft. Fehlt eigentlich nur noch, dass Bezos seine Firmenideologie als Religionsgemeinschaft anerkennen lässt.
UZ-Serie zu Amazon
2021 wird das Jahr des US-Konzerns Amazon – wie schon die Jahre zuvor. Wie der Onlinehändler es schafft, so rasant zu expandieren, welche Methoden er dabei anwendet, wie die Arbeitsbedingungen aussehen und welche Branchen Amazon noch erobern will – das sind die Themen einer monatlich in UZ erscheinenden Serie. Bisher erschienen: „Die Legende von Amazon“ (UZ vom 8. Januar) und „Monopolist mit neuem Chef“ (UZ vom 10. Februar).