„Eine deutliche Mehrheit“ der ver.di-Mitglieder bei der Deutschen Post AG habe sich in der erneuten Urabstimmung für die Annahme des Tarifergebnisses entschieden, heißt es von ver.di. Tatsächlich stimmten 61,7 Prozent dem Tarifergebnis zu. Das ist mit Blick darauf, dass aus dem ver.di-Vorstand – allen voran die Stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Verhandlungsführerin Andrea Kocsis – eine klare Empfehlung zur Annahme kam, kein gutes Ergebnis. In den Betrieben gibt es spürbaren Unmut, wie Tim Laumann berichtet.
„Ich werde bei ver.di kündigen. Diejenigen, die bei der Delivery gearbeitet haben, wurden nun zum dritten Mal verarscht“, schreibt ein Kollege auf Facebook. In den gleichen Gruppen kündigen Leute den Austritt an, unter ihnen auch aktive Vertrauensleute. Andere wollen sich nun dem Berufsverband DPV-Kom aus dem Beamtenbund anschließen.
Auch im Betrieb ist Enttäuschung zu spüren. Diese wird offenbar bis in die Gewerkschaftsspitze hinein wahrgenommen. Auf einer Telefonkonferenz mit Vertrauensleuten diskutierte Andrea Kocsis und wollte integrieren. Natürlich gebe es Gründe, enttäuscht zu sein, aber es seien nun einmal Verhandlungen, der „Arbeitgeber“ sei nicht zu mehr bereit gewesen. Und schließlich sei ja auch darüber demokratisch abgestimmt worden.
Die Kolleginnen und Kollegen stellt das an vielen Stellen nicht zufrieden. Im Gegenteil beschweren sie sich auch an vielen Stellen, dass die zweite Abstimmung viel kürzer und ohne Ankündigung vor sich gegangen sei, so dass viele Kollegen praktisch ausgeschlossen waren. Da auch Gegenbeispiele genannt werden, ist unsicher, inwieweit hier die technische Umsetzung behindert wurde. Das Gefühl von undemokratischem Vorgehen bleibt.
Schauen wir auf den Bewusstseinsstand, dann fällt unser eingangs zitierter Kollege auf. Er bezieht sich auf die Kämpfe von 2015. Der Post-Konzern wollte damals die Paketauslieferung in eine „DHL Delivery“ ausgliedern, womit er gewerkschaftliche und Mitbestimmungsstrukturen zerschlug und Löhne und Bedingungen senkte. Die Kollegen nahmen den Kampf dagegen auf, streikten sechs Wochen lang. Werner Siebler analysierte den Ausgang 2015 in der „Z“ und den „Marxistischen Blättern“: Dieser habe Signalwirkung. Gelinge es den Arbeitern und ihrer Gewerkschaft, solche Ausgliederungen zu verhindern, sei ein großer Erfolg im Kampf gegen die um sich greifende Zurichtung betrieblicher Strukturen auf unmittelbare Profitabilität errungen.
Der Kampf ging verloren. Viele Kollegen waren gegen die Beendigung des Streiks – und dennoch wurde ein Angebot angenommen. Bei der einige Jahre danach folgenden Wiedereingliederung der Delivery wurden erneut die dort gebildeten gewerkschaftlichen Strukturen aufgelöst, den Niederlassungen der Deutschen Post zugegliedert. Einige Boni, vor allem aber Jahre der Berufszugehörigkeit gingen den Kollegen verloren. ver.di beließ es zu diesem Zeitpunkt schon bei verbalem Protest.
Nun dieser Tarifabschluss. Tatsächlich sitzt die Enttäuschung tief. Das Bewusstsein drückt sich auch hier in den Formulierungen aus: Bei einer Gewerkschaft wird „gekündigt“ wie bei einem Fußballverein oder – passender – bei einer Versicherung. Diese Haltung zur Gewerkschaft ist weit verbreitet: Die Gewerkschaft habe nicht geliefert, habe falsch verhandelt, sei zu wenig kämpferisch gewesen und so weiter. Mit dieser Haltung kann man die „Versicherung“ dann auch sehr einfach wechseln, es ist ja nur ein anderer Anbieter.
Diese Haltung entsteht aus vorgelebter Sozialpartnerschaft und Stellvertreterpolitik, bei der es andere sind, die „für dich machen“. Diese Haltung ist für die einzelnen Kollegen sehr bequem, sie verlangt und bringt keine Eigenaktivität, fordert wenige eigene Erkenntnisse. Kollegen zu überzeugen oder gar zu aktivieren, selbst kämpfen zu lernen und ähnliches – das alles fällt damit weg. Es folgt der Abbau gewerkschaftlicher Strukturen hin zur reinen „Ansprechbarkeit“.
Das wiederum ist auch den Sozialpartnern und Integrationisten in den gewerkschaftlichen Strukturen sehr recht: Denn so hat die Basis keine Möglichkeit, Druck auszuüben. Die innergewerkschaftliche Demokratie fällt damit weitgehend in sich zusammen. Immer weitergehende Resignation bei Abschlüssen oder betrieblichen Auseinandersetzungen, die ohne aktive betriebliche Basis nicht gewonnen werden können, sind programmiert.
Dagegen muss in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten angegangen werden – vor allem mit der Forderung nach der Stärkung der gewerkschaftlichen Strukturen im Betrieb. Nur dort können wir die nötigen Diskussionen als gewerkschaftliche Diskussionen führen, nur von dort aus kann auch Kritik geübt werden. Wichtiger aber: Diese betrieblichen Strukturen der Gewerkschaft sind das Eingangstor in die Gewerkschaft als „Schulen des Klassenkampfes“.