Zehn Jahre Linkspartei

Gegenmachtstrategie oder Mitregieren

Von Ekkehard Lieberam

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Am 16. Juni 2017 jährt sich die Gründung der Partei „„Die Linke“ zum zehnten Mal. Dem Fusionsparteitag waren nach zweijährigen Verhandlungen von Funktionsträgern beider Parteien getrennte Parteitage der im Dezember 1989 aus der SED hervorgegangenen PDS (zunächst SED – PDS) und der am 7./8. April 2005 gegründeten Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit (WASG) vorausgegangen. Beide hatten bereits am 18. September 2005 unter den Namen Linkspartei.PDS und den Spitzenkandidaten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an den vorgezogenen Bundestagswahlen teilgenommen und 8,7 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Die politische Bedeutung der WASG wie auch die Chance einer großen Partei links von der SPD auch in Westdeutschland war nach den Landtagswahlen am 22. Mai 2005 in Nordrhein-Westfalen deutlich geworden: Die PDS hatte 0,9 Prozent der Stimmen und die WASG 2,3 Prozent erhalten.

Geburtshelfer: Protestbewegung gegen die Agenda 2010

In den Jahren 2002 ff. gab es auf neue Weise und aus unterschiedlichen Gründen ein gesellschaftliches Bedürfnis nach einer kämpferischen Linkspartei. Es war die Zeit, da die neoliberale Kapitaloffensive gegen die abhängig Arbeitenden heftige Formen annahm. Unter Bundeskanzler Gerhard Schröder kam es nach dessen Wiederwahl am 22. Oktober 2002 mit der Agenda 2010 zum massivsten Angriff auf den in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik geschaffenen sozialstaatlichen Klassenkompromiss.

Nach der Regierungserklärung vom 14. März 2003 brachte die Bundesregierung zügig eine Reihe von Konterreformen in den Bundestag ein. Der Kündigungsschutz wurde gelockert, die Sozialausgaben der abhängig Arbeitenden erhöht, die Zumutbarkeitsregungen bei der Ablehnung von Arbeitsangeboten verschärft. Es kam zur Beschränkung des Arbeitslosengeldes auf grundsätzlich 12 Monate, zur Bindung des Arbeitslosengeldes II an die Bedürftigkeit und dessen Absenkung auf Sozialhilfeniveau.

Dagegen protestierten viele Menschen, in den Gewerkschaften und in der SPD selbst. Das öffentliche Bewusstsein veränderte sich. Bei Millionen kam es zu einer spontanen Politisierung und Erbitterung von links. Die Konstituierung einer neuen „linken“ Partei, der Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit (WASG), am 2. Januar 2004 geschah im Ergebnis dieser Politisierung.

Im Sommer 2004 entwickelte sich die größte gesellschaftliche Protestbewegung im vereinigten Deutschland. Bis zu 400 000 Teilnehmer in 140 Städten nahmen über viele Wochen hinweg an den Montagsdemonstrationen teil. Nicht PDS-Oppositionelle, sondern die gesellschaftlichen Bewegung gegen Hartz IV erzwang eine Revitalisierung der „Linken“ als Partei „Die Linke“. Die Gründung der „Linken“ war nicht schlechthin eine Sache von Absprachen zwischen den Führungen von PDS und WASG, sondern das Ergebnis eines großen, wenn auch letztlich erfolglosen Klassenkampfes von unten gegen die Agenda 2010.

Gesamtdeutsche Partei mit linkem Profil

Mit der Konstituierung der „Linken“ war nicht nur eine größere Partei, sondern eine Partei mit einem recht klaren „linken“ Profil entstanden.

Erstens: „Die Linke“ wurde mit der Vereinigung von PDS und WASG zu einer gesamtdeutschen Partei, wobei diese Entwicklung bereits vorher im Ergebnis der Bundestagswahl 2005 erkennbar war. Sie erhielt in Westdeutschland (auch in Westberlin) bei Bundestagswahlen und bei zahlreichen Landtagswahlen mehr als fünf Prozent der Stimmen. Sie vereinigte in ihren Reihen in Westdeutschland deutlich mehr linke Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Bewegungsaktivisten als die PDS. Sie wurde dort zu einem beachtenswerten, zum Teil auch zu einem einflussreichen politischen Faktor.

