Gegenwind

Jörg Kronauer über Kapitalinteressen und Russlandsanktionen

Jörg Kronauer, Soziologe und freier Journalist mit den Schwerpunkten Neofaschismus und deutsche Außenpolitik. Redakteur des Nachrichtenportals german-foreign-policy.com

Jörg Kronauer, Soziologe und freier Journalist mit den Schwerpunkten Neofaschismus und deutsche Außenpolitik. Redakteur des Nachrichtenportals german-foreign-policy.com

Annegret Kramp-Karrenbauer bleibt hart. Wieder einmal sind die Russland-Sanktionen der EU offen in Frage gestellt worden – zuerst von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, dann von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow und nun auch von Niedersachsens Landeschef Stephan Weil. Ramelow ist ein Linker; ihn könnte die CDU-Vorsitzende ohne Weiteres ignorieren. Weil ist Sozialdemokrat; auch mit seinem Vorstoß könnte die Christdemokratin wohl gut leben – von der SPD kennt man solche Ausreißer ganz in der Tradition der Brandtschen Neuen Ostpolitik ja. Kretschmer aber ist Parteikollege, und er hat nicht nur einfach mal so dahingesagt, dass ihn die Sanktionen stören – das wäre ja noch verständlich, da die Landtagswahlen in Sachsen nahen und dort Russland immer noch deutlich populärer ist als etwa die USA. Nein, Kretschmer hat sogar Nägel gemacht; ob es Nägel mit Köpfen sind, weiß man noch nicht, aber er ist am 7. Juni auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg gewesen, hat dort für den Ausbau der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen geworben, auf dem Event sogar Präsident Wladimir Putin getroffen und den Mann auch gleich noch nach Dresden eingeladen. Damit kommt nun ausgerechnet aus der CDU Gegenwind gegen die Berliner Russlandpolitik.

Jetzt ist also die Parteichefin gefragt. Kramp-Karrenbauer drückt sich nicht; sie spricht das Thema in ihrer Rede am 28. Juni auf dem „Tag der Familienunternehmen“ an. Der wird von der „Stiftung Familienunternehmen“ veranstaltet, einem mittelständisch geprägten Verband; das ist nicht unwichtig, denn die Russland-Sanktionen haben besonders mittelständische Unternehmen hart erwischt. Insgesamt muss man einräumen, dass nicht wenige von ihnen – teils mit Hilfe Berlins – Ausgleich gefunden haben. So nahm der Export des deutschen Maschinenbaus in die Vereinigten Staaten im Jahr 2015 ungefähr im gleichen Maße zu, wie seine Ausfuhr nach Russland einbrach. Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbandes hat kürzlich daran erinnert, dass der Umsatz der deutschen Agrarwirtschaft im Russlandgeschäft – er belief sich vor den Sanktionen auf 1,6 Milliarden Euro – zwar kollabiert ist, dass der boomende Export deutscher Agrargüter nach China dies aber faktisch ausgeglichen hat. Nun muss, was für die Gesamtheit gilt, im Einzelfall nicht zutreffen: So mancher Mittelständler vor allem im Osten der Republik ist durch die Sanktionen in den Ruin getrieben worden. Und: Selbst wenn die Verluste sehr oft ausgeglichen werden konnten – vergibt man sich nicht trotzdem Milliardenchancen, wenn man an Sanktionen festhält? Muss der Boykott nicht im Interesse der deutschen Industrie weg?

Kramp-Karrenbauer bleibt hart. „Ich weiß, dass die Wirtschaftssanktionen für viele Unternehmen schwierig sind“, sagt sie auf dem „Tag der Familienunternehmen“. „Aber ehrlich gesagt: Es hat mir bisher noch keiner eine bessere Alternative nennen können“. Alternative wozu? Nun, Ziel der EU-Sanktionen ist es, Moskau zumindest im Konflikt um die Ostukraine zum Einlenken zu zwingen, also klarzustellen, wer in Osteuropa der Herr im Hause ist. Das ist auch für die Wirtschaft keine Frage, die man ungestraft vernachlässigen könnte. Schließlich werden Aufträge in Drittstaaten im wirklichen Leben nicht nach dem Mythos vom freien Spiel der Marktkräfte vergeben. Im realen Kapitalismus müssen Märkte auch heute noch erobert werden, vielleicht nicht mehr unbedingt per staatlicher Okkupation, gewiss aber mit politischem Einfluss. Also muss man Moskau, das sich der westlichen Dominanz nicht mehr fügen will, in die Schranken weisen, und dafür kennt Kramp-Karrenbauer nichts Geeigneteres als die Sanktionen – zur Zeit jedenfalls. Eine Ausnahme bilden lediglich Sanktionen, die die USA im Alleingang fordern oder gar schon eingeführt haben, die aber deutschen Interessen zuwiderlaufen, etwa die von der Trump-Regierung geplanten Sanktionen gegen die Erdgasleitung Nord Stream 2. Im Kampf gegen sie hat die deutsche Wirtschaft ihre Regierung auf ihrer Seite.

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"Gegenwind", UZ vom 5. Juli 2019



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