Auf ihrem 23. Parteitag hat die DKP neben dem Leitantrag zu den konkreten Kampffeldern im Rahmen der antimonopolistischen Strategie weitere Beschlüsse gefasst. Dazu gehören der Antrag zur Internationalen Arbeit der DKP (siehe UZ vom 6. März) und Forderungen für Ostdeutschland, die wir auf dieser Seite dokumentieren. Beschlossen wurden auch Positionen zur Gesundheits- („Die Situation in den Krankenhäusern ist katastrophal – wir müssen aktiv werden für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung!“) und Umweltpolitik („Die ökologische Krise und die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Umweltpolitik“). Außerdem beschlossen die Delegierten einen Fahrplan zum Herangehen an die Überarbeitung des Parteiprogramms von 2006, die Durchführung von Blockadeaktionen in Büchel vom 9. bis 12. Juli und des 21. UZ-Pressefest vom 28. bis 30. August sowie die Kandidatur zur Bundestagswahl, die wahrscheinlich im Herbst 2021 stattfinden wird. Der Parteivorstand wurde beauftragt, jetzt die Diskussion in der Partei über die Form der Kandidatur und die inhaltlichen und räumlichen Schwerpunkte zu organisieren. In Kürze werden alle Beschlüsse des Parteitags auf dkp.de veröffentlicht.
Ostdeutschland – diese Bezeichnung findet sich in keiner Karte und ist kein offizieller Begriff. Dennoch wird sie umgangssprachlich, auch in der Sprache der Politik und in den Medien für die Bundesländer auf dem Gebiet der DDR genutzt, die seit dem 3. Oktober 1990 mit der Annexion der DDR an die BRD das heutige kapitalistische Deutschland ausmachen. Nach dem Versprechen der „blühenden Landschaften“ war das erste Jahrzehnt der neuen Bundesländer geprägt von einem Rollback und der Delegitimierung von allem, was möglicherweise mit der DDR zu tun gehabt haben könnte. Egal, ob es einfach nur das Recycling-System der Wiederverwertung von Sekundärrohstoffen war, das weltweit vorbildliche Schulsystem, die flächendeckende Versorgung in der Kinderbetreuung oder das für die Bevölkerung kostenlos nutzbare Gesundheitssystem mit Polikliniken und Forschungseinrichtungen. Die Konterrevolution vernichtete alle sozialistischen Errungenschaften.
Auf Biegen und Brechen wurde allem das kapitalistische Wirtschaftssystem übergestülpt. Gesellschaftliche Eliten aus staatlichen Einrichtungen, Wissenschaft und Forschung wurden ausgetauscht und verfolgt. Westdeutsche Monopole konnten via Treuhandgesellschaft mögliche Konkurrenz aufkaufen und ausschalten. Es folgte eine Deindustrialisierung einer ganzen Region – einmalig in der Geschichte Deutschlands. Gezahlt haben es die Werktätigen selbst in Ost- und West durch entsprechende Steuern. Millionen Werktätige verloren ihre Existenz. Hauptverliererinnen waren die Frauen der DDR. Sie wurden als erste aus dem Arbeitsprozess gedrängt und verloren ihre Eigenständigkeit. Auf einen Schlag gehörten Familie und Beruf nicht mehr zusammen, waren Lohn- und Chancengleichheit abgeschafft.
Die nächsten zwei Jahrzehnte zementierten diese Zustände fast umfassend. Gleichzeitig wurde mit der so genannten „Agenda 2010“ mit Hilfe der „Hartz-Reformen“ der gesamte Arbeitsmarkt in Deutschland dereguliert, wurden Werktätige in Armut geschoben und prekäre Arbeitsverhältnisse insgesamt etabliert. Der verlorene Streik der IG Metall zur Einführung der 35-Stunden-Woche führte zu einer Schwächung der Gewerkschaften. Von der Abwicklung der DDR in Verbindung mit diesem größten Sozialraub seit Kriegsende hat sich der Osten Deutschlands bis heute nicht erholt. Der „Aufbau Ost“ war ein großes Geschäft und ist gleichzeitig eine große Lüge.
Die Unsicherheit der Lebensverhältnisse hat zugenommen. Die Regierung hält an ihrer Politik der Stärkung der Starken und Schwächung der Schwachen fest, wie es dem neoliberalen Denken entspricht. Hinzu kam eine Kampagne der Herrschenden zur Delegitimierung aller gesellschaftspolitischen Strukturen oder Errungenschaften der Deutschen Demokratischen Republik. Nichts durfte in einem positiven Licht erscheinen.
Die Wahlen der letzten Jahre machten deutlich, dass der Unterschied zwischen Ost und West, weil er dem Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital entspringt, wohl tiefergehend und langwieriger ist, sich sogar noch verfestigt hat. Umfragen machen deutlich, dass die Entwicklung der letzten Jahrzehnte die Bindung sehr vieler Menschen in Ostdeutschland zu ihrer Vergangenheit nicht gebrochen hat und die Entwicklungen als Unrecht wahrgenommen werden. Die etablierten Parteien, einschließlich der Partei Die Linke, die einst als Protestpartei galt, haben an Glaubwürdigkeit verloren.
