80 Jahre Novemberpogrome in Deutschland

„Gegen die Schmach der Judenpogrome“

Von Ulrich Schneider

Unser Autor ist Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR)

Ein zentrales Element der ideologischen Legitimierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland war neben der „Volksgemeinschaft“ ein Rassismus, der sich von Anfang an in seiner brutalen Form als Antisemitismus gegen alle zu Juden erklärten Menschen richtete.

Dieser Antisemitismus bezog sich nicht allein auf Gläubige der jüdischen Gemeinschaft, sondern umschloss alle, die mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ nach faschistischer „Definition“ zu Juden erklärt worden waren.

Es begann mit einer gesellschaftlichen Ausgrenzung, die sich mit dem Boykottaktionstag vom 1. April 1933 zuerst gegen jüdische Geschäftsleute, Rechtsanwälte, Ärzte und Angehörige anderer freier Berufe richtete. „Kauft nicht bei Juden!“ wurde an Schaufensterscheiben geschmiert, in Kassel wurde sogar an diesem Tag ein Stacheldrahtkäfig auf dem Opernplatz aufgebaut, in dem ein Esel stand, an dem ein Schild hing: „Konzentrationslager für Staatsbürger, die noch bei Juden kaufen“.

Die Ausgrenzung durch das „Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April und die Bücherverbrennung in den Universitätsstädten ab dem 10. Mai 1933 richtete sich gleichermaßen gegen alle politischen Gegner, marxistische und „undeutsche“ Literatur sowie jüdische Menschen, wie die Feuersprüche auf dem Berliner Bebelplatz zeigten. Die Durchsetzung der so genannten Arier-Paragraphen in allen gesellschaftlichen Bereichen diente dazu, jüdische Menschen aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu verdrängen.

Die Arisierung jüdischer Geschäfte, wodurch jüdische Eigentümer faktisch zugunsten faschistischer Parteigänger enteignet wurden, verstärkte den gesellschaftlichen Druck. Selbst der zumeist bescheidene Veräußerungsertrag, der in den ersten Jahren der NS-Herrschaft noch bezahlt werden musste, wurde vom faschistischen Staat durch die „Reichsfluchtsteuer“ konfisziert, wenn die vormaligen Eigentümer ins Ausland gingen. Verbunden waren alle diese Maßnahmen mit einer kontinuierlichen faschistischen Propaganda, die von der Parole getragen war: „Die Juden sind unser Unglück!“ Insbesondere im ländlichen Raum fanden sich seit Mitte der 30er Jahre in zahlreichen Dörfern Schilder mit der Aufschrift „Juden sind in diesem Ort unerwünscht“ und ähnlichen Losungen.

Brennende Synagoge in Wiesbaden, 1938

Brennende Synagoge in Wiesbaden, 1938

( Center for Jewish History, NYC )

Die antifaschistischen Kräfte in Deutschland reagierten auf diesen zunehmenden Antisemitismus. Die Deutschlandberichte der SoPaDe, die durch Vertrauensleute im Deutschen Reich Informationen zur politischen Wirklichkeit sammelte, berichtete in mehreren zusammenfassenden Berichten über die Verschärfung der rassistischen Ausgrenzung und deren Wirkung im ländlichen Raum, beim Kleinbürgertum und selbst in Teilen der Arbeiterschaft.

Die KPD hatte schon in der Weimarer Republik den faschistischen Antisemitismus als ideologisches Manöver bezeichnet, mit dem das untergehende Kleinbürgertum von den wahren Ursachen der kapitalistischen Krise abgelenkt werden solle. Gleichzeitig diene er als Instrument zur Kriegsvorbereitung.

Der KPD-Autor Hans Günther schrieb 1935 in Moskau in dem Buch „Der Herren eigener Geist – Ideologie des Nationalsozialismus“: „Seit dem Mittelalter sind die Judenverfolgungen ein beliebtes Ventil, den Zorn der ausgesogenen Bevölkerung von der herrschenden Klasse abzulenken. Diese bewährte Kulturtradition macht sich die völkische Rassentheorie zunutze. Sie bezeichnet die Juden ‚als das minderwertigste aller Völker.‘ Der eigentliche Feind, der mit der antisemitischen Hetze getroffen werden soll, ist [jedoch] nicht das Judentum, sondern der Kommunismus!“

In diesem Sinne ist auch die Erklärung des konspirativ arbeitenden Inlands-ZK der KPD vom November 1938 zu verstehen, die in einer Sonderausgabe der „Roten Fahne“ verbreitet wurde. Dort heißt es:

