Arne Brix vom Parteivorstand der Partei „Die Linke“ zu den Gelbwesten

Gegen eine Politik der Reichen

Von Arne Brix

Annie Ernaux macht keinen Hehl aus ihrer Begeisterung. Diesmal, so meinte die französische Schriftstellerin kürzlich, handle es sich endlich um eine Revolution des richtigen Volkes und nicht nur der Intellektuellen. Am liebsten würde sie die Generalstände einberufen, wie im Mai 1789.

Die Kommentare in Frankreich zu der Bewegung der Gelbwesten könnten unterschiedlicher nicht sein. Die einen warnen vor vermeintlich faschistischen Tendenzen, betonen, dass sich auch die Rechtspopulisten des Rassemblement National (vormals Front National) an den Massenprotesten beteiligen würden. Die anderen, wie Ernaux, begrüßen mit Nachdruck den Aufstand der prekarisierten Mittelschicht und der Provinz gegen die urbanen Eliten. Nur so könne die neoliberale Politik der Macron-Regierung gestoppt werden.

Auch die deutsche Linke reagiert vielstimmig – euphorisch oder verständnisvoll, nachdenklich oder skeptisch angesichts der auch gewaltvollen Ausschreitungen oder der Versuche, die Bewegung von rechts zu vereinnahmen. Eindrucksvoll ist es in jedem Fall, wie schnell sich die Proteste gegen die Erhöhung der Benzinpreise im Nachbarland ausgeweitet und vergrößert haben, derweil zum Sammlungspunkt all jener geworden sind, die zu den Verlierern der sozialen Spaltung gehören. Die gelben Westen sind inzwischen nicht nur mehr ein politisches Warnsignal der Pendler, Landwirte und Niedriglöhner, sondern stehen vielerorts auch für die Kämpfe der Migrant/innen, Schüler/innen, Studierenden und Umweltbewegten. Sie sind die Antwort auf die wirtschaftsliberale Politik des französischen Präsidenten, auf seine Arbeitsmarktreform nach dem Vorbild der Agenda 2010, eine Antwort auf seine unsoziale Renten- und Austeritätspolitik. Eben deshalb sind die hier und dort aufkommenden Debatten, wie sich die gesellschaftliche Linke zu dem Aufstand der „Gilets jaunes“ zu verhalten habe, auch absurd. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, sich solidarisch mit jenen zu erklären, die gegen die herrschende Politik aufbegehren. Bedenklich sollte aber etwas anderes stimmen, und diese Tendenz ist nicht nur in Frankreich, sondern mit Abstufungen europaweit zu beobachten – das Aufbegehren gegen die herrschende Politik ist in seinem Selbstverständnis nicht mehr unbedingt links. Das Gros der Gelbwesten fühlt sich nicht nur von Macron und Co., sondern anscheinend auch von den klassischen linken Organisationen nicht mehr vertreten. Die Gewerkschaften und linken Parteien unterstützen die Proteste, aber sie waren weder ihr Ausgangspunkt noch sind sie derzeit Ansprechpartner. Die Gelbwesten sind daher durchaus, wie auch der Vorstand der Partei „Die Linke“ vor kurzem beschlossen hat, ein Zeichen der Ermutigung. Sie zeigen aber auch die Schwäche der linken Parteien und der Gewerkschaften an.

Wir leben in bewegten Zeiten, aber wenn wir ehrlich sind, die Bewegungen gehen derzeit nicht von der breiten gesellschaftlichen Linken aus. Die Rechte ist in Europa auf dem Vormarsch und der politische Mainstream setzt unbeirrt die Politik des Kapitals und der Reichen um. Für uns als Linke ist der Zusammenhang unverkennbar. Das Erstarken von Rechtspopulismus, Neofaschismus und neuem Autoritarismus ist im Wesentlichen durch die tiefen sozialen Verwerfungen begründet. Die moralische Verrohung folgt der sozialen. Eben deshalb ist die gesellschaftliche Linke in der Bringschuld. Wir wissen nicht, wie groß noch oder wie klein das Zeitfenster ist. Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Widersprüche aber brauchen wir eine umfassende linke Gegenstrategie, wollen wir den Rechten das Feld nicht überlassen. Frankreich ist sicherlich ein Beispiel dafür, dass das Potential für progressive, antikapitalistische Proteste da ist. Wenn dieses Potential sich nicht schnell verflüchtigen und nach kurzfristigen Erfolgen ins Stocken geraten soll, wenn es auch für die dringend notwendige radikale gesellschaftliche Transformation genutzt werden soll, muss die Linke aus ihrem Schatten treten und den Kampf um die Hegemonie in Europa aufnehmen. Nur mit einer breit angesetzten, populären Strategie können wir verhindern, dass die soziale Unzufriedenheit letztlich in rechte Bahnen kanalisiert wird.

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"Gegen eine Politik der Reichen", UZ vom 14. Dezember 2018



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