30 Jahre nach der Annexion der Deutschen Demokratischen Republik durch die BRD ist nüchtern zu bilanzieren:
- Die Bevölkerung in den ostdeutschen Ländern muss heute erleben, wie US-Truppentransporte in Richtung russische Grenze verlegt werden. Was vor 30 Jahren undenkbar war, ist plötzlich eine ernsthafte Gefahr: ein Krieg gegen Russland.
- Infolge der entschädigungslosen (!) Enteignung des Volkseigentums der DDR-Bevölkerung und der damit einhergehenden Zerschlagung der Industrie und der Landwirtschaft durch die Treuhand ist Ostdeutschland in weiten Teilen zu einer staatlich organisierten Armutszone geworden. Bis heute bestehen deutliche Unterschiede bei den Löhnen der Werktätigen und bei den Renten der Menschen zwischen Ost und West.
- Junge Werktätige müssen ihre Heimat verlassen, um eine Chance zu haben, einem unwürdigen Berufsleben im Niedriglohnsektor oder als ALG-II-Aufstocker zu entgehen. Nicht selten wählen sie den Weg in die Bundeswehr, die ihr Leben aufs Spiel setzt für die BRD-Superreichen, die für die Perspektivlosigkeit verantwortlich sind.
- Der Osten Deutschlands wird vom westdeutschen Kapitalismus bis heute wie eine koloniale Bürokratie und mit Kolonialkommissaren beherrscht. Nicht einmal jede vierte Führungsposition in den östlichen Bundesländern wird von Ostdeutschen besetzt. Dies gilt für Verwaltung, Justiz, Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Zum Abräumen der DDR gehörte der Kahlschlag in der ostdeutschen Intelligenz, der anhält und tiefe Spuren hinterlassen hat.
- Die Geschichte der Menschen im Osten, die Geschichte des die Völkerfreundschaft fördernden sozialistischen Sozial- und Friedensstaates DDR, wird gezielt und von der Regierung stabsmäßig organisiert verdrängt und verächtlich gemacht – sei es durch den Abriss symbolträchtiger DDR-Architektur, wie dem Palast der Republik, westdeutsche Märchenstunden über die DDR in Gedenkstätten oder die Verwahrlosung antifaschistischer Denkmäler – ja überhaupt der Absenkung der Hemmschwelle im gesellschaftlichen und individuellen Bewusstsein gegenüber Gewalt, Rassismus, Faschismus und Krieg.
Angesichts dieser Bilanz, die sich aus dem Profitprinzip des Kapitalismus selbst ergibt, bezieht die DKP nicht nur für Ostdeutschland folgende Positionen:
- Das Gebot der Stunde heißt: Frieden mit Russland! Weg mit den Sanktionen! Schluss mit der Russophobie! Wir wenden uns dagegen, dass Ostdeutschland als Transitstrecke für US-Truppen Richtung der russischen Grenze missbraucht wird. Wir fordern die sofortige Beendigung der Bundeswehr-Kriegseinsätze und einen sofortigen Rückzug der NATO-Truppenstationierungen an der russischen Grenze. Es hat zu gelten: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!
Wir wenden uns gegen die Aufrüstung der Bundeswehr – aktuell insbesondere gegen jene nach NATO-Kriterien – auf Kosten von notwendigen Investitionen unter anderem zur Bekämpfung des Pflegenotstandes in den Kliniken und des Lehrermangels und für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs. - Anhebung der Löhne und Renten in Ost und West jetzt! Schluss mit der entwürdigenden ungleichen Bezahlung der ostdeutschen Werktätigen gegenüber ihren Westkollegen, die zusätzlich als Druckmittel gegen die Beschäftigten im Westen wirkt. Schluss mit den ungleichen Renten und dem Rentenstrafrecht. Bedingungslose Anerkennung aller DDR-Bildungs- und Berufsabschlüsse!
- Wir fordern ein Recht auf Arbeit und die Durchsetzung dieses Rechtes vor Ort! Dazu brauchen wir den Wiederaufbau einer leistungsfähigen Industrie in staatlicher Hand unter radikal demokratischer Kontrolle, also nicht auf die Interessen des Großkapitals fixiert, die zu spürbarer Reduzierung der im Osten doppelt so hohen Massenarbeitslosigkeit führt und die Abwanderung junger Fachkräfte und ihrer Familien eindämmt. Keine weiteren Betriebsschließungen! Ursache der gewaltigen Strukturprobleme ist die kapitalistische Grundstruktur selbst.
- Wir fordern die Wiederherstellung der Gleichstellung der Frauen. Dazu gehören gleicher Verdienst und gleiche Entwicklungsmöglichkeiten, die flächendeckende Versorgung mit Kindertagesstätten und die Unterstützung von Familien durch zinslose staatliche Kredite. Die Paragraphen 218 und 219 müssen gestrichen werden. Der Internationale Frauentag am 8. März soll ein bundesweiter Feiertag werden.
- Die Besetzung von Verwaltung, Justiz, Politik und Wirtschaft in kolonialer Manier durch westdeutsche Beschäftigte ist zu beenden und durch die gezielte Förderung Ostdeutscher zu ersetzen. Die kolonialen Exzesse haben mit ihrem grenzenlosen Vernichtungswillen ein DDR-Erfahrungskollektiv aus Jung und Alt geschaffen, das die Aufhebung der fremdherrschaftskapitalistischen Produktionsweise als wesentlich betrachtet. Die Stimme dieser Erfahrung – mit der Menschlichkeit im Mittelpunkt – fehlt, um gegen die marktradikalen Konzepte zukunftsfähige Konzepte für Ost und West einzufordern.
- Gleiche Bildungschancen für alle! Erfolgreiche Schulbildung und ein Studium dürfen nicht vom Geldbeutel abhängen. Wir fordern eine Bildungsreform, die an dem weltweit anerkannten einheitlichen Schulsystem der DDR anknüpft. Ebenso müssen qualifizierte Berufsausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Betriebe, die nicht ausbilden, müssen eine Ausbildungsumlage zahlen. Nur so können junge Menschen auch eine Perspektive erhalten.
- Einführung einer Reichensteuer für große Vermögen, von Steuern auf Spekulationsgewinne und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Keine Einführung und Rücknahme eines gesetzlichen Sparzwangs durch die Verankerung einer sogenannten Schuldenbremse in die Länderverfassungen! Keine Politik der „schwarzen Null“ als Hintertür für die Verweigerung von Investitionen!
- Wiedereinführung der unentgeltlichen medizinischen Betreuung sowie der kostenlosen Abgabe von Medikamenten. Schluss mit der kommerziell bedingten Limitierung der medizinischen Betreuung. Errichtung eines Gesundheitswesens, das tatsächlich humanistischen Leitlinien statt Profitinteressen folgt. Rauf mit den Löhnen und dem Personalschlüssel für Pflegekräfte! Gegen jegliche Privatisierung und Schließung von Krankenhäusern. Keine „Zwei-Klassen-Medizin“!
- Schuldenschnitt für die Kommunen und Rücküberführung der kommunalen Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand unter radikal demokratischer Kontrolle – keine Privatisierungen jeglicher Form! Wiederherstellung kostenlos nutzbarer kommunaler Dienstleistungen einschließlich kostenfreien Nahverkehrs. Wohnungsmieten, die nicht zur Verelendung und Ausdünnung der Städte führen! Schluss mit dem Abriss und der Privatisierung der von der DDR errichteten Wohnungen und Gesellschaftsbauten sowie antifaschistischen Gedenkstätten!
- Ausbau des Nahverkehrs in der Fläche zur Erhöhung der Mobilität für breite Bevölkerungsteile in der Stadt und im ländlichen Raum, als Beitrag zum Schutz von Gesundheit und Umwelt durch Reduzierung des Autoverkehrs. Güterverkehr muss ab 50 Kilometer von der Straße auf die Schiene verlagert werden.
- Verbot aller Organisationen mit faschistischen, rassistischen und ausländerfeindlichen Zielen! Aburteilung und Enteignung ihrer häufig aus Westdeutschland stammenden Hintermänner und Geldgeber entsprechend Art.139 des Grundgesetzes. Konsequente Wiedereinführung antifaschistischer und humanistischer Lehrinhalte an allen Schulen, Hochschulen und Universitäten! Abschaffung des Verfassungsschutzes.
- Ungehinderte und unverfälschte Verbreitung von DDR-Literatur, -Kunst und -Geschichte! Rehabilitierung aller politischen, militärischen, wissenschaftlichen und kulturellen DDR-Funktionsträger! Schluss mit der Demütigung der DDR-Biografie tausender Werktätiger – Schluss mit der Hetze gegen den ersten Friedensstaat auf deutschem Boden! Aufhebung der Privilegien, die Kultur nur für Eliten möglich macht.
Wir Kommunistinnen und Kommunisten sind uns bewusst, dass es dafür eines langen solidarischen Widerstandes aller arbeitenden Menschen in Ost und West bedarf. Wir sind uns bewusst, dass diese Forderungen nur gegen den erbitterten Widerstand einer Minderheit von Superreichen in unserem Land durchgesetzt werden können, die über Politiker, Geheimdienste, Medien und Polizei verfügen.
Aber 30 Jahre Kapitalismus in Ostdeutschland haben gezeigt: So wie es ist, kann es nicht bleiben – unsere Solidarität gegen ihre Profite! Wir sagen es ganz unverblümt: Ohne einen neuen sozialistischen Anlauf, ohne die Lösung der Eigentumsfrage und die Lösung der Systemfrage wird es keine Perspektive für die Lohnabhängigen und Ausgegrenzten im ganzen Land geben. Dafür gilt es zu kämpfen! Es gibt für die Arbeiterklasse in Deutschland keine Orientierung im Klassenkampf, keine Überwindung ihrer materiellen und ideologischen Schwierigkeiten, ohne die richtige Einschätzung der inneren Zerrissenheit des gesamten Landes – nicht nur in Ost und West – und ohne die richtige Bestimmung ihres Verhältnisses zu Russland und auch zur DDR.