„Es ist eine elende Lüge, dass die Pogrome ein Ausbruch des Volkszornes gewesen seien. Sie wurden von langer Hand vorbereitet, befohlen und organisiert allein von den nationalsozialistischen Führern. Sie sollten in Wirklichkeit dazu dienen, den wachsenden Volkszorn gegen die nationalsozialistische Diktatur, gegen die wahnwitzige Ausplünderung des ganzen deutschen Volkes zu Gunsten der Rüstungsmillionäre und der korrupten Nazibonzen abzulenken auf Unschuldige, mit dem Ruf: ‚Der Jude ist schuld‘. “

Detailliert werden in dem Text die Lügen der faschistischen Propaganda aufgezeigt. Eingeleitet mit dem Satz „Es sind aber nicht die Juden, die …“ prangert die Erklärung die tatsächlichen Verursacher der gesellschaftlichen Missstände an. Im Sinne des Volksfront-Konzeptes der „Brüsseler Parteikonferenz“ von 1935 erklärt der Text abschließend:

„Die Kommunistische Partei wendet sich an alle Kommunisten, Sozialisten, Demokraten, Katholiken und Protestanten, an alle anständigen Deutschen, mit dem Appell: Helft unseren gequälten jüdischen Mitbürgern mit allen Mitteln! Isoliert mit einem Wall der eisigen Verachtung das Pogro­mistengesindel von unserem Volke! Klärt die Rückständigen und Irregeführten, besonders die missbrauchten Jugendlichen, die durch die nationalsozialistischen Methoden zur Bestialität erzogen werden sollen, über den wahren Sinn der Judenhetze auf! Die deutsche Arbeiterbewegung steht an erster Stelle im Kampf gegen die Judenverfolgungen. Gegen die mittelalterliche barbarische Rassenhetze bekennt sie sich mit allen aufrechten Deutschen zum Worte Johann Gottlieb Fichtes von „der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt“. Die Befreiung Deutschlands von der Schande der Judenpogrome wird zusammenfallen mit der Stunde der Befreiung des deutschen Volkes von der braunen Tyrannei. Deshalb müssen alle deutschen Menschen, die das Regiment der Unterdrückung und der Schändung des deutschen Namens ablehnen und es beseitigen wollen, ihren festen Zusammenhalt schaffe. Solidarität im Mitgefühl und in der Hilfe für die jüdischen Volksgenossen, Solidarität mit den gehetzten Kommunisten und Sozialisten, Solidarität mit den bedrohten Katholiken, Solidarität aller untereinander im täglichen Kampf zur Unterhöhlung und zum Sturz des verhassten Naziregimes durch die Schaffung der breitesten deutschen Volksfrontbewegung – das ist es, was die Stunde von allen friedens- und freiheitsliebenden Deutschen verlangt!“

Von großer Bedeutung war, dass diese Erklärung als illegale Flugschrift auch im Deutschen Reich selber Verbreitung fand. Nachgewiesenermaßen kam sie in Berlin, im Rheinland und im Ruhrgebiet zur Verteilung. Damit war die „Rote Fahne“ die einzige antifaschistische Stimme, die in dieser Zeit auch im faschistischen Deutschland offen gegen den rassistischen Antisemitismus Stellung bezog.


Plünderung, Erpressung, Ausgrenzung

Die in der Pogromnacht angerichteten Schäden mussten von den Versicherungen ersetzt werden. Die Auszahlung erfolgte jedoch nicht an die Geschädigten, der Nazistaat beschlagnahmte das Geld. In einer Verordnung wurde festgelegt: „Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland … an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen Inhaber oder jüdischen Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen.“ Weiter wurde allen Juden eine „Kontribution“ von einer Milliarde Reichsmark auferlegt. Am 12. November 1938 ließ Goebbels den Juden die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen verbieten, am 14. wurden alle jüdischen Schüler aus deutschen Schulen entlassen. Am 6. Dezember trat der „Judenbann“ in Kraft, der jüdischen Menschen den Aufenthalt in bestimmten Stadtvierteln untersagte. Mit der Aufhebung des Mieterschutzes für Juden im selben Monat und der Einrichtung von „Judenhäusern“ und „Judenvierteln“ begann die Ghettoisierung.

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"„Gegen die Schmach der Judenpogrome“", UZ vom 9. November 2018



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