Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst haben in der Pandemie gezeigt, wie unverzichtbar und wertvoll ihre Arbeit für die Gesellschaft ist. In der anstehenden Tarifrunde braucht es endlich eine finanzielle Aufwertung dieser Berufe, eine Verbesserung der belastenden Arbeitsbedingungen sowie Maßnahmen gegen den großen Fachkräftemangel – diese drei Hauptthemen bestimmen die Tarifauseinandersetzung.
Der Frauenanteil liegt im Sozial- und Erziehungsdienst bei über 80 Prozent. Bereits seit Jahrzehnten werden Kämpfe um Anerkennung und Aufwertung geführt, zuletzt 2015. Nicht nur die Vergütung ist in diesen sogenannten „klassischen Frauenberufen“ deutlich schlechter als in anderen Branchen, auch die gesellschaftliche Anerkennung der Tätigkeiten entspricht überhaupt nicht der Verantwortung, die auf den Schultern der Beschäftigten lastet – sei es in der Sozialarbeit, in der Erziehung wie auch in der Behindertenhilfe.
Die Tarifauseinandersetzung, die im März 2020 begonnen, coronabedingt aber unterbrochen wurde, geht nun weiter. Die Bundestarifkommission hat die Tätigkeitsmerkmale und die Regelungen zum Gesundheitsschutz zum 31. Dezember 2021 gekündigt. Die Forderungen wurden nach einer Befragung, an der sich rund 4.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligt haben, Mitte Dezember beschlossen. Forderungen aus dem Jahr 2020 sind aktualisiert worden und viele der unter den Bedingungen der Pandemie gemachten Erfahrungen sind dabei mit eingeflossen. Eigentlich hätte Mitte Januar die erste Verhandlung stattfinden sollen. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände hat diese aber auf den 25. Februar verschoben.
Situation im Sozial- und Erziehungsdienst
Allein in den Kitas fehlen 173.000 Fachkräfte. Dieser Personalmangel hat dramatische Folgen für die Beschäftigten wie auch für die Kinder. So geben im aktuellen Kita-Personalcheck von ver.di fast 44 Prozent der Befragten an, dass sie zeitweise für mehr als 17 Kinder gleichzeitig verantwortlich sind. 43 Prozent der Befragten sagen, dass sie aus Zeitgründen häufig nicht auf die Wünsche oder Probleme der von ihnen betreuten Kinder eingehen können. Um ihre Arbeit überhaupt bewältigen zu können, erledigen über 64 Prozent der befragten Fachkräfte häufig auch außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit Aufgaben für ihre Einrichtung wie zum Beispiel Elterngespräche und Vorbereitungen. Sie leisten also unbezahlte Arbeit.
Auch in der Sozialarbeit herrscht großer Personalmangel, Überlastung und Unterbezahlung. Die Kolleginnen und Kollegen haben zu wenig Zeit, werden krank oder erleiden einen Burnout. Die Fluktuation ist hoch. Dies alles ist für die Menschen, die auf die Betreuung angewiesen sind, schädlich und gefährlich. Aus planvoller persönlicher Begleitung wird akute Notfallhilfe oder – schlimmer noch – Elendsverwaltung vom Schreibtisch aus. Die Kolleginnen und Kollegen mit Fallverantwortung bekommen zu viele Fälle übertragen. ver.di fordert deshalb für den Allgemeinen Sozialen Dienst und vergleichbare Dienste eine gesetzliche Fallzahlbegrenzung auf 28 Fälle.
Bundesweit sind rund 500.000 Beschäftigte in der Behindertenhilfe tätig. Sie unterstützen Menschen mit Beeinträchtigungen im Wohnbereich, bei der Arbeit, in Schulen und Kindertagesstätten, in der Familie und in der Freizeit. Sie arbeiten pädagogisch und leisten anspruchsvolle Beziehungsarbeit. Sie sorgen dafür, dass Menschen mit Beeinträchtigung selbstbestimmt leben können, dass Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe Wirklichkeit werden. Doch auch hier ist die Überlastung groß: 50 Prozent der Beschäftigten in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung befürchten, einen Burn-out zu erleiden. Knapp 40 Prozent der Befragten in einer Wohneinrichtung sagen, dass sich die aktuelle Betreuungsqualität negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner auswirkt.
Beschlossene Forderungen
Insgesamt wurden elf Forderungen beschlossen. Es geht unter anderem um die bessere Eingruppierung in vielen Berufsgruppen, insbesondere aber in der Kinderpflege, Schulbegleitung und Sozialassistenz, die einen hohen Anteil unter den Beschäftigten ausmachen, auch deshalb, weil ausgebildete Fachkräfte wie Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen fehlen. Es soll ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung für alle Beschäftigten erreicht werden, so dass Beschäftigte ohne Ausbildung oder mit ein- oder zweijähriger Ausbildung einen Berufsabschluss zur Fachkraft erwerben können (zum Beispiel von der Kinderpflegerin zur Erzieherin). Dies soll helfen, den Fachkräftemangel zu verringern. Eine wichtige Forderung ist auch die Anerkennung der Berufstätigkeit und der bei anderen Trägern erworbenen Berufserfahrung, um bei einem Wechsel der Arbeitsstelle keine Lohneinbußen zu haben. Der hohen Belastung soll durch Einführung von Entlastungstagen mit Konsequenzen-Management begegnet werden. Zur Verbesserung der Qualität der Arbeit soll die Vorbereitungszeit ausgedehnt werden.
All dies sind wichtige Forderungen, um diese sogenannten „Frauenberufe“ aufzuwerten. Seit einigen Jahren entwickelt sich eine feministische Streikbewegung, die die anstehenden Arbeitskämpfe tatkräftig unterstützen wird. Für die erste Verhandlungsrunde am 25. Februar soll es gemeinsame Aktionen der Frauenstreikbewegung und der Beschäftigten aus dem Sozial- und Erziehungsdienst geben. Ebenso soll der 8. März, der Internationale Frauentag, für gemeinsame Aktionen, Streiks und Demos genutzt werden.
Die Jahre der Zurückhaltung sind vorbei.