Zweitens: „Die Linke“ vollzog gegenüber der PDS politisch und programmatisch einen Kurswechsel nach links. Sie korrigierte die von der in der PDS dominierenden Mehrheitsfraktion der „Reform“Linken“„ auf dem Chemnitzer Parteitag im Oktober 2003 im Chemnitzer Grundsatzprogramm vorgenommene Entsorgung des Marxismus. Mit dem Erfurter Programm von Dezember 2011 legte sie eine taugliche Lageanalyse des gegenwärtigen Kapitalismus vor und bekannte sich zu einer Reihe von marxistischen Grundsätzen. Sie bezeichnete sich als Partei, die „für einen Systemwechsel“ kämpft. Sie grenzte sich von den anderen Bundestagsparteien ab, „die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen“. (Präambel)

Drittens: Der ehemalige Mehrheitsflügel der „Reform“-Linken“ in der PDS, der seit Mitte der neunziger Jahre die PDS kontrollierte und auf seine Fahne die „Überwindung der Kapitaldominanz“ (statt die Überwindung der Dominanz des kapitalistischen Eigentums) schrieb, verlor an Einfluss. Im Unterschied zur PDS setzte sich in der „Linken“ auf Bundesebene bis hin zum Geschäftsführenden Bundesvorstand ein institutionell abgesichertes Arrangement der drei Lager in der Partei („Reformlinke“ um das „forum demokratischer sozialismus“, eine parteiintern als Zwischengruppe „Mittelerde“ apostrophierte Zwischengruppe um die „Emanzipatorische Linke“, eine klassenkämpferisch orientierte Linke um die „Antikapitalistische Linke“, die „Kommunistische Plattform“ und weitere linke Zusammenschlüsse) durch.

Viertens: „Die Linke“ verstand es, mit ihrer Programmatik, mit ihrem Personalangebot (bis 2009 gab es in der Bundestagsfraktion eine Doppelspitze Gregor Gysi/Oskar Lafontaine und bis 2010 in der Partei die Doppelspitze Lothar Bisky/Oskar Lafontaine) sowie mit ihren an den Interessen der abhängig Arbeitenden ausgerichteten sozialen und politischen Forderungen sich als glaubhafte linke Wahlalternative gegen das neoliberale Parteienkartell zu etablieren. Sie fand Anerkennung als Friedenspartei, als Protestpartei, als Partei der Prekarisierten, als antikapitalistische und systemverändernde Partei sowie als Antiprivatisierungspartei. Sie verlor überall dort an politischer Glaubwürdigkeit und politischer Stärke, wo sie ihre Grundsätze zu Disposition stellte und sich als Regierungspartei an der neoliberalen Politik beteiligte.

Aufstieg im Westen, Rückgang im Osten

Nicht nur die Mitgliederentwicklung, auch die Wahlerfolge der „Linken“ erreichten 2009 ihren Höhepunkt. Bei der Bundestagswahl 2009 votierten 6,3 Millionen für „Die Linke“. 2,2 Millionen mehr als 2005 und 4,4 Millionen mehr als 2002. Bei der Bundestagswahl 2013 fiel sie dann auf 3,8 Millionen Zweitstimmen und 8,6 Prozent zurück. Ihr Stimmenanteil bei den Arbeitern und Angestellten verringerte sich auf 12 bzw. 7 Prozent.

Die große Erfolgsstory der „Linken“ währte so nur wenige Jahre. Es war vor allem eine westdeutsche Erfolgsgeschichte. Im Osten ging der Stimmenanteil der „Linken“ bei Landtagswahlen (außer in Thüringen 2009 und 2014 und in Berlin 2016) bei Landtagswahlen kontinuierlich zurück. Im Westen zog sie dauerhaft in Bremen, Hamburg und im Saarland, aber auch in die Landtage der Flächenstaaten Niedersachsen (2008), Schleswig-Holstein (2009), Hessen (2009) und NRW (2010) ein. Nur in Hessen gelang ihr 2012 ein erneuter Einzug in den Landtag. In Schleswig-Holstein und NRW verlor „Die Linke“ 2012 ihre Landtagsmandate, in Niedersachsen 2013. 2017 verfehlte „Die Linke“ bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW trotz beachtlicher Stimmengewinne erneut die 5-Prozent-Sperre, erhöhte aber merklich ihre Stimmen gegenüber 2012.

