Berliner Mietergemeinschaft fordert kommunalen Wohnungsbau

Gegen Mietenwahnsinn

Der Rubel rollt für die Immobilien-AGen. Zwar jammerten die Chefstrategen der „Deutsche Wohnen“ (DW) vor dem „Lockdown“ noch über den Berliner Mietendeckel: Vermieten lohne sich nun nicht mehr. Die DW hatte Ende 2019 gar 2.142 Wohneinheiten für 358 Millionen Euro Steuergeld an eine senatseigene Wohnungsbaugesellschaft (WBG) verkauft. Doch das Wohnungs-Business blieb von der Krise unbeeinträchtigt. Anfang Juni stieg der DW-Konzern sogar in den DAX auf und kaufte nebenbei 400 weitere Altbauwohnungen in Berlin, möglicherweise mit den Senatsmillionen.

Das Berliner Bündnis „Mietenwahnsinn“ ruft für den 20. Juni zum „bundesweiten Mietenaktionstag“ unter dem Motto „Shut down Mietenwahnsinn – Sicheres Zuhause für alle!“ auf. Unter Einhaltung der nötigen Sicherheitsabstände soll in der Hauptstadt die erste große Mieten-Demonstration seit Corona laufen. Die Pandemie hat zum einen besonders veranschaulicht, was Wohnungslosigkeit bedeutet: „Stay at home“-Aufrufe können Obdachlose beim besten Willen nicht befolgen. Zum anderen hat die enorm gestiegene oder drohende Arbeitslosigkeit auch bei vielen „Gutverdienern“ eine zuvor ungekannte Furcht vor dem Wohnungsverlust entfacht. Die „Krisenlösung“ auf Kosten der gesamten werktätigen Bevölkerung steht ohnehin noch bevor. Regierungsmaßnahmen wie zum Beispiel das „Mietenmoratorium“ bis September bieten maximal ein Placebo, weil anfallende Mietschulden nach der Frist zurückgezahlt werden müssen. „Woher nehmen und nicht stehlen?“, fragen sich viele Betroffene. Der Bündnisaufruf erwähnt auch die Sorgen der „Läden, Kneipen, Kulturorte und sozialen Zentren, die schon jetzt um ihre Existenz fürchten“. Man fordert einen Mietschuldenerlass bei Wohnraum und Kleingewerbe, Senkung der Mieten und Umverteilung der Gewinne aus ihnen, die Abschöpfung von Krisengewinnen, die Vergesellschaftung der Wohnungskonzerne, Wohnungen für alle sowie die Einstellung aller Zwangsräumungen, Versorgungssperren und Kündigungen.

„Bauen, bauen, bauen – sozial und kommunal!“ – mit dieser Forderung wird die Berliner Mietergemeinschaft (BMG e. V.) dabei sein. Beim Mietwohnungsneubau insbesondere im niedrigen Preissegment hinkt Berlin den Senatsplänen hoffnungslos hinterher. Eine Studie von Anfang März (Sebastian Gerhardt: „Was geht? Die wirtschaftliche Entwicklung der Berliner Landeswohnungsunternehmen und die Neubau­frage“) belegt, dass die senatseigenen Berliner Wohnungsbaugesellschaften weder die Planvorgaben einhalten werden noch den tatsächlichen Bedarf decken können. So sieht der „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ des rot-rot-grünen Senats für 2017 bis 2021 30.000 neue Wohnungen vor; fertiggestellt sind knapp 12.000, 2020 sollen 4.000 weitere hinzukommen. Das 30.000-Ziel ist unerreichbar. Die Studie geht davon aus, dass dies nach aktuellen Vorgaben circa 5,4 Milliarden Euro kosten würde und belegt, dass die Öffentlichen dies nicht stemmen können. Der Verfasser schlägt daher ein öffentliches Wohnungsbauprogramm vor sowie einen „strategischen Flächenankauf“ durch den Senat. Beides weist weit über die gewerkschaftliche „Bauhütten“-Idee hinaus, würde allerdings den (Wieder-)Aufbau entsprechender „Planungs- und Bausteuerungskapazitäten“ voraussetzen – Personal- und Infrastruktur, die spätestens seit den 1990er Jahren mit der marktradikalen Zurichtung von Stadtplanung und -verwaltung kaputtgekürzt wurden.

Interessanterweise benennt der übermäßiger DDR-Sympathien absolut unverdächtige Gerhardt die Beschränktheit der hiesigen Bauwirtschaft, die keine hinreichenden Kapazitäten im „kostengünstigen seriellen Wohnungsbau“ besitzt. Das langfristige öffentliche Wohnungsbauprogramm könnte diesen wieder realistisch werden lassen: Hier winkt das Beispiel DDR-Wohnungsbau, der insgesamt 3 Millionen Neubauwohnungen erstellte und so das Recht auf Wohnen garantierte. Angesichts der Wohnungskrise ein schlagendes Argument für die sozialistische Planwirtschaft. Und besser, als das Geld DW und Co. in den Rachen zu werfen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Gegen Mietenwahnsinn", UZ vom 19. Juni 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit