Stellungnahme des Samidoun-Netzwerkes für palästinensische Gefangene zur Hetzkampagne in Deutschland

Gegen die Kriminalisierung von Palästina-Solidarität

Man kann die Uhr danach stellen: Wer sich für Solidarität mit dem palästinensischen Volk ausspricht oder Verbrechen des israelischen Staates anprangert, wird mit einer Schmutzkampagne überzogen. So erging es auch den fast 1.000 Menschen, die sich am 8. April einer friedlichen Demonstration in Berlin anschlossen. Kurz nach der Veranstaltung brach offene Hetze gegen Veranstalter und Teilnehmer aus, von „Antisemitismus“ war die Rede und Verbotsforderungen wurden laut. Als „Beleg“ diente ein Video, auf dem eine unbekannte Einzelperson zu hören ist. Nun folgen den Worten Taten: Die Berliner Polizei hat zwei Demonstrationen verboten, die am 15. und 16. April zum Tag der palästinensischen Gefangenen stattfinden sollten.

Wir dokumentieren die Stellungnahme des Samidoun-Netzwerkes zur Solidarität mit den palästinensischen Gefangenen zu den Vorwürfen gegen die Demonstration vom 8. April:

Am Samstag, den 8. April, marschierten fast 1.000 Menschen durch die Straßen Berlins in Solidarität mit Palästina. Es war deutlich, dass die Demonstration stark und organisiert war, ein Ausdruck von Empörung und Internationalismus gegen die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vom israelischen Besatzungsregime gegen das palästinensische Volk begangen werden.

Es wurden zwar eine übermäßig große Zahl von Polizisten und Arabisch-Übersetzern von der Polizei zur Überwachung der Massen eingesetzt, doch wurden keine Zwischenfälle während der Demonstration gemeldet. Stattdessen gingen die Bilder der Demonstration um die Welt, ein Zeichen dafür, dass Palästinenser, Araber und Internationalisten in Deutschland die anhaltende Ungerechtigkeit in Palästina nicht vergessen haben.

Wie immer, wenn es eine große Demonstration für Palästina gibt, und insbesondere, wenn die palästinensische und arabische Gemeinschaft in Berlin sich für Gerechtigkeit sowie gegen Rassismus und Unterdrückung ausspricht, folgen bald die Angriffe und Versuche, die Demonstration zu kriminalisieren. Wir haben diese Rhetorik immer wieder erlebt, jedes Mal wird ein neuer Vorwand benutzt, um die Unterdrückung der palästinensischen Stimme in Berlin – wie auch die Unterdrückung aller Stimmen für Gerechtigkeit – voranzutreiben.

Dieses Mal ist der Vorwand ein sensationslüsternes Video, das in den deutschen Medien weit verbreitet wurde. Das fragliche Video enthält absichtliche Übersetzungsfehler, eine offene Dämonisierung der Palästinenser insgesamt und des Samidoun-Netzwerks im Besonderen. Es verleumdet offen politische Gefangene, die sich im Hungerstreik befinden gegen ihre Administrativhaft (Inhaftierung ohne Anklage oder Prozess) und gegen offenkundig politische Anklagen als Zivilisten vor Militärgerichten der Besatzungsmacht, ältere politische Gefangene, die in israelischen Gefängnissen durch medizinische Vernachlässigung ermordet werden, sowie minderjährige Gefangene. In dem Video wird versucht, eine einzelne Person hervorzuheben, die während der Demonstration eine antisemitische Parole rief. Die Person, die diese Aussage angeblich rief, ist im Video nicht zu sehen. Keine andere Person schloss sich ihr an, der Ruf kam weder von der Spitze der Demonstration noch über das Mikrofon. Und diese Person befand sich in einer Massendemonstration von Tausenden von Menschen zufällig nahe genug an diesen „Journalisten“, damit sie ihren Ruf aufnahmen und ihn dazu benutzten, eine umfassende Hetzkampagne gegen die Organisierung für Palästina in Deutschland zu starten.

Die Identität dieser Person ist völlig unklar, ebenso wie ihr Grund für diesen Ruf oder ob sie überhaupt an der Demonstration teilgenommen hat. Eines ist klar: Sie hatte nichts mit der Organisation, Leitung, Führung oder dem politischen Rahmen der Mobilisierung zu tun, und diese Aussage spiegelt nicht unsere klare antirassistische, antikoloniale Vision für ein befreites Palästina wider. Jede einzelne palästinensische Demonstration in Deutschland wird routinemäßig und fälschlicherweise ins Visier genommen und als antijüdisch diffamiert, obwohl sie in Wirklichkeit antirassistisch und für die Befreiung ist. Auf diese Weise wird auch versucht, Samidoun, unsere Mitgliedsorganisationen und unsere Initiativen in anderen Ländern, die Tausende von Kilometern entfernt sind, zu kriminalisieren, was die wahren Absichten dieser Kampagne zeigt.

Diese Verleumdungstaktik zielt darauf ab, unsere klare Haltung gegen Antisemitismus in Frage zu stellen und damit auch unsere selbstverständliche Haltung gegen die Äußerung, die angeblich von einer einzelnen Person in der Nähe der Demonstration gemacht wurde. Eine prinzipielle Organisation für Palästina ist per Definition antizionistisch, gegen dieses rassistische und koloniale System gerichtet, das das palästinensische Volk unterdrückt und zu vernichten versucht. Wir sind in diesem Kampf mit unseren antizionistischen jüdischen Genossen vereint, denn unser Kampf findet nicht vor dem Hintergrund eines religiösen Konflikts statt, sondern ist eine Befreiungsbewegung gegen Kolonialismus, Besatzung und Unterdrückung.

Zwei sehr wichtige Punkte zur Instrumentalisierung solcher Vorfälle, die bei einer Massendemonstration unmöglich berücksichtigt werden können:

  • Wir betrachten solche Erklärungen als ein Werkzeug in den Händen reaktionärer und repressiver Kräfte, einschließlich Pro-Apartheid-Organisationen, die versuchen, die Unterstützung für Palästina zu kriminalisieren.
  • Der Zionismus und sein ständiges Bestreben, diese faschistische Ideologie als „jüdisch“ zu bezeichnen, spielt seit langem eine schändliche Rolle bei der Fehldeutung des Zionismus, einer rassistischen politischen Ideologie, als Judentum. Dasselbe gilt für die westlichen Mächte, die die israelische Besatzung immer wieder als „jüdischen Staat“ bezeichnen und versuchen, alle Juden zu vereinnahmen für die zionistischen Verbrechen. Es ist die palästinensische Befreiungsbewegung, die die Gleichsetzung von Juden mit Zionisten ablehnt, und die zionistische Bewegung, die versucht, diese Gleichsetzung zu institutionalisieren.

Wir wissen auch, dass diese koordinierten Angriffe nicht den Wunsch widerspiegeln, gegen Rassismus, einschließlich Antisemitismus, in Berlin oder in Deutschland vorzugehen. Sie dienen vielmehr drei Hauptzielen:

  • Dem Versuch, einen Vorwand zu schaffen, um Organisationen zu verbieten, die sich für Gerechtigkeit und Befreiung in Palästina einsetzen, wie das Samidoun-Netzwerk, oder um Demonstrationen zu verbieten, wie die demnächst stattfindenden Demonstrationen zum 75. Jahrestag von al-Nakba, der katastrophalen Besetzung Palästinas, wie wir sie im Mai 2022 erlebt haben.
  • Dem Versuch, antipalästinensischen Rassismus und Repression auf den Straßen Berlins zu provozieren sowie unsere Gemeinschaft einzuschüchtern und von der Teilnahme an Aktionen und Demonstrationen abzuhalten.
  • Dem Versuch, die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema der Demonstration abzulenken, d.h. von den andauernden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Palästina. Diese werden von der deutschen Regierung und ihren politischen Parteien gerechtfertigt, was bis zur extremen Siedlerbewegung reicht, die heute durch das Westjordanland des besetzten Palästina marschiert ist, sowie bis zu den Aufrufen des israelischen Ministers Bezalel Smotrich, ganz Jordanien und ganz Palästina zu besetzen, und den Angriffen auf Palästinenser beim Gebet in der Al-Aqsa-Moschee während des Ramadan.

Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen oder unterdrücken, und wir werden nicht zusehen, während unsere Gemeinschaft gezielt unterdrückt und kriminalisiert wird. Wir rufen alle auf, sich uns am Sonntag, den 16. April, dem Marsch zur Befreiung der palästinensischen Gefangenen anzuschließen. Mit unserer kollektiven Klarheit und Stimme bekräftigen wir einmal mehr: From the river to the sea, Palestine will be free!

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