Mitregieren: Krise der Glaubwürdigkeit

In der „Linken“ wird regelrecht verdrängt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Regierungsfixiertheit und der Krise der „Linken“ gibt, zwischen dem Kurs des Mitregierens in den ostdeutschen Bundesländern, dem Verlust an linkem politischen Profil und den anhaltenden Stimmenverlusten bei Landtagswahlen.

Im Jahre 2009 trat „Die Linke“ in die Brandenburgische Landesregierung ein. In den Jahren 2014 bis 2016 orientierte sie dann im Vorfeld aller ostdeutschen Landtagswahlen überall auf „die Übernahme von Regierungsverantwortung“ zusammen mit SPD und Bündnisgrünen zwecks Erreichung eines „politischen Richtungswechsels“ gegen die neoliberale Politik. Regierungen unter Einschluss der „Linken“ kamen in Thüringen und Berlin zustande. Den in den Wahlkämpfen versprochenen Richtungswechsel gegen die neoliberale Politik gab es nirgends. Die Glaubwürdigkeit der Regierungspolitik der „Linken“ wurde sowohl zu einem Problem vieler Wähler der „Linken“ als auch der Partei selbst.

In der „Linken“ ist es im Zusammenhang mit den praktischen Erfahrungen als Regierungspartei und ihren damit zusammenhängenden Wahlniederlagen zu keiner ernsthaften kritischen Debatte gekommen. Auf keinem Bundesparteitag und keinem Landesparteitag legten Vorstände eine Bilanz der Erfahrungen, der Erfolge und Misserfolge mit dem Regieren vor. Die skizzierten Wählerverluste wurden ohne große Diskussionen hingenommen. Auch der Bundesvorstand legte keine Bilanz der Regierungstätigkeiten vor. Allein der linke Zusammenschluss „Antikapitalistische Linke“ in der „Linken“ publizierte 2016 einen kritischen Sammelband zu diesem Thema, in dem es auch Beiträge von Sahra Wagenknecht und Bernd Riexinger gibt.

Thüringer „Linke“-Regierung setzt neoliberale Politik fort

Die Landesvorsitzende der „Linken“ in Thüringen versprach, dass die seit dem 5. Dezember 2014 amtierende Thüringer Landesregierung unter Bodo Ramelow ein „Meilenstein linker Politik“ wird.

Die Thüringer Landesregierung unter Bodo Ramelow hat zeitweilig einen Abschiebestopp für Asylsuchende verfügt und öffentlich Trauer bei Bootsunglücken im Mittelmeer bekundet. Zu ihren positiven Leistungen gehört, dass sie öffentlich geförderte Arbeitsplätze in der Größenordnung von 500 bis 1 000 für Langzeitarbeitslose geschaffen hat. Das im Wahlprogramm der „Linken“ angekündigte kostenlose Kita-Jahr soll im Jahre 2018 kommen.

Ansonsten aber unterscheidet sich die Art des Regierens wenig von der üblichen Regierungspraxis. Trotz Bedenken hat Ministerpräsident Bodo Ramelow der Schuldenbremse als Eckpfeiler der neoliberalen Haushaltspolitik einer eng begrenzten Kreditaufnahme zugestimmt. Gegen massiven Widerstand ist die Landesregierung dabei, eine Funktional- und Gebietsreform durchzusetzen, die Bürgernähe verringert. Bereits in der Koalitionsvereinbarung bekannte sich „Die Linke“ zu „Sozialpartnerschaft und verantwortlichem Unternehmertum.“ Hinsichtlich der institutionellen Abrechnung mit der DDR im Geiste des Kalten Krieges hat die Regierung Bodo Ramelow alle anderen ostdeutschen Landesregierungen übertroffen.

Sozialschicht mit Integrations­potential weitete sich aus

Die widersprüchliche Entwicklung der „Linken“ ist nur zu verstehen, wenn man sie auf dem Hintergrund der Funktionsweise des in Deutschland bestehenden parlamentarischen Regierungssystems betrachtet, das im besonderen Maße erfolgreiche Parteien durch finanzielle Zuwendungen belohnt. Die Parlamentsparteien sind in diesem System zum einen politische Organisationen der Gesellschaft mit einem bescheidenen Organisationsgrad von 2 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Sie konkurrieren in Wahlen um den „Wählermarkt“, erwerben entsprechend ihrem Anteil daran Mandate im Bundestag, in den Landtagen und den kommunalen Vertretungen. Sie haben dadurch zum anderen Zugang zum Staat. Sie können (müssen aber nicht) im Falle einer parlamentarischen Vertretung sich an der Bundesregierung und den Landesregierungen beteiligen, so die Rechtssetzung und Staatspolitik mitbestimmen und zugleich den Staat als „Beute“ für sich und ihre Mitglieder nutzen. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang vom Parteienstaat gesprochen.

Das parlamentarische Parteien- und Regierungssystem der Bundesrepublik versorgt die Parteien reichlich mit staatlichen Geldern und Ämtern und zwingt die Parteien, „Wahlkampfmaschinen“ in einem permanenten Wahlkampf zu werden. Vor allem dies bedingt neben politisch-psychologischen Faktoren (wie ein häufig sich entwickelndes elitäres Selbstwertgefühl von Abgeordneten und das Unbehagen über Liebesentzug im Fall konsequenter Opposition) seine enorme Integrationskraft, systemoppositionelle Parteien und Abgeordnete zu „mäßigen“ und schließlich einzubinden. Die staatliche Parteienfinanzierung, die Finanzierung der Parlamentsarbeit der Parteien und die staatlichen Gelder für ihre sechs Stiftungen summieren sich auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro.

Die Integrationskraft des parlamentarischen Regierungssystems wirkt in der Tendenz und nicht absolut. Besonders in der Bundestagsfraktion und im Bundesvorstand der „Linken“ gibt es (mehr als um die Jahrtausendwende in der PDS) zahlreiche Abgeordneten bzw. Mitglieder mit klaren antimilitaristischen und antikapitalistischen Positionen, die sich nicht einbinden lassen, sondern diese Positionen unbeirrt vertreten und danach handeln.

Machtpolitische Gegebenheiten werden ignoriert

Es gibt in der „Linken“ zum einen eine Praxis des Mitregierens in den Bundesländern, die die Partei in den bürgerlichen Politikbetrieb einordnet. Sie wird dabei unweigerlich zur Vollstreckerin neoliberaler Politik. Die Interessen der beteiligten Politiker verbinden sich mit den Interessen der ökonomisch Herrschenden. Zum anderen gibt es nach wie vor einen von der „Linken“ getragenen Widerstand gegen die neoliberale Politik, gegen NATO und Auslandseinsätze der Bundeswehr. Diese Sowohl-als-auch-Politik, flankiert von einem Verständnis des „sozialistischen Pluralismus“ als politische Beliebigkeit, unterminiert Glaubwürdigkeit und den Anspruch der Partei, eine sozialistische Prinzipienpartei zu sein. Grundsatzfragen linker Politik und Strategie wie die Regierungsfrage und in ihrem Zusammenhang die Machtfrage bleiben unklar und ungeklärt.

Weder die Diskussion über rote Haltelinien, die bei Regierungsbeteiligungen einzuhalten sind, noch der an sich richtige Hinweis, dass im Falle einer Regierungsbeteiligung die „Chance“ bestehen muss, „linke Politik zu machen“, haben der „Linken“ geholfen, hinsichtlich der Regierungsfrage eine überzeugende Position zu entwickeln. Die „Chance“ linker Politik in der Regierung ist eine strukturelle Frage und keine Willensfrage. Sie ist derzeit nicht gegeben, was eine konkrete Lageanalyse der gegebenen Klassenmachtverhältnisse in Deutschland verlangt.

Wenn Politiker der „Linken“ zehn Jahre nach der Konstituierung der Partei sich auf ein Mitregieren im Bund einlassen sollten, dann „erobern“ sie unter der gegebenen Kräfteverhältnissen nicht „ein Stück Macht“, sondern sie vollziehen den Brückenschlag zu den Regierenden und zur neoliberalen Politik, werden zum Bestandteil und zur Reserve des Herrschaftssystems. Mitregieren wird zur Integrationsfalle, konterkariert den Kampf um Gegenmacht.

Die neoliberale Politik kann nicht einfach abgewählt werden, sondern muss in länger andauernden geschichtlichen Kämpfen um „Reform und Revolution“ gestoppt und bezwungen werden. Dabei spielen Wahlkämpfe eine wichtige, aber in der Regel eine begrenzte Rolle.

Stark gekürzt. Der vollständige Text des Artikels erscheint im Bulletin des „Geraer Sozialistischer Dialog“, Nr. 52

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"Gegenmachtstrategie oder Mitregieren", UZ vom 16. Juni 